Die Satyagraha-Normen von Gandhi
1. Befolge Ahisma im Gedanken und Sinn!
Du
sollst deine gewaltlosen Handlungen aus einer gewaltlosen Gesinnung
ent-springen lassen. Deshalb versuche, so zu leben, dass du lernst,
keinen Hass gegen jemanden zu empfinden, sondern deinen Nächsten wie
dich selbst zu lieben.
2. Identifiziere dich mit denen, für die du kämpfst!
Du
sollst dich mit der Gruppe identifizieren, für die du kämpfst, damit du
gefühlsmäßig und intellektuell die Umstände und Verhältnisse so zu
erleben vermagst, wie sie das einfache Gruppenmitglied erlebt.
3. Gib dem Kampf einen positiven Inhalt!
Du
sollst dich in deinem Kampf nie damit betrügen, die bestehenden
Institutionen oder Gesichtspunkte niederzureißen, sondern immer
versuchen, diesen Teil der Aktion mit konstruktiven Unternehmungen zu
kombinieren.
4. Dehne nicht das Ziel des Kampfes aus!
Du
sollst nicht die Zielsetzung der einzelnen Satyagraha-Aktion ausdehnen,
un-abhängig davon, wie der Kampf und die äußeren Verhältnisse sich
entwickeln.
5. Schenke deinem Gegner Vertrauen!
Du
sollst immer an deinem Gegner so handeln, wie du an Mitgliedern deiner
eigenen Gruppe gehandelt hättest, und wie du wünschst, dass andere an
dir handeln sollen.
5a. Begegne dem Gegner persönlich!
Du
sollst dein Zutrauen zum Gegner dadurch zum Ausdruck bringen, dass du
willig bist, ihm persönlich zu begegnen oder ein persönliches Verhältnis
zu ihm zu Stande zu bringen, ebenso aufrichtig, wie du es mit einem von
deiner eigenen Gruppe tun würdest.
5b. Beurteile nicht andere härter als dich selbst!
Du
sollst weder ethisch noch intellektuell dem Gegner einen niedrigeren
Rang als dir selbst beimessen, sondern an ihm so handeln als wenn er
wenigstens ebenso hohe ethische Motive und wenigstens ebenso
intelligente Analysen der Lage hät-te wie du selbst. Und beurteile ihn
mit Rücksicht auf alle mildernden Umstände, die die äußeren Ereignisse
geben können.
6. Sei zum Kompromiss bereit!
Du
sollst bereit sein, durch Verhandlungen mit dem Gegner Kompromisse zu
schließen, wenn es zu einem Verhältnis zwischen euch führen soll, das
einen besseren Ausgangspunkt für dauernde Zusammenarbeit gibt, und wenn
du nicht durch den Kompromiss Normen der Ahimsalehre brichst.
7. Du sollst nicht töten!
Du
sollst vermeiden, körperliche Gewalt gegen irgendein lebendes Wesen zu
üben oder dies zu beabsichtigen, wenn es nicht zum Besten des Wesens
dient, wenn es undenkbar ist, dass sich das lebende Wesen über seine
Lage klar ist, und wenn es in einem gewaltlosen Sinne geschieht.
8. Zwinge den Gegner nicht – wandle seinen Sinn!
Du
sollst in einer Konfliktsituation so handeln, dass du den Gegner nicht
in eine Lage bringst, wo dein persönliches Furchtmotiv seinen Handlungen
zu Grunde liegen wird, sondern versuche, auf ihn so einzuwirken, dass
ein Verhalten der Satyagraha-Gruppe für ihn ein annehmbares Verhalten
werden kann.
8a. Richte den Kampf gegen die Sache, nicht gegen die Person!
Du
sollst, wenn es überhaupt möglich ist, vermeiden, den Gegner persönlich
mit deinem Satyagraha-Kampf zu treffen, sondern den Kampf in einer
solchen Weise gegen den Übelstand richten, den der Gegner dir verursacht
hat, dass der Gegner ihn als einen Kampf gegen eine Sache und nicht
gegen seine Person auffassen kann.
8b. Nütze nicht die Schwächen des Gegners aus!
Du
sollst aus schwierigen Lagen des Gegners keine Vorteile ziehen, wenn
die Lagen Ursachen haben, die außerhalb des Konfliktes liegen. Lasse den
Gegner fühlen, dass der Druck, dem er sich ausgesetzt hat, nur eine
Folge des Unrechts ist, das es deiner Gruppe antut.
8c. Provoziere den Gegner nicht!
Du
sollst Handlungen vermeiden, die dadurch eine Ausdehnung des
ursprünglichen Konfliktstoffes zur Folge haben, dass der Gegner in
Situationen gebracht wird, in denen er voraussichtlich besonders
herabwürdigende Handlungen begehen wird. Sondern du sollst so handeln,
dass die Situation, in die du den Gegner bringst, direkte Folge der
ursprünglichen Konfliktlage und der Ahimsa-Norm ist.
9. Wähle Mittel, die dem Ziel entsprechen!
Du
sollst Mittel wählen, die logisch und sachlich mit deiner
Konfliktsituation zu-sammenhängen und die dem Gegner so deutlich wie
möglich das zeigen, was du als Konfliktstoff auffasst.
9a. Feilsche nicht!
Du
sollst nicht bereit sein, dir ein Verhalten des Gegners dadurch
auszuhandeln, dass du ihm ein Verhalten auf einem anderen Gebiet
anbietest, sondern versuche zu bewirken, dass sowohl du selbst als auch
der Gegner ein Verhalten um dessen Willen selbst vertritt.
9b. Sei nicht abhängig von einer Hilfe von außen!
Du
sollst nur Satyagraha üben, um deiner eigenen Gruppe zu helfen, und von
Personen oder Gruppen von außen keinen Rückhalt annehmen, die der
Gegner nicht mit dem betreffenden Konflikt direkt in Verbindung sieht,
und die nicht von dem Konflikt direkt betroffen sind.
10. Sei opferbereit!
Du
sollst bereit sein, alle deine physischen und geistigen Kräfte
einzusetzen im Kampf für die eine Sache, an die du glaubst, und um
deinen Mitmenschen dienen zu können, wenn nötig mit deinem eigenen Leben
als Einsatz. Du sollst es aber um der Sache und deiner Mitmenschen
selbst Willen tun, nicht um des Opfers Willen.
11. Befolge Ahimsa im Reden und Schreiben!
Du
sollst bestrebt sein, im Reden und Schreiben die Wahrheit zu sagen, die
volle Wahrheit, und nichts anderes als die Wahrheit, und du sollst es
in einer solchen Weise tun, dass es deutlich wird, dass du dich nur
gegen die Gesichtspunkte und Handlungen des Gegners wendest, nicht gegen
ihn selbst. Und so dass der Gegner deine Worte als Ausdruck eines
Wunsches nach Zusammenarbeit, nicht nach Kampf auf längere Sicht
empfindet.
11a. Lebe dich in die Gesichtspunkte des Gegners ein!
Begegne
dem Gegner im Meinungsaustausch mit einem Maximum von Einfühlung in
seine Lage, seine ausgesprochenen Meinungen, seine Entscheidungsgründe,
und wähle – innerhalb der Grenzen der Billigkeit – immer die
Interpretation, die der Darlegung des Gegners das größte Gewicht als
Antwort auf deine eigene gibt.
11b. Verbirg deine Pläne nicht!
Du
sollst ehrlich und offen handeln und deine Pläne dem Gegner darlegen,
so dass er zu jeder Zeit wissen kann, was du zu tun beabsichtigst, und
sich danach richten kann.
11c. Gestehe deine Fehler ein!
Du
sollst immer bereit sein, die Fehler, die du begehst, einzugestehen,
sowohl deiner Gruppe wie dem Gegner gegenüber, auch wenn ein solches
Geständnis eine zeitweilige Schwächung der eigenen Position mit sich
führt, vom Gesichtspunkt deiner eigenen Gesinnungsgenossen und des
Gegners aus gesehen.
12. Entziehe dem Übeltäter das Handlungsobjekt!
Du
sollst den Kampf gegen eine böse Handlung nicht direkt gegen den Täter
richten, sondern versuchen, so zu handeln, dass du ihm durch dein
Benehmen die Mittel und Gegenstände, die für die Handlung erforderlich
sind, verweigerst, so dass die negativen Wirkungen der Handlungen
verschwinden.
13. Mache keine Sabotage!
Du
sollst dem Eigentum anderer keinen direkten, aktiven Schaden zufügen
mit der Absicht, dem Gegner Schwierigkeiten zu bereiten oder auf ihn
Druck auszuüben, sondern nur einen passiven Schaden, der eine Folge
davon ist, dass du ihm eventuell Zusammenarbeit verweigerst.
14. Sei, wo immer möglich, loyal!
Du
sollst ein loyaler, gesetzestreuer und pflichtbewusster Bürger der
Gesellschaft sein, von der du Mitglied bist, solange sie von dir nicht
verlangt, dass du gegen dein Gewissen handelst, und der Widerstand soll
erst bei einem ernsten Konflikt geleistet werden, auch dann, wenn er zu
einem Kampf gegen die Mehrheit führen sollte.
15. Wähle Gewalt vor Feigheit!
Du sollst immer bestrebt sein, Ahisma zu folgen in der Bedeutung
1–14,
aber in einer Lage, wo du es nicht fertig bringst, ist ein gewaltsames
Verhalten mit einem von Ahisma erfüllten Sinn einem nicht gewaltsamen,
aber aus Feigheit entstandenen Verhalten vorzuziehen.
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