Wahnsinn!
unendlichen Dank dafür - noBody
Die gesamte Geschichte ist eine Metapher für interne Bewusstseinsprozesse!
Es wird von einem Bewusstsein berichtet, dass sich in Aufruhr befindet; es ringt um die Antwort auf eine Frage. Genauso genommen wird es getrieben von der grundlegenden Frage, der Frage nach der eigenen Selbstdefinition, die sich nur eine selbstreflexive Lebensform stellen kann:
Wie kommt es, dass all die Prozesse im Gehirn, diese 100 Milliarden verschalteter Neuronen, zu einem subjektiven Innenleben des Bewussteins führen, zu der Perspektive der ersten Person? Einfacher formuliert: Was ist das Bewusstsein? Wie verhält es sich zur Materie? Gibt es jenseits der materiellen Wirklichkeit noch eine immaterielle? Welchen Ursprung hat es? Wird es ohne seine materielle Trägersubstanz weiter existieren? Ist es eine reine Reiz-Reaktionsmaschine oder gibt es einen freien Willen? Wieso empfindet es Gefühle?
Matrix offeriert zwei miteinander konkurrierende Deutungen der Wirklichkeit als Antworten:
Die Welt ist ein Uhrwerk
Alle Erscheinungen der Natur gehen auf Bewegungen materieller Körper
zurück. Diese Bewegungen folgen den Regeln der Physik und sind somit
kausal determiniert. Der Kosmos funktioniert wie ein Uhrwerk; die
Zukunft ist lediglich eine Funktion des aktuellen Zustands. Der Mensch innerhalb dieses Kosmos’ ist eine Maschine,
ein Automat, sklavisch eingebunden in den immer währenden Prozess von
Ursache und Wirkung. Das Bewusstsein reduziert sich auf eine
Begleiterscheinung materieller Prozesse, ein Nebeneffekt der zufällig
der Materie innewohnenden Fähigkeit zu komplexer Formbildung. Freier
Wille, der Glaube an einen umfassenden Sinn, Liebe? Alles Illusionen:
Versuche des Bewusstseins sich nicht der Sinnlosigkeit der eigenen
Existenz stellen zu müssen. Ohne bewusste Entscheidungen kann es keine
Richtlinien geben, die diese Entscheidungen lenken. Eine übergeordnete
Rechtfertigung für Werte ist nicht existent, Nihilismus die einzig
logische Konsequenz.
Der Ursprung des Kosmos ist die Selbstentfaltung des absoluten Geistes
Die Existenz eines bewussten und
seine Realität hinterfragenden Verstandes - Gefühle, die sich gegen eine
Reduzierung auf ihre biochemischen Anteile wehren - deren bewusstes
Empfinden auf der Innenseite des Bewusstseins - das Bedürfnis nach und
der Glaube an einen umfassenden Sinn : all dies sind Aspekte unserer
Existenz, die nicht hinreichend von einer rein materialistischen Deutung
erklärt werden können. Sie weisen über die materielle Oberfläche, über
das Beobachtbare in dieser Welt hinaus auf die Existenz einer weiteren,
einer unbeobachtbaren Ebene. Das Unbeobachtbare spiegelt sich im Beobachtbaren.
Die Filme erzählen die Geschichte eines kämpfenden Bewusstseins.
Es ringt um die Frage nach der Wahrheit über die eigene Existenz und
dem Problem, wie diese zu erkennen ist. Der Konflikt findet zwischen den
beiden genannten Realitätskonstruktionen – zwischen einer
materialistischen und einer Transzendenz erkennenden Deutung unserer
Wirklichkeit – statt. Am Ende trifft das Bewusstsein eine Entscheidung,
die seine eigene Realität radikal ändert.
3. Die Form der Subebene: Die Substruktur
Das wichtigste Strukturprinzip
für die auf der Oberfläche erzählten Handlung – den Konflikt zwischen
Menschen und Maschinen – ist die Chronologie. Neo wird befreit, er
kämpft gegen die Maschinen, er stirbt: Anfang, Mittelteil, Schluss. Im
Subtext geht es um die Fragen:
Was bestimmt unsere Wirklichkeit? Wie
lässt sich diese erkennen?
Für das Erzählen dieses Subtextes verwenden die Wachowskis eine Substruktur; diese liegt verborgen unter der Chronologie und könnte übergreifend als Mustervariation bezeichnet werden.
Für dieses Strukturierungsprinzip
haben sich die Wachowskis von Hegels Dialektik inspirieren lassen, einer
Theorie über die Evolution von Erkenntnis. Methodisch besagt diese,
dass sich Wahrheit im Verlauf der Zeit durch den Prozess von These,
Antithese und Synthese konstituiert. Jede These trägt bereits ihr
Gegenteil, ihr Negativ, in sich. Die Antithese ist die
Ausformulierung dieses Widerspruchs und damit die Negierung der
Ausgangsthese. Die Synthese hebt den Widerspruch zwischen These und
Antithese auf eine andere, eine höhere Ebene, eine Ebene des tieferen
Verständnisses. Aus dieser umfassenderen Perspektive höherer Ordnung
betrachtet heben sich die Widersprüche auf; These und Antithese werden
in einer Synthese zusammen geführt. Auch die Synthese ist nur eine neue These, allerdings stellt sie gegenüber der Ausgangsthese einen Erkenntnisgewinn dar.
In Hegels Dialektik geht es darum, das gleiche Problem nacheinander aus entgegen gesetzten Perspektiven zu betrachten und es entsprechend unterschiedlich zu deuten.
Dieses methodische Strukturprinzip des Erkenntnisgewinns haben die
Wachowskis transformiert in das grundlegende Strukturierungskonzept
ihrer Filme. Angeordnet in einem chronologischen Nacheinander geschieht in ihren Filmen immer wieder das Gleiche: Nicht in Form von schlichten Wiederholungen, sondern aus entgegen gesetzten Perspektiven betrachtet – als Spieglung im Negativ – und somit als unterschiedliche Deutung gleichen Geschehens.
Das Wachowskische Konzept der
Mustervariation integriert zwar das Hegelsche Konzept der Dialektik,
aber es basiert zudem auf einer weiteren Idee, die der Beobachtung des Unbeobachtbaren:
Eine einzelne Szene kann in all ihren Aspekten analysiert werden; für
sich betrachtet gibt sie ihre vollständige Bedeutung nicht preis; sie
weist über sich hinaus. Die Parallelen formen und reflektieren
sich gegenseitig, sodass erst eine Einbeziehung der unbeobachtbaren
Varianten die beobachtbare Szene in all ihren Aspekten erläutert.
Dieses Strukturkonzept der Mustervariation durchdringt Matrix
auf allen Ebenen. Von der Mikroebene einzelner Bilder über ganze
Szenen, von Sequenzen bis hin zur Makroebene ganzer Filme: permanent
wird variiert, kontrastiert, parallelisiert, gespiegelt, reflektiert,
reinterpretiert, werden Antithesen geschaffen oder wird zu Synthesen
zusammengefasst. Auf diese Weise konstituieren die Wachowskis ein
eigenes Bedeutungsvokabular, das in seiner Summe ein komplexes internes
Bezugsystem bildet.
Wer sich auf die Suche nach Mustern
begibt und die gesamte Trilogie daraufhin durcharbeitet, der wird
feststellen, dass die Wachowskis sich diesem Aspekt der Filme mit extrem
viel Aufmerksamkeit, Detailversessenheit, Kreativität und auch
überraschend viel Humor und Selbstironie gewidmet haben. Die Filme tun
zwar so, als erzählten sie eine chronologische Geschichte, doch das ist
lediglich Tarnung; im Grunde genommen sind sie reine Mustervariation!
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Ausblick
Matrix ist Mustervariation. Diesen Satz durch den Vergleich von Screenshots, Dialogen und Motiven zu belegen ist das erste Ziel dieser Seite. Das zweite ist es, aufzuzeigen, dass die Analyse und Interpretation dieser Substruktur zum oben beschriebenen Subtext führt.
Das didaktische Problem dieses
Anliegens wurde oben bereits beschrieben: Die Details werden
verständlich aus der Perspektive des Kerns; der Kern ergibt sich aus der
Summe der Details. Das Ganze ist extrem komplex, deshalb schwierig
darzustellen und wahrscheinlich auch nicht einfach nachzuvollziehen.
Trotzdem glaube ich, dass es sich lohnen könnte, sich mit dieser Seite auseinander zu setzen. Warum?
Den Wachowskis wurde immer wieder
vorgeworfen, dass sie kein in sich schlüssiges Werk hinterlassen haben
und der Rätsel ratenden Anhängerschaft auch keine Interpretationshilfe
bieten. Beide Vorwürfe sind falsch. Dem Zuschauer wird von den Brüdern
zwar keine fertige Interpretation geliefert, aber innerhalb und
außerhalb ihres Werkes haben die Beiden zahlreiche Spuren gelegt. Will
man wissen, welche Intention sie mit ihren Filmen verfolgen, dann reicht
es diesen Spuren systematisch zu folgen. Als Hobby betrieben kann sich
dieser Prozess dann schon mal ein knappes halbes Jahrzehnt hinziehen,
schließlich aber erreicht man einen Punkt, an dem sich alles, und ich meine wirklich ausnahmslos alles,
was in diesen Filmen zu beobachten ist, zusammenfügt und ein
Gesamtkunstwerk erkennbar wird, das in seiner Art einzigartig ist und
zwar in viel umfassender Weise als bereits allgemein anerkannt.
Die Bilder bleiben zwar die
gleichen, aber ihre eigentliche Intention kommt erst zum Vorschein, wenn
man sie aus der richtigen Perspektive betrachtet. Wenn man sie mit
ihren jeweiligen Variationen zusammen denkt und die in ihnen enthaltenen
Muster und Symbole erkennt, bekommen die selben Bilder eine andere Qualität und eine andere Bedeutung. Und sie beginnen eine andere Geschichte zu erzählen!
„Have fun!“
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