Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Montag, 7. August 2017

Sarvodaya II

Bislang vermochte das glitzernde Äußere des modernen Konsumkäfigs immer noch die Illusion zu verstärken, daß wir in einem goldenen
Zeitalter des Überflusses leben. Obwohl wir doch mittlerweile den Bericht
„Global 2000" (1980) zuhanden des Präsidenten der Vereinigten Staaten
haben, das letzte von so vielen alarmierenden Bulletins über die nahe
Zukunft. Darin wird festgestellt, daß es noch weniger Wasser, weniger
fruchtbares Land, weniger saubere Luft und weniger Wildnis geben wird,
wenn die heute Zehnjährigen dreißig Jahre alt geworden sind. Etwa ein
Fünftel der verschiedenartigen Lebewesen, mit denen wir jetzt noch
gemeinsam diesen Planeten bewohnen, wird bis dahin wahrscheinlich
verschwunden sein. Es wird dann also noch weniger natürliche Vielfalt aber
auch weniger Platz für die „Auslagerung" von Abfällen und Konflikten
geben, und der Abstand zwischen den Wohlhabenden und den Bedürftigen
soll sich bis dahin noch weiter vergrößert haben.
S. 409-410



Immer mehr betroffene Gruppen und speziell die jüngere Generation
haben die Grenzen des Wachstums erkannt und beginnen, ganz im Sinne der
Rede Gandhis in Benares, die Welt um uns herum als ein geschlossenes
System aufzufassen, in dem die sogenannte Entwicklung des Nordens und
die Unterentwicklung des Südens wechselseitig bedingt sind. Diese
deformierten Beziehungen, die vielen von uns ja, wenn auch nur auf
abstrakt-theoretischer Ebene, durchaus klar sind, hat das „American Friends
Service Commitee" in seinem Handbuch für eine neue, verantwortliche
Lebensform den eigenen Landsleuten wie folgt veranschaulicht:
„Nehmen wir einmal an, daß die Welt ein großes Dorf mit insgesamt 100
Einwohnern wäre; von diesen seien 6 Amerikaner. Diese 6 würden über ein Drittel des Gesamtkonsums des Dorfes für sich haben, und die übrigen 94 Einwohner müßten mit den restlichen zwei Dritteln zufrieden sein. Wie könnten die Wohlhabenden wohl mit den Nachbarn friedlich' zusammenleben? Sicherlich
sähen sie sich gedrängt, sich gegen die übrigen 94 zu bewaffnen - vielleicht sogar, indem sie, wie es die Amerikaner gegenwärtig ja tun, mehr als zweimal so viel für die Verteidigung pro Kopf ihrer Bevölkerung ausgeben, als das Durchschnittseinkommen in zwei Drittel der anderen Weltdörfer beträgt."
(Taking Charge: Innendeckel)
S.410-411

Westliche Alternativen basieren auf dem Minimum, das notwendig ist,
um die unter der Armutsgrenze Lebenden vor dem Verhungern zu
bewahren. Während Sarvodaya das zulässige Maximum definiert, das die
Wohlfahrt aller ermöglicht, bilanzieren Entwicklungstheoretiker die Mindestlöhne, mit denen das Arbeitskräfte-Reservoir intakt gehalten und der
Konsum „marktgerecht" stimuliert werden kann. Diese Gegenüberstellung
zeigt, daß Sarvodayas Entwicklungskonzept tatsächlich eine Alternative
bietet. Es beginnt mit einer Neudefinition der Ziele unseres Handelns, die
aber nur unter Bezug auf ein Wertsystem möglich wird, welches sich
fundamental von all dem unterscheidet, was westliches Erfolgsdenken
bestimmt.

Gott behüte uns davor, daß Indien sich je nach westlichem Vorbild industrialisiert. Der ökonomische Imperialismus eines einzigen kleinen Insel-Königreichs (England) hält heute die ganze Welt in Ketten. Falls eine ganze Nation von 300 Millionen Menschen den gleichen Weg gehen sollte, würde sie die Welt kahlfressen wie Heuschrecken." (Gandhi 1965:52)

S.412

Was aber geschieht bzw. könnte denn wohl eintreten, wenn auch die
„rationale Sachlichkeit des Fortschritts" (Weber 1920:1, 527) sich zu
zersetzen beginnt und Modernisierung und Entwicklung als sinnstiftende
Antriebe weltbearbeitenden und -verändernden Handelns uns in dem Maße
obsolet werden, wie wir ihre lähmende Wirkung (nicht nur in Ländern der
Dritten Welt, Tschernobyl hat uns ja klargemacht, daß Bhopal überall ist)
tagtäglich am eigenen Leib erfahren müssen? Wie wird, wenn nicht mit
zynischer Vernunft, ein Zeitgenosse der „Ersten Welt" der OECD
eigentlich mit der Erkenntnis fertig daß die Menschen der „Dritten" nicht
werden können wie er, denn dann bliebe er in Brüssel bzw. Hamburg ja
nicht, was er wurde und weiterhin meist auch sein möchte? Welche Folgen
haben also Modernisierungstheorien, wenn zunehmend deutlich wird, daß
sie Eingeborene zwar in Unterentwickelte transformieren können, wir
zugleich aber auch feststellen müssen, daß der Fortschrittsgedanke für die
Mehrzahl der so Deprivierten gerade nicht notwendig ist, weil er Not nicht
wendet, sondern allenfalls von Armut zu Elend führt? Was bleibt
schlußendlich für „homo faber" noch zu tun übrig wenn innerhalb von nur
drei Entwicklungsdekaden seine neu-kartesianische Lehrmeinung „Ich
entwickle - also bin ich" zur Leerformel wurde?
Erstarren wir dann, wie Weber befürchtete, wirklich in den Rollen von
funktionstüchtigen „Fachmenschen ohne Geist" und „Genußmenschen
ohne Herz" (Weber 1920:1, 204), die den Filmhelden von gestern dabei
helfen, einen fabelhaften Krieg der Sterne für morgen in Szene zu setzen?

S.414
Sollen wir also wirklich darangehen und katastrophensoziologische Modelle
in praktischer Absicht bilden?

Versteht man das Konzept allerdings richtig dann ist seine Gültigkeit
nicht durch punktuelle Beobachtungen von praktischen Erfolgen oder
Schwierigkeiten in einigen Nischen der Dritten Welt zu untermauern, weil
die an Sarvodaya sich orientierende Form innerwelthchen Handelns mit uns
geläufigen Entwicklungsmodellen überhaupt nicht zu vergleichen ist.
Obwohl auch für Gandhi das Handeln in der Welt eine Form der
Selbstverwirkhchung war, blieb es doch immer eingebunden in das
übergreifende Konzept der Gewaltlosigkeit und Nächstenüebe: Man solle
mit Bedacht arbeiten, nur die im Dorf notwendigen Gebrauchsgüter
herstellen und nicht versuchen, Tauschwerte für einen anonymen Markt zu
akkumuüeren. Besitz über das zum Leben Notwendige hinaus war für
Gandhi Diebstahl und eine Form der Gewalt.
Auch ohne Max Webers
Schriften zu kennen, hatte er den besonderen Zusammenhang zwischen
protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus durchschaut und
versucht, dieser destruktiven Form der Selbst-Behauptung gegen die Umwelt eine neue Form der Selbst-Verwirküchung im Dienst für die Mitwelt
gegenüberzustellen. Ihm ging es nicht um die Bestätigung außerweltlichen
Seelenheils durch innerweltlichen Erfolg in der Konkurrenz mit anderen,
sondern um die Wiederherstellung eines ausgewogenen Gleichgewichts zur
Bedürfnisbefriedigung aller. Der volkswirtschaftüchen Lehrmeinung von
den knappen Gütern setzte er die einfache Tatsache entgegen, daß die Erde
genug für alle biete, wenn man von den „needs" der Menschen statt von den
uns anerzogenen „greeds" ausginge.
So gesehen ist die Wohlfahrt aller heute genau wie vor siebzig Jahren in
Benares jederzeit möglich, wenn wir sie denn wirklich wollen und bereit
sind, uns weniger zu nehmen anstatt den dritten oder vierten Welten immer
noch mehr geben zu wollen.

Befrei uns o Allgegenwärtiger
von Stellvertretern
und Abwesenheiten
von Sanskrit und den Mythologien
der Nacht und den mehrfachen
Konferenztischmorgen
Londons (auch Hamburgs! D.K.) und mach
die Zukunft wieder zu dem was
sie war.
Herr, gib uns wieder.
Bring uns zurück
zu einem Wurf
von sechs neuen Schweinen in einem Slum
und zu einem plötzlichen Ernterevier.
Herr der Letztgeborenen
schenk uns
Geburt.

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