http://www.inforadio.de/dossier/der_1__mai_im_inforadio/200415.html
14 min Radiobeitrag sind unter dem link veröffentlicht.
Wenn ich dazu noch diesen Beitrag aus dem Focus lese
http://www.focus.de/immobilien/energiesparen/schwarz-rote-koalitionsverhandlungen-prepaid-karten-sollen-stromschulden-verhindern_aid_1154567.html
fühle ich mich an eine Doku erinnert - wo die Afrikaner Prepaid Strom beziehen. Fehlt ja neben den Prepaid Mobilfunk nur noch Prepaid Heizung...
Sind wir schon so weit das wir bald nach Afrika flüchten??!?
Rund ein Fünftel der Deutschen kann Strom und Heizung nicht
mehr regelmäßig zahlen. Ein Problem, das immer mehr Menschen betrifft:
Energiearmut ist diesmal das Thema bei Apropos Wirtschaft.
Ein
Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Straße in Berlin-Kreuzberg. Die
Fassade ist rostrot, auf den Klingelschildern stehen vor allem türkische
Namen, in der schmiedeeisernen Laterne über der Tür steckt eine
Energiesparlampe. Es ist Minus vier Grad, gefühlt aber viel kälter.
Zwei
Männer stapfen durch den Schnee. Sie kommen von der Caritas und wollen
einer Familie helfen, Geld zu sparen - indem sie Energie sparen. Rund
ein Fünftel der Deutschen kann Strom und Heizung nicht mehr regelmäßig
zahlen. Ein Problem, das immer mehr Menschen betrifft: Energiearmut ist
diesmal das Thema bei Apropos Wirtschaft mit Max Vogelmann.
Michael Grow und Mohammed Khalife
sind Energiesparhelfer der Caritas - Langzeitsarbeitslose, die zu
Profis im Energiesparen ausgebildet werden und jetzt bedürftigen
Menschen helfen. Diesmal sind sie bei der libanesischen Familie Chebli
zu Besuch. Ghazi Chebli, der Familienvater, in der Tür und begrüßt die beiden Helfer auf arabisch.
Er
ist 66 Jahre alt, hat kurze graue Locken. Ein kleiner Mann mit
traurigen Augen, der viel lächelt. Er trägt einen dunkelblauen
Rollkragenpulli, dunkle Stoffhosen und braune Filzpantoffeln mit roten
Stickereien. Seit drei Jahren wohnt er hier, mit seiner Frau und ihrem
gemeinsamen Sohn. Für die Familie wird es immer schwieriger, ihre
Energie zu zahlen, sagt Chebli. Voriges Jahr habe er 74 Euro bezahlt -
nun bis zu 100 Euro.
"Einfach nicht mehr bezahlbar"
100 Euro Stromkosten im Monat - für viele Menschen
ist das einfach zu viel Geld. Während Kollege Mohammend Khalife prüft,
ob die Familie tatsächlich Anspruch auf die Beratung hat, erklärt
Energiesparhelfer Grow das Problem. Er arbeitet schon seit fünf Jahren
in dem Bereich. 2009 habe der Preis bei 19 Cent die Kilowattstunde
betragen - jetzt bei etwa 27. Das sei einfach nicht mehr bezahlbar.
So
sehen das auch die Sozialverbände. Besonders betroffen sind alle, die
wenig verdienen, Rentner, Studenten, Sozialhilfe-Empfänger, Menschen,
die im Niedriglohnbereich arbeiten, sagt Ulrich Schneider,
Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. 20 Millionen Menschen
hätten mittlerweile mit den Strompreisen Probleme, man brauche soziale
Transfers für die Einkommensschwachen.
BUND: Industrie zahlt zu wenig
Ohne Heizung würden wir frieren oder sogar
erfrieren, ohne Strom hätten wir kein Internet, kein Telefon, könnten
nicht kochen. Doch nach Fukushima soll die Energie dafür nicht mehr aus
deutschen Atomkraftwerken kommen. Die Energiewende gilt als eines der
wichtigsten innenpolitischen Projekte der Bundesregierung. Kein Wunder.
Es hängen ja alle mit drin: Verbraucher, Wirtschaft, Politik. Alle
brauchen Energie. Und so summt der Strom durch die Leitungen, in die
Haushalte, Büros und Fabriken, in Computer und Kühlschränke,
Straßenbahnen und Smartphones.
Dabei könnten wir alle zusammen richtig viel sparen, mahnt Hubert Weiger
von der Umweltschutzorganisation BUND. Vor allem die Großindustrie
zahle zu wenig und habe damit auch wenig Anreize zum Stromsparen.
Energie müsse wesentlich effizienter eingesetzt werden. Der
Energieverbrauch in Deutschland könnte dadurch mehr als halbiert werden -
ohne auf Licht und Wärme zu verzichten.
Gabriel will EEG 2.0
Vizekanzler Sigmar Gabriel will nun mit einer
Reform der Energiewende die Industrie stärker an den Kosten beteiligen
und den erneuerbaren Energien die Subventionen kürzen. Ob das den
Strompreis wieder senkt? Ulrich Ropertz vom Deutschen
Mieterbund zeigt sich skeptisch, hofft aber, das immerhin der Anstieg
der Preise gebremst wird. Für ihn sind aber vor allem Strom- und
Gassperren das Thema. Eine Sperre will er niemandem zumuten - vor allem
bei den aktuellen Minus-Graden.
Nach Daten der Bundesnetzagentur
gab es im Jahr 2012 rund 322.000 Stromsperren. Im Rückstand waren die
Betroffenen mit durchschnittlich gerade mal 114 Euro. Die Sperre dauert
in der Regel so lange an, bis der Rückstand beglichen ist. Generell
gilt: Sobald man mit 100 Euro oder mehr im Rückstand ist, darf der
Versorger Strom oder Gas abstellen. Das muss allerdings vier Wochen
vorher angekündigt werden, und drei Tage vor der Sperre nochmal. Sowohl
die Sperre als auch die Entsperrung schlägt wieder zu Buche - mit bis zu
150 Euro. Kerzenlicht und Gaskocher sind zudem nicht ungefährlich,
immer wieder kommt es auch deshalb zu Wohnungsbränden.
Doch
zumindest in Berlin ist die Zahl der Stromsperren im vergangenen Jahr
leicht gesunken, von 19.000 auf 17.000. Vielleicht ist das auch der
Arbeit der Stromsparhelfer zu verdanken, die sich nun mit Klemmbrett
bewaffnet an ihren Rundgang durch die Wohnung der Familie Chebli machen.
Stromsparhelfer Khalife fällt dabei sofort das Sofa vor der Heizung
auf. Es hindere die warme Luft daran, sich in der Wohnung zu verteilen,
erklärt Kollege Grow.
Stromfresser: Alte Kühlschränke
Einfach das Sofa ein gutes Stück von der Wand
rücken - schon sind circa 30 Euro Heizkosten im Jahr gespart. Dann kommt
der Kronleuchter dran - welche Birnen sind drin, welche sollten rein.
Ein Budget von 70 Euro bringen die Energiesparhelfer mit, von dem können
sie schaltbare Steckdosenleisten und Energiesparlampen kaufen und bei
einem zweiten Besuch mitbringen. Licht mache ungefähr zehn Prozent des
Stromverbrauchs aus und ist besonders in Berlin mit den engen Straßen,
den vielen Bäumen und Hinterhöfen ein Problem, sagt Grow.
Vom
Wohnzimmer geht es in den Flur - in dem gleich zwei Kühlschränke und ein
Gefrierfach stehen - ein Geschenk des Schwagers, erklärt Chebli.
Unnötiger Stromverbrauch, findet Grow. Gerade alte Kühlschränke machen
bis zu 20 Prozent des Stromverbrauchs aus - also bei 100 Euro
Stromkosten im Monat 20 Euro im Monat. Energiesparende Geräte machen
deshalb viel Sinn. Gerade die können sich arme Menschen nicht leisten -
ganz zu schweigen von energieeffizienten Wohnungen mit Wärmedämmung,
beklagt Joß Steinke von der Arbeiterwohlfahrt.
Energiearmut Teil des generellen Armutsproblems
Für ihn ist Energiearmut nur ein Teil des
generellen Armutsproblems in Deutschland. Anders als in vielen Ländern
auf der Erde haben die Menschen hier einen generellen Zugang zu Strom
und Heizung - für circa zweieinhalb Milliarden Menschen gilt das nicht.
Doch langsam, aber sicher wird das Problem hier größer, erklärt Steinke.
Auch in Deutschland nehme Armut zu.
Energiearmut kommt leise
daher - denn das Geld, das für Strom und Heizung ausgegeben wird, fehlt
dann einfach an anderer Stelle. Für die Freizeit, für die Fortbildung,
oder für den Zahnarzt, wie bei Norbert Becker, einem
Hartz-IV-Empfänger, der in Marzahn in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Der
44-Jährige kommt ursprünglich aus Köln, dort war er Punker. Dann hat er
in Hamburg Häuser besetzt und anschließend lange in Italien gelebt. Die
Wohnung ist karg eingerichtet, in der Ecke stehen Krücken, gesund sieht
Becker nicht aus. Er verkauft seit drei Jahren den Straßenfeger, um
über die Runden zu kommen. Den Strom regelmäßig bezahlen? Keine Chance.
Strompreise seit 2005 um 44 Prozent gestiegen
Dabei spart er schon viel Energie. Wenn er nicht zu
Hause ist, drückt er den Kippschalter an der Buchse und dreht so den
Saft ab. Fernseher, Drucker, Festnetztelefon - alles aus. Das Geld
reiche trotzdem nicht, sagt er. Immerhin wurde sein Strom noch nie
gesperrt. Denn er sagt immer rechtzeitig Bescheid, dass er erst später
zahlen kann und stottert die Schuld dann in Raten ab - so vermeidet er
auch Mahngebühren. Ein Problem hat er dennoch: Die jährliche
Stromabrechnung - die immer mit einer Nachzahlung verbunden ist. Seit
seit 2005 sind die Strompreise im Schnitt um 44 Prozent gestiegen, ergab
eine Studie des Online-Vergleichsportals Verivox. Becker muss nun 113
Euro nachzahlen.
Eine Lösung wäre, vom Stromanbieter eine
vierteljährliche oder monatlische Abrechnung zu verlangen. Möglich ist
das, dennoch macht es noch fast keiner - genauso wie viele den Wechsel
ihres Stromanbieters scheuen - obwohl sie ihren Strom aus der so
genannten Grundversorgung beziehen, die vergleichsweise teuer ist.
Stromanbieter hin, Stromanbieter her, Ex-Punker Becker jedenfalls
fürchtet sich vor allem vor weiter steigenden Preisen.
Als
Hartz-IV-Empfänger bekommt Becker monatlich 391 Euro Lebensunterhalt -
32,69 Euro davon sind für Strom und das Instandhalten der Wohnung
gedacht. Dabei ergeben Berechnungen von Verivox: Ein Single-Haushalt mit
1500 kWh Jahresverbrauch benötigt monatlich im Schnitt 39,42 Euro. Das
sind knapp sieben Euro, die im Monat fehlen - und zwar ganz ohne
Instandhaltungskosten für die Wohnung.
"Nur noch einmal im Monat duschen"
Daran dürfte auch das so genannte Prepaid-Modell
nichts ändern, das die Bundesregierung erwägt, im größeren Maßstab
einzuführen - wie bei einem Handy soll dabei der Strom vorher bezahlt
werden - und so Stromsperren verhindern. Es könnte aber sein, dass viele
Menschen dann an der Lebensqualität sparen müssen - wie es
Stromsparhelfer Michael Grow schon oft erlebt hat. Die Leute gingen
schon früher ins Bett oder würden nur noch einmal im Monat duschen.
Familie
Cheblie muss auch sparen - allerdings müssen sie sich dafür nicht so
sehr einschränken. Mit kürzeren Duschzeiten, Energiesparlampen und nur
noch einem Kühlschrank werden die Kreuzberger fast 25 Euro pro Monat
sparen können. Die Helfer haben viele Tipps gegeben: Nicht zu heiß
waschen, Geräte mit Aus-Schalter kaufen, keine Fenster kippen, sondern
stoßlüften und dabei unbedingt die Heizung ausdrehen, sonst kämpft sie
gegen die kalte Luft von draußen an - und die Energie verpufft dann
einfach in den Himmel. Das alles spart Geld, auf das es ankommt, seit
der Vater seinen Job als Lackierer verloren hat. Er freut sich über die
Beratung, befürchtet aber, dass sie dennoch weiter Geldprobleme haben
werden.
Energiearmut ist ein Problem, das wächst. Noch gibt es
aber keine richtige Definition dafür. In Anlehnung an Großbritannien
kann man sagen, ein Haushalt ist dann energiearm, wenn er mehr als 10
Prozent seines Einkommens für Strom und Heizung ausgeben muss. Dort ist
Energiearmut weiter verbreitet, was auch an dem schwächeren Sozialstaat
liegt. "Heating or Eating" heißt es oft auf der Insel, Heizen oder
Essen. So schlimm ist es hier noch nicht. Doch falls die Preise weiter
so in die Höhe schießen, könnten auch wir in einigen Jahren dort sein,
wo England jetzt steht. Energiesparhelfer Grow beobachtet schon jetzt:
Selbst Leute, die normal arbeiten, aber Geringverdiener seien, könnten
die Preise nicht mehr bezahlen.
Wenn unsere Gesellschaft nicht
aufpasst, müssen sich also vielleicht viele Menschen künftig
entscheiden: Zwischen einer warmen Mahlzeit - oder einer warmen Wohnung.
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