1. Am Anfang
“You go to black and then you have to have a moment of Big Bang and that's the origin of everything the origin of thought the origin of consciousness, whatever it is. In that moment it's like 'from that nothing to everything' is everything.”
Larry Wachowski
Als Reaktion auf den sich
ausbreitenden Materialismus präsentierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts
der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling das Konzept eines
evolutionären Idealismus. Er glaubte, dass Bewusstsein, nicht Materie,
die letzte Grundlage der Wirklichkeit sei. Schelling kombinierte den
Idealismus mit dem wissenschaftlichen Verständnis von Evolution und
schuf so eine evolutionäre Spiritualität. Er leugnete nicht, dass die
Natur einem evolutionären Prozess unterworfen sei, deutete das Ziel und
den Zweck dieser Entwicklung aber nicht ausschließlich im Hervorbringen
von Überlebensstrategien, sondern in der Entwicklung eines Bewusstseins,
dass sich seiner immateriellen Anteile bewusst ist.
Den Beginn des Seins stellte Schelling sich als epischen Prozess kosmischer Evolution vor:
Vor der Erschaffung von Zeit und Raum war die einzige Form der Existenz ein nicht manifestiertes Reich des absoluten Geistes.
Dieser reine Geist wird aktiv und entfaltet sich in einem kosmischen Schöpfungsakt …
… das eine - in sich Existierende - teilt sich …
… es explodiert …
… und manifestiert sich in einem evolutionären Prozess in einer Vielzahl von immer komplexeren …
…und zunehmend bewussten Formen der Existenz.
„Gott bleibt nicht versteinert und tot, selbst Steine rufen und erheben sich zum Geist.“
Georg Friedrich Wilhelm Hegel
Georg Friedrich Wilhelm Hegel
„Menschen und Felsen sind
gleichermaßen Geist, aber nur Menschen können diese Tatsache bewusst
wahrnehmen und zwischen dem Felsen und dem Menschen liegt Evolution.“
Ken Wilber
Ken Wilber
Ken Wilber kann als moderner
Vertreter einer evolutionären Spiritualität bezeichnet werden. Für ihn
ist Evolution Geist in Aktion: Am Anbeginn der Zeit entfaltet sich der
Geist, bringt Formen, Strukturen, Gedanken, Bewusstsein und Materie
hervor. Dieser Schöpfungsprozess ist kein punktuelles Ereignis, sondern
ein sich permanent vollziehender Prozess. Geist ist der Ursprung dieser
Existenz. Das bewusste Erkennen dieses permanenten Prozesses und das
Aufbauen einer Verbindung zu ihm ist das Ziel der Evolution. Im
menschlichen Bewusstsein kommt es zu einer Einheit von Geist und
Materie. Wir besitzen – anders als der Stein – das Potential und die
Fähigkeit uns selbst als einen Teil dieses Prozesses zu erkennen.
Die Wachowskis stellen sich mit der
Schöpfungsgeschichte, die die Bilder in der Eröffnungssequenz von
Revolutions zeigen, in die Traditionslinie der idealistischen
Philosophie (die wiederum auf einer uralten Idee zahlreicher Religionen
basiert). Die Bilder, die sie dafür verwenden – sich ausdehnendes,
explodierendes Licht und sich auswärts drehende Formen – versehen sie
mit einer entsprechenden Bedeutung. Durch das Erzeugen von Variationen
stellen sie an anderer Stelle Verbindungen zu diesen Bedeutungen her.
Sie kreieren sowohl Anlehnungen durch ähnliche Bilder als auch
Ablehnungen durch umgedrehte Bildverläufe.
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2. Die Entfremdung vom Geist
„A singular consciousness that spawned an entire race of machines.”
Morpheus
“Welcome to the desert of the real.”
Morpheus
Morpheus
In Matrix
wird ein Bewusstsein symbolisiert dessen Verstand diesen Kosmos rein
materialistisch interpretiert. Die Trilogie deutet dies als ein
Bewusstsein, das sich vom Geist entfremdet hat und erzählt die
Geschichte dieser Entfremdung in „The second Renaissance“:
Der Mensch löst seine eigene Existenz von der des Geistes …
… und trennt sein bewusstes Selbst vom sich permanent vollziehenden Schöpfungsprozess.
Die Apokalypse beginnt …
… der Mensch reduziert sich selbst auf einen Automaten, der Reize auf Reaktionen produziert …
… und verwandelt sich so in eine Maschine …
… die zum Objekt seiner Verehrung mutiert …
… er macht sich zum sklavisch eingebundenen Gefangenen eines mechanistischen Kosmos.
Der abgelehnte Geist zeigt sich von seiner schrecklichen …
… und zerstörerischen Seite ...
… die Innenseite des Bewusstseins verwandelt sich in eine „Wüste des Realen.“
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3. Implodierende Schöpfung
"The beginnings, the little tiny introductions to each film has a reflection of what each movie is about. We say, we sort of, in those little tiny prefaces to each film, we kind of tell the audience where we are in the journey of development. The Matrix is an exploration of consciousness, those little tiny bits and pieces at the beginning of each of the films sort of, tries to help you map it out a little bit.”Larry Wachowski
Im 17. Jahrhundert verglich der
englische Philosoph Thomas Hobbes den Kosmos im Ganzen und den Menschen
im Speziellen mit einem Uhrwerk. Er schuf damit ein prägendes Bild für
den beginnenden Prozess der Mechanisierung des Weltbildes: Die Uhr mit
ihren ineinander greifenden Rädern, in der Bewegungen von einem Element
auf das andere übertragen wurden und so ein Ticken - so regelmäßig wie
der menschliche Herzschlag – produziert wurde, schien ein geeignetes
Bild für die Funktionsweise des Menschen zu sein. Hobbes beschrieb nicht
nur die Körperfunktionen als maschinell, auch das Bewusstsein verstand
er als eine Folge von sich bewegenden Körpern: Das Drücken auf die
jeweiligen Sinnesorgane löst Sinneswahrnehmungen aus, ...
…die wiederum „Einbildungen“
hervorrufen und in die bekannten Aktivitäten des Verstandes münden. Da
alle Bewegungen mechanischen Gesetzen folgen und das Bewusstsein eine
Funktion von Bewegungen ist, besitzt der Mensch keinen freien Willen.
Alle seine Gedanken, Entscheidungen und Empfindungen sind durch die
Einflüsse auf sein Bewusstsein determiniert. Der Mensch ist ein Glied in
einer Kette sich fortsetzender Bewegungen, er ist ein Gefangener sich
gegenseitig bewegenden Zahnrädern, …
…er ist ein Uhrwerk!
Die Eröffnungssequenz von
Reloaded übernimmt dieses Bild des Uhrwerkes um zu zeigen, in welchem
Stadium seiner Entwicklung sich das symbolisierte Bewusstsein befindet.
Der Schöpfungsprozess verläuft rückwärts.
Die freie Entfaltung des Geistes geht verloren. Er expandiert nicht in den Raum …
… er implodiert …
… die geschaffenen Formen drehen sich einwärts …
… der Geist entschwindet.
In Reloaded ist die Welt ein
Uhrwerk. Der Kosmos in all seinen Aspekten wird bestimmt von den
mechanischen Prozessen der Materie. Aus der Perspektive von Revolutions
betrachtet ist dies lediglich eine Deutung, die einen Teil der
wahrnehmbaren Realität unter sich vergräbt: Der Geist implodiert ins Uhrwerk.
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Die Eröffnungssequenzen von Reloaded und Revolutions sind als Negativspiegelungen konzipiert. Revolutions zeigt eine Bewegung von innen nach außen oder vom Nichts zum alles Einnehmenden. Reloaded zeigt eine Bewegung nach innen, der Geist breitet sich nicht aus, er entschwindet im Nichts.
Dem ersten Film haben die
Wachowskis keine entsprechende Einleitung vorangestellt und doch ist,
wenn auch auf ein Minimum reduziert, die gesamte Symbolik bereits in der
kurz aufleuchtenden Taschenlampe enthalten.
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4. Die Zukunft
Der Geist ist verschwunden. Im Matrixbewusstsein herrscht nun eine rationalistische Wirklichkeitskonstruktion. Einige Bewohner des Matrixkosmos wollen diesen Zustand erhalten, andere kämpfen für Veränderung. Durch die Eröffnungssequenzen der Fortsetzungen haben die Wachowskis unterschiedliche Bildverläufe mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen und so ein visuelles Bedeutungsvokabular geschaffen. Dieses wird verwendet um die Akteure des kämpfenden Bewusstseins zu charakterisieren und aufzuzeigen, ob sie eine Reflexion des Schöpfungsprozesses sind oder ihm entgegenstehen.
Der Architekt
Die Wächter
Der Merowinger
Seraph
Das Orakel
Die Maschinenstadt
Deus Ex Machina
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5. Die neue Schöpfung
"What do you want Smith?"
"I want exactly what you want, I want everything."Neo & Smith
Die Entscheidung über die Zukunft
des Bewusstseins fällt schließlich im Kampf zwischen Neo und Smith. Neo,
dem Auserwählten, gelingt es den abgeschlossenen Kosmos des
Matrixbewusstseins zu verlassen und den trennenden schwarzen Himmel …
… zumindest kurzfristig zu überwinden.
Als Neo schließlich zu verstehen beginnt und Smith in sich eindringen lässt …
… öffnet sich eine Tür; durch Neo entsteht eine Verbindung zwischen dem Verstand und dem Geist …
… die Konfrontation mit dem Licht zerstört die Dunkelheit.
Das Ende von Smith ist als
Neuschöpfung inszeniert. Die Selbstentfaltung des Geistes hat in einem
Schöpfungsprozess die verschiedenen Ebenen der Existenz hervorgebracht.
Nun wiederholt sich dieser Prozess im Inneren des Bewusstseins.
Der Verstand und seine materielle
Basis, der Körper, sind wieder mit dem Geist vereint. Die drei
Dimensionen des menschlichen Bewusstseins werden erneut zu einer
Einheit.
Die "Prophezeiung" des Architekten …
“The function of the One is now
to return to the Source, allowing a temporary dissemination of the code
you carry, reinserting the prime program.”
… hat sich erfüllt.
„Die Quelle“ ist lediglich in der
Terminologie von Reloaded der Zentralcomputer der Maschinen. In
Revolutions ist es der sich selbst entfaltende Geist, der Anbeginn und
das Ziel der Evolution.
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