Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Montag, 10. November 2014

Das kämpfende Bewusstsein II ~ NEO UND DER ARCHITEKT oder: DER STACHEL IM KONSTRUKT

Kein Bestandteil eines Filmes steht für sich alleine. Jegliches Geschehen ist in den Kontext der Chronologie eingebettet. Es baut auf Vergangenem auf und weist auf Zukünftiges hin. Anders verhält es sich mit der Matrixtrilogie: Matrix ist ein Puzzle. Auch hier steht kein Bestandteil für sich alleine. Jedes Teil des Ganzen ist wie ein Stück aus einem Puzzle; jedes Puzzlestück steht in Verbindung zu einer Vielzahl von anderen Stücken. Die zueinander passenden Teile müssen allerdings – wie es sich für ein Puzzle gehört – zunächst gefunden werden. Der Fokus des Suchenden richtet sich dabei nicht auf chronologische Anschlussteile, sondern – und hier ähnelt Matrix dann eher dem Spiel „Memory“ – auf sich wiederholende Muster. Die Trilogie ist aus Puzzleteilen zusammengesetzt. Diese sind so konstruiert, dass sie erst durch eine vergleichende Betrachtung aller Variationen verständlich werden. Bedeutung generiert sich nicht durch die Betrachtung der einzelnen Fragmente, sondern durch die Zusammenschau der miteinander verbundenen Teile. Erst die Summe aller Puzzleteile ergibt das vollständige Bild!
Die Art und Weise, wie die Wachowskis in ihren Filmen Deutung und Bedeutung durch die Kombination von Variationen kommunizieren, lässt sich mustergültig am Aufeinandertreffen von Neo und dem Architekten darstellen. Diese Szene ist eine der wichtigsten, der komplexesten und zugleich – und das ist nicht ohne Ironie – eine der konstruiertesten der gesamten Trilogie. Zahlreiche Szenen des ersten Films spiegelnd ist sie eine der großen Synthesen von Reloaded. Wie die Geschehnisse im Raum des Architekten auf der Ebene des Subtextes zu verstehen sind, erläutern die Parallelen des ersten Films.
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Neo und Morpheus: Geschichtsstunde im Konstrukt I

A: Spiegelungen
◄ Die Kamera nähert sich Neos Gesicht, dieser blickt erst nach rechts, dann nach links.
► Die Kamera nähert sich dem Monitor, der anschließend Neo zeigt, dieser blickt erst nach rechts, dann nach links.
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◄ Die Kamera vollzieht eine Drehbewegung um Neos Gegenüber.
► Neos Gegenüber vollzieht eine Drehbewegung in seinem Stuhl.
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In beiden Räumen dreht sich das Geschehen um einen Bildschirm / zahlreiche Bildschirme, die als Negative gestaltet sind.
◄ Der Bildschirm ist innen dunkel und außen grün, zudem ist er nach innen gewölbt.
► Die Bildschirme sind außen dunkel und innen grün, zudem ist er nach außen gewölbt.
◄ & ► Sie werden  von  Neos Gegenüber mit einer Fernbedienung gesteuert.
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◄ & ► Neo wendet seinen Blick von seinem Gegenüber ab und sieht in Richtung des Bildschirms / eines der Bildschirme …
◄ & ► … die Kamera folgt seinem Blick, zoomt in den Bildschirm hinein …
◄ & ► … die zuvor nur abgebildete Realität wird zur Realität des weiteren Geschehens.
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◄ „Welcome to the desert of the real.”
► „Which has led you, inexorably … here.”
◄ & ► The desert of the real is here!
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◄ & ► Die Kamera bewegt sich auf die Akteure zu.
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B: Thematische Parallelen
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C: Im Zentrum des Konstruktes
Selten weisen in der Matrixtrilogie zwei Handlungsorte einen derart hohen Grad an Übereinstimmung auf wie das Konstrukt und der Raum des Architekten. Verbindende Elemente sind die klinisch-kalt-weiße Gestaltung, die Ausstattung mit einem Sessel / Sesseln, Morpheus Anzug in den Farben der Monitore, sowie die per Fernbedienung gesteuerten Monitore.
Dieses eine Mal erweisen sich die Wachowskis als gnädig und befreien den Rezipienten von schwierigen Deutungsversuchen. Es besteht keine Notwendigkeit selbst herauszufinden, welche Rolle der Architekt für die Subebene der Erzählung spielt. Die zahlreichen Reflexionen fordern den Zuschauer auf, die beiden Szenen miteinander in Beziehung zu setzen.
Hat man die Parallelen erkannt, dann trifft einen der Hinweis von Morpheus …
… wie ein Hammer auf den Kopf. Diese Aussage richtet sich nur auf der Oberfläche an Neo, auf der Subebene erhält der Rezipient die Information, die er zur Entschlüsselung des Geschehens im Raum des Architekten benötigt: Der Raum des Architekten ist das Konstrukt!
Die Matrix-Trilogie erzählt die Geschichte eines sich wandelnden Bewusstseins. Sie tut dies, indem sie das Bewusstsein als Konglomerat verschiedener Interessengruppen konzipiert, die um die Vorherrschaft streiten. Das Bewusstsein wandelt sich, indem sich seine Realitätskonstruktion wandelt. Die Vorstellung, die ein individuelles Bewusstsein vom Wesen der Wirklichkeit entwickelt, wird hier im Sinne des Konstruktivismus nicht als reales Abbild der äußeren Wirklichkeit definiert, sondern als subjektive innere Reflexion dieser Wirklichkeit: ein Abbild, dessen Grad an Übereinstimmung mit der wirklichen Wirklichkeit uns immer verschlossen bleiben wird.
Auf der Subebene der Trilogie ist die Matrix das Bild für den Bestandteil des menschlichen Bewusstseins, den der Verstand bildet. In diesem Verstand herrscht eine Wirklichkeitsvorstellung; sie wird interpretiert als subjektive Konstruktion und bekommt ein Zentrum, einen Kern. Dieses Zentrum der Wirklichkeitskonstruktion wird in Form des Architekten und seines Raumes personifiziert. Im Finale von Reloaded begegnet Neo also niemand geringerem als dem Konstrukteur, dem Architekten der herrschenden Realitätskonstruktion.
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Neo und Rhineheart
A: Spiegelungen
◄ Die Oberfläche der Fensterscheibe ist streifig. Durch die Bewegung des Scheibenwischers entsteht ein klares Bild. Das erste Bild zeigt weiße Punkte vor einem dunklen Hintergrund.
► Die Oberfläche des Bildschirmes ist streifig. Durch die Bewegung der zoomenden Kamera entsteht ein klares Bild. Das letzte Bild zeigt weiße Punkte vor einem dunklen Hintergrund.
◄ & ► Neo dreht seinen Kopf und fixiert sein Gegenüber. Im Hintergrund befinden sich quadratische Strukturen.
◄ Neos Gegenüber vollzieht eine Rückwärtsbewegung in seinem Stuhl.
► Neos Gegenüber vollzieht eine Drehbewegung in seinem Stuhl.
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◄ Neo dreht seinen Kopf nach rechts und blickt auf die Fenster.
► Neo dreht seinen Kopf nach rechts und blickt auf die Monitore.
◄ Durch die Bewegung des Fensterputzers wird die streifige Oberfläche des Fensters zu einem klaren Bild.
► Durch die Bewegung der zoomenden Kamera wird die streifige Oberfläche des Monitors zu einem klaren Bild.
◄ & ► Neos Blick fixiert wieder sein Gegenüber, es fällt ein entscheidender Satz:
◄ “The time has come to make a choice, Mr. Anderson.”
► “Choice. The problem is choice.”

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B: Thematische Parallelen
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C: Hat ein Mitarbeiter ein Problem…
This if an employee has a problem, the company has a problem.
The anomaly is systemic, creating fluctuations in even the most simplistic equations.
Eine Wirklichkeitskonstruktion ist eine Theorie über das Wesen dieser unserer Wirklichkeit. Als solche kann sie niemals einen Absolutheitsanspruch für sich geltend machen. Sie ist immer nur die vorläufig beste Erklärung der wahrgenommenen Realität, sie bleibt immer eine von verschiedenen Möglichkeiten. Aus diesem Grund stehen Wirklichkeitskonstruktionen unter dem permanenten Zwang sich an der existierenden Realität messen zu lassen. Das Wesensmerkmal einer guten Gesamttheorie ist, dass sich alle Einzelaspekte aus ihr heraus erklären lassen. Lässt sich ein Aspekt nicht erklären, dann kann die gesamte Theorie nicht richtig sein. Anders formuliert: Widersetzt sich ein Realitätsaspekt der Autorität der Wirklichkeitskonstruktion, lässt sich irgendetwas da draußen (oder eben auch da drinnen) nicht integrieren, dann hat die gesamte Konstruktion ein Problem. Sie wird als Ganzes in Frage gestellt und damit auch die Deutung jedes einzelnen Aspekts der Realität.
Wenn der Architekt das Konstrukt ist, d.h. das personifizierte Zentrum einer Realitätskonstruktion, dann hat diese Konstruktion ein massives Problem. Sie ist nicht in der Lage eine Theorie über das Wesen der Wirklichkeit zu konstruieren, in die sich alle Aspekte integrieren lassen.  
Das Problem äußert sich in zwei Formen:
1.) Geringe Anteile, die das Bewusstsein ausmachen, lassen sich nicht aus der Perspektive dieser Konstruktion erklären. Sie widersetzen sich seiner Autorität. Eine Lösung des Problems war für den Architekten selbst nicht möglich, deshalb benötigte er Hilfe. Die Lösung ist das Exil. Damit die Anteile, die sich nicht integrieren lassen, nicht zu einem Problem des Ganzen werden, wird ihnen die Flucht aus dem System erlaubt.
2.) In regelmäßigen Abständen entsteht etwas im Bewusstsein, das mit der Macht ausgestattet ist, die Gültigkeit des gesamten Systems in Frage zu stellen und es herauszufordern.
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Neo und Morhpeus - rot oder blau?
A: Spiegelungen
◄ Neos Gegenüber vollzieht eine Drehbewegung.
► Neos Gegenüber vollzieht eine Drehbewegung in seinem Stuhl.
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◄ Die Akteure bewegen sich auf die Kamera zu.
► Die Kamera bewegt sich auf die Akteure zu.
◄ & ► Die Kamera zeigt die beiden Alternativen aus entgegen gesetzten Blickwinkeln, wodurch – je nach Perspektive – aus links rechts wird und umgekehrt.
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Zusammen betrachtet finden sich in den folgenden Bildern dieselben Inhalte:
◄ & ► Eine der Alternativen wird erkennbar
◄ blaue Pille ► die erste Tür
◄ & ► Die Alternative spiegelt sich in den Augen der Person, die Neo vor die Wahl stellt
◄ in Morpheus Brille ► in der Blickrichtung des Architekten
◄ & ► Neos Gesicht wird mehrfach gespiegelt
◄ in Morpheus’ Brille ► in den Bildschirmen des Architekten
Entsprechend die Präsentation der zweiten Alternative:
◄ & ► Neo lässt seinen Blick zwischen den Alternativen schweifen …
◄ & ► …er trifft eine Entscheidung …
◄ & ► …bewegt sich auf seine Wahl zu, kurz vor dem Erreichen wird er von seinem Gegenüber angesprochen und hält daraufhin einen Augenblick inne ...
◄ & ► … die Wahl, die Neo getroffen hat, erzeugt bei seinem Gegenüber ein Lächeln.
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B: Thematische Parallelen
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C: Der Splitter im Konstrukt
Für die Menschen innerhalb der Matrix gibt es keine Möglichkeit zu erkennen, dass ihre Welt konstruiert ist. Alles, was sie wahrnehmen und alles, was sie erleben, ist immer schon und immer noch: die Matrix. Ist immer: drinnen! Ein Draußen ist nicht wahrnehmbar und nicht beobachtbar. Die immanente, die beobachtbare Welt ist die Welt der Matrix, ein Jenseits davon bleibt scheinbar unerreichbar. Die Menschen in der Matrix können sich ihre Wirklichkeitskonstruktion ausschließlich anhand dieser Scheinwelt erarbeiten. Welchen Ursprung haben dann Neos Zweifel? Sie nähren sich nicht aus den Beobachtungen der äußeren Welt, sie dringen nicht von außen ins Bewusstsein ein. Die Zweifel entspringen nicht verifizierbaren Fakten, sie basieren auf Gefühlen. Morpheus – dem dies selbst nicht fremd zu sein scheint – diagnostiziert bei Neo ein immer schon präsentes Gefühl, dass etwas nicht stimme mit dieser Welt. Neo widerspricht nicht. Beruhen diese Zweifel auf Gefühlen, dann können sie nicht durch Beobachtungen des Äußeren, sondern nur durch Selbstbeobachtung erforscht werden. Der Splitter im Verstand, das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt mit dieser Welt, erzeugt einen Konflikt zwischen innen und außen. Durch Selbstwahrnehmung wird die Wahrnehmung der beobachtbaren Welt in Frage gestellt. Diese Selbstbeobachtung des Bewusstseins im Hinblick auf individuelle Gefühle ist ein zentrales Anliegen der Trilogie.
Ein immer wieder eingesetztes Stilmittel der Trilogie ist ein Ebenenwechsel zwischen dem ersten Film und den Fortsetzungen: Betritt Neo im ersten Film einen Raum, den Morpheus als Konstrukt bezeichnet, so symbolisiert der Raum des Architekten die Realitätskonstruktion eines individuellen Bewusstseins. Was im ersten Film sichtbar geschieht, erläutert die Symbolik der Fortsetzungen. So auch hier: In Matrix weiß Neo nur, dass irgendetwas nicht stimmt. Woher dieses Gefühl stammt, wie es sich im Bewusstsein Gehör verschafft und warum es sein Handeln bestimmen kann – all diese Fragen lässt Matrix offen. Der Stachel sorgt dafür, dass Neo sich aus dem System befreit. Der Zuschauer erlebt dies aus der Außenperspektive mit. In den Fortsetzungen findet ein Ebenenwechsel auf die Innenseite statt, der Prozess der Befreiung aus einem System wird aus der Innenperspektive gezeigt. Der Zuschauer betrachtet nicht Neos Bewusstsein von außen, er befindet sich innerhalb eines Bewusstseins. Die Matrix symbolisiert den menschlichen Verstand, der Architekt das Zentrum der herrschenden Realitätskonstruktion. Wenn Neo ihm gegenübersteht und seine Herrschaft herausfordert, dann fühlt Neo nicht einen Stachel im Verstand, sondern er selbst ist dieser Stachel. Das, was der Architekt etwas hilflos als Anomalie bezeichnet, ist das personifizierte Gefühl, dass etwas nicht stimmt mit dieser Realität - und Neo ist derjenige, der ausgestattet ist mit der Macht alles zu ändern. Wenn Neo auf den Architekten trifft, dann begegnen sich der Splitter im Verstand – das Gefühl, dass etwas nicht stimmt mit dieser Realität – und der Architekt, der diese Realität konstruiert hat!
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Morpheus und Smith
A: Spiegelungen
◄ Neos Gegenüber unterzieht seinem Stuhl einer Drehbewegung.
► Neos Gegenüber vollzieht eine Drehbewegung in seinem Stuhl.
◄ Die Akteure bewegen sich auf die Kamera zu.
► Die Kamera bewegt sich auf die Akteure zu.
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B: Thematische Parallelen
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C: Mangelhafte Ausdrucksmöglichkeiten?
"Some believed that we lacked the programming language to describe your perfect world.
Die Realitätskonstruktion, die der Architekt symbolisiert, ist eine rational-materialistische. Sie vertritt eine reduktionistische Deutung der Dinge: Um das Ganze zu verstehen, muss man die Summe seiner Bestandteile verstehen. Alle Phänomene dieses Universums lassen sich im Prinzip durch die grundlegendste Wissenschaft, die Mikrophysik, erklären. Entsprechend basieren die Deutungen der Wirklichkeit auf Betrachtungen der beobachtbaren Welt und auf ihrer Erklärung durch Vernunft und Logik. Die (Programmier-) Sprache, in der der Architekt denkt, ist ein Netzwerk von sich jeweils einander ausschließenden Möglichkeiten: links oder rechts, wahr oder falsch, 0 oder 1. Mit dieser Form der Wirklichkeitsbeschreibung – dieser Sprache – ist es dem Architekten nicht gelungen, die Realität vollständig zu beschreiben. Neo und die Einwohner Zions zeugen davon. Ergo: Reduktionismus ist keine Theorie, die das Sein in seiner Gesamtheit beschreiben kann. Um allen Aspekten der Wirklichkeit gerecht zu werden, braucht es eine andere Art des Denkens, eine, die nicht nur auf die beobachtbare Oberfläche der Dinge fixiert ist, sondern die sich auf die Beobachtung des eigentlich Unbeobachtbaren konzentriert: die Selbstbeobachtung des Innenlebens eines Bewusstseins. Genauer: Die Selbsterforschung hinsichtlich von Deutung und Bedeutung individueller und subjektiver Empfindungen und Gefühle, den Wunsch ihnen und ihrer Herkunft auf den Grund zu gehen.
Diese unterschiedliche Arten des Denkens sollen vielleicht die Monitore ausdrücken: Es gibt Möglichkeiten jenseits von links oder rechts, wahr oder falsch. Deshalb die Vielzahl von Neos auf den verschiedenen Monitoren. Warum existieren derart viele, sich unterschiedlich verhaltende Abbildungen von Neo und warum zoomt sich das Geschehen zuweilen in das Abbild des einzigen Neos, der sich nicht rebellisch verhält? All diese verschiedenen Ausprägungen werden vom Architekten durch Reduktion zur Konformität gezwungen, indem er Neos Handlungsalternativen auf zwei Möglichkeiten – links oder rechts – reduziert.
Auf diese Diskrepanz zwischen vielfältigen Möglichkeiten und ihrer Reduktion weisen möglicherweise die Fensterputzer in Rhinehearts Raum hin. Ihr Quietschen lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fenster und damit auf die Monitore im Raum des Architekten. Zudem erzeugen sie einen freien Blick auf die Welt außerhalb der Räume und Gebäude, was in der Trilogie einen freien Verstand – jenseits einschränkender Konstrukte – bedeutet.

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Neo und Morpheus – der Auserwählte und die Prophezeiung
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Thematische Parallelen
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Neo und Smith
A: Spiegelungen
Neos Verhör durch Smith beginnt mit einem sehr deutlichen Hinweis auf die Parallelität dieser Szene mit dem Architektenmonolog.
◄ Die Kamera zoomt aus dem Raum des Architekten durch den Monitor heraus.
► Die Kamera zoomt in den Raum des Architekten durch den Monitor hinein.
Auf die offensichtlichen folgen noch eine Reihe von besser getarnten Variationen.
◄ & ► Neo blickt von der Mitte erst nach links, dann nach rechts.
◄ & ► Die Kamera schwenkt nach rechts und fixiert Neo, die Tür verschwindet links im Bild.
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◄ & ► Neo wird mit Dokumentationen seines bisherigen Lebens konfrontiert.
◄ & ► Er reagiert mit zwei aufeinander folgenden Kopfbewegungen:
1. Sein Kopf dreht sich langsam zur Seite.
2. Er bewegt sich schnell nach unten.
Die Wachowskis haben ein ausgeprägtes Faible für Kopfbewegungen. Etliche Variationen weisen als vereinendes Element gleiche Kopfbewegungen der Akteure auf.
Aber auch Handbewegungen sind beliebt: Vollzieht der Architekt die folgende Bewegung in Reloaded langsam und bedeutungsvoll, so reduziert sie sich bei Smith zu einem schnellen Aufschütteln der Ärmel.
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◄ Die Akteure bewegen sich auf die Kamera zu.
► Die Kamera bewegt sich auf die Akteure zu.
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B: Thematische Parallelen
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C: Zwei Leben leben
When the Matrix was first built, there was a man born inside who had the ability to change whatever he wanted, to remake the Matrix as he saw fit.”
The other life is lived in computers, where you go by the hacker alias Neo.”
The function of the One is now to return to the Source, allowing a temporary dissemination of the code you carry, reinserting the prime program.”
Der Architekt offeriert Neo zwei Alternativen: Die erste sieht seine vollständige Rückkehr ins System vor. Die Schwankungen in den Gleichungen wären behoben und das temporäre Ungleichgewicht wieder ausgeglichen. Die andere Alternative impliziert, dass Neo sich endgültig außerhalb des Systems stellt. Das sich durch ihn ausbreitende Ungleichgewicht würde unweigerlich zur Zerstörung der Matrix führen. Da das Ganze ein Problem hat, wenn ein Teil ein Problem hat, bedeutet dies das Ende des Ganzen; das Programm bricht zusammen.
Aus der Perspektive des Architekten ist diese rein destruktive Interpretation von Neo nachvollziehbar, fehlt ihm doch die Eigenschaft hinter die Entscheidungen zu blicken. Er ist das Zentrum der herrschenden Realitätskonstruktion und deshalb nicht in der Lage, über sich und sein Programm hinaus zu denken, sich eine Existenz jenseits von ihr vorzustellen.
Jenseits des begrenzten Horizonts des Architekten jedoch zeigen sich in Neos Existenz zwei andere Alternativen. Noch in der Matrix gefangen, war seine Existenz außerhalb des Systems die eines Hackers, einer Person also, die in der Lage ist in Programme einzudringen und sie von innen heraus nach seinen Vorstellungen zu ändern. Diese Eigenschaft kennzeichnet auch Neo, den Auserwählten: Er ist derjenige, der alles in der Matrix nach seinen Vorstellungen ändern kann, der das entstandene Ungleichgewicht durch ein neues Gleichgewicht, basierend auf einer anderen Grundlage, beenden kann, der damit Ende und Anfang zugleich ist.
Die Alternativen, aus denen Neo letztlich tatsächlich wählen muss, sind entweder die Erhaltung des Bestehenden oder die Erschaffung von etwas gänzlich Neuem.
Schließlich werden sich die Worte des Architekten doch als Wahrheit erweisen, als eine, die die Worte der Prophezeiung bestätigt. Aus einer höheren Ebene der Erkenntnis verschmelzen These und Antithese in einer Synthese:
The function of the One is now to return to the Source… 
~ Die Funktion des One ist nun zur Quelle zurückkehren ...
… allowing a temporary dissemination of the code you carry…
 eine befristete Verbreitung der Code, den Sie durchführen
…reinserting the prime program.”
 Wiedereinsetzen des Hauptprogramms
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Neo und Morpheus – Ein Gefängnis für den Verstand
Sowohl in Matrix wie auch in den Fortsetzungen ist Neo zunächst ein unwissender Sklave. Er befindet sich in einem Gefängnis, das er nicht riechen, schmecken oder anfassen kann. In einem Gefängnis für den Verstand. Im ersten Film ist dieses Gefängnis das Innere der Simulation. In Reloaded ist das Gefängnis das System des Auserwählten, das ihn kontrolliert und schließlich in den Raum des Architekten führt – das alles beherrschende Konstrukt. Damit vollzieht die Trilogie erneut einen Ebenenwechsel zwischen dem ersten Film und den Fortsetzungen. In Matrix handelt es sich um ein Gefängnis für Neos Verstand, nur ein Splitter in ihm vermittelt ihm dieses Gefühl. Der Zuschauer betrachtet dies von außen. In den Fortsetzungen wechseln die Wachowskis erneut in die Innenperspektive des Bewusstseins. Der Architekt symbolisiert die im Verstand eines Individuums herrschende Vorstellung vom Wesen der Wirklichkeit. Dieser Verstand befindet sich in der Gefangenschaft dieser Wirklichkeitskonstruktion, einem Gefängnis, dass er nicht riechen, schmecken oder anfassen kann. Er ist der Sklave einer materialistischen Deutung der Realität und Neo symbolisiert den Stachel in diesem Verstand, das Gefühl,  das etwas mit dieser Konstruktion der Wirklichkeit nicht stimmt.
In beiden Fällen wird Neo vor die Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit gestellt. Der Architekt verfügt demnach lediglich über die Macht die Begeleitumstände von Neos Wahl zu beeinflussen, die Macht eine Entscheidung zu treffen bleibt bei Neo. In beiden Räumen wählt Neo die Freiheit. Er lässt sich von Morpheus aus dem System ausgliedern und vom Architekten nicht wieder eingliedern. Er verlässt erst das Innere der Simulation und schließlich die Wirklichkeitskonstruktion. Beide Entscheidungen bedeuten für Neo einen Übergang in eine neue und unbekannte Welt. Hier wie dort beginnt er in der Folge die bekannte Welt zu transzendieren, bisher gültige Grenzen der Wahrnehmung zu überschreiten und die nächst höhere Erkenntnisebene zu erreichen.
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Geländer oder Handschellen?
A: Spiegelungen
◄ & ► Neo richtet seinen Blick auf die Alternativen:
Rechte Tür: ungewisse Freiheit
Linke Tür: Gefangenschaft
◄ & ► Er richtet seinen Blick auf die Freiheit verheißende Tür und bewegt sich auf diese zu.
◄ & ► Kurz vor dem Durchschreiten verharrt er einen Augenblick und sieht zurück.
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B: Thematische Parallelen
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C: Außerhalb der Gebäude
Die Matrix symbolisiert den Verstand. Die Herrschaft einer rationalistischen Realitätskonstruktion in ihm symbolisieren die Wachowskis durch die Gebäude, die die Matrix prägend. Neos Entwicklung manifestiert sich in einer zunehmenden Beherrschung des Raumes außerhalb der Gebäude. Beginnend mit diesem Fluchtversuch, dann der erste Sprung, darauf folgend die Rettung Morpheus’ im Flug, wenn auch noch mit einem Seil am Helikopter hängend und schließlich die absolute Beherrschung am Ende des ersten Films und in den Fortsetzungen. Das Verlassen der Gebäude und das Verlassen des Raumes des Architekten symbolisiert in beiden Fällen die Flucht aus dem System der herrschenden Realitätskonstruktion.

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 Neo und Switch  – „Our way or the Highway“

A: Spiegelungen
◄ & ► Neo richtet seinen Blick auf die Alternativen:
◄ Rechts: er bleibt bei Trinity und wählt damit die Fahrt in eine unbekannte Zukunft.
► Rechts: er kehrt zu Trinity zurück und wählt damit eine unbekannte Zukunft.
◄ & ►  Links: er kehrt dahin zurück, woher er gekommen ist, zurück ins System.
◄ Neo richtet seinen Blick auf die linke Alternative und beginnt eine entsprechende Bewegung.
► Neo richtet seinen Blick auf die rechte Alternative und beginnt eine entsprechende Bewegung.
◄ Trinity wendet sich an Neo, dieser verharrt darauf hin einen Augenblick und richtet seinen Blick auf sein Gegenüber.
► Der Architekt wendet sich an Neo, dieser verharrt darauf hin einen Augenblick und richtet seinen Blick auf sein Gegenüber.
B: Liebe oder Nihilismus
She is going to die, and there is nothing you can do to stop it.”
In dem Augenblick, als der Architekt diese Aussage macht, trifft Neo seine Entscheidung. Er entscheidet sich nicht für eine der offerierten Alternativen, vielmehr negiert er die Ausschließlichkeit dieser Wahlmöglichkeiten, implizieren doch beide Varianten den Tod Trinitys. Warum stirbt Trinity? Reloaded beginnt und endet mit dem möglichen Tod Trinitys; ihr Überleben steht in einem direkten Zusammenhang mit Neos Entscheidung im Raum des Architekten. Neo liebt sie – welche Bedeutung wird diesem Gefühl beigemessen, im Rahmen einer reduktionistischen Realitätskonstruktion?
Liebe existiert als biochemischer Prozess, es wird reduziert auf seine äußeren beobachtbaren Anteile. Die Innenseite, das Unbeobachtbare dieses Gefühls, die subjektiven Wahrnehmungen in unserem Bewusstsein werden nicht berücksichtigt, ihre Bedeutung negiert, sie existieren nicht. Liebe ist aus reduktionistischer Perspektive kein lebendiges Gefühl, sondern tote Chemie.
Neos Vorgänger waren bereit sich wieder in das System integrieren zu lassen; er selbst verweigert sich diesem Prozess. Der einzige Unterschied zwischen Neo und seinen Vorgängern, von dem wir erfahren, ist seine Wahrnehmung der Liebe. Er hat sie nicht nur als allgemeines Gefühl erfahren, sondern als intensives Erleben mit einem anderen Menschen. Akzeptiert Neo die Deutung des Erlebten durch den Architekten, dann stirbt die Bedeutung dieses Gefühls: Trinity stirbt.
Die Konfrontation zwischen Neo und Switch im Auto zeigt die Alternativen, zwischen denen Neo letztendlich seine Wahl wird treffen müssen: Liebe oder Nihilismus?

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Neo und Morpheus: Geschichtsstunde im Konstrukt II
Während Neo in Reloaded einen recht harmonischen Übergang in den Raum des Architekten erleben durfte, wird ihm – der er doch den Splitter im Verstand symbolisiert – im ersten Film das Konstrukt recht rabiat in Form eines großen und langen Splitters in den Verstand gerammt.
Auch beim Verlassen des Raumes des Architekten zeigt sich Neo emotional eher zurückhaltend. In Matrix dagegen durfte er seine Gedanken und Gefühle bezüglich einer reduktionistischen Deutung der Welt so richtig ausleben:
◄ = ◄ & ► ”No. I don't believe it. It's not possible.
◄ = ◄ & ►  “Stop. Let me out. Let me out. I want out.”
Take this thing off me. Take this thing ...
I don't want it! I don't believe it! I don't believe it!
Das Neo am Ende den Verstand schließlich vom Konstrukt befreit, nehmen die Wachowskis ebenfalls vorweg. Auch hier gilt wieder: Was in den Fortsetzungen symbolisch geschieht, geschieht im ersten Film leibhaftig. Dass Neo den weißen Raum erbricht zeigt widerum, dass die Brüder gelegentlich bei der Erfindung von Parallelen etwas spezielle Wege gehen.

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Zusammenfassung
Die Inszenierung von Neos Aufeinandertreffen mit dem Architekten ist ein weiteres Beispiel für das Streben der Wachowskis nach einer Einheit von Inhalt und Form. An keiner anderen Stelle sind die Sprache und die Struktur dergestalt komplex konstruiert und die Informationsdichte so hoch wie hier im Zentrum der Realitätskonstruktion.
Die beiden wichtigsten Akteure im Kampf des Bewusstseins treffen direkt aufeinander. Der Architekt wird als personifizierte Konstruktion eines rational-materialistischen Weltbildes gedeutet. Dieser Materialismus wird als Theorie charakterisiert, die nicht alle Aspekte der Wirklichkeit erklären kann und die damit die Realität unvollständig abbildet. Sie berücksichtigt nicht die mit dem subjektiven Gefühlsleben verbundenen Wahrnehmungen auf der Innenseite des Bewusstseins. Ein Teil dieses Bewusstseins ist deshalb nicht bereit die Autorität der Konstruktion zu akzeptieren. Das Orakel, Zion und schließlich Neo symbolisieren den Widerstand. Neo ist ausgestattet mit der Macht eine Entscheidung für oder gegen das herrschende System zu treffen. Er stellt entsprechend eine Bedrohung für die Konstruktion und damit für das gesamte Gleichgewicht des Bewusstseins dar. Mit Hilfe des Subkontrollsystems, der Installierung eines dogmatischen Glaubens an den wiederkehrenden Auserwählten, versucht die Konstruktion dieser Gefahr Herr zu werden und sie wieder in das System zu integrieren. Neo widersetzt sich. Er verweigert eine Entscheidung zu akzeptieren, bei der beide Varianten Trinitys Tod bedeuten, er macht sich auf, den Verstand aus dem Gefängnis seiner herrschenden Wirklichkeitskonstruktion zu befreien.

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