Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Donnerstag, 2. September 2021

Gesellschaft und Geistesdisziplin ~ Teil I

Materialismus vs Idealismus ~ <3 Wirklichkeitslehre (Bitte nehmt Euch Zeit für diesen Text)

Die Menschheit hungert seit Jahrtausenden nach sozialem Frieden und nach Sicherheit, ohne diesem Ziel erkennbar näher gekommen zu sein.

Gesellschaftssysteme entstanden und vergingen, Eroberungs- und Befreiungskriege wurden geführt, Millionen Menschen verbluteten auf den Schlachtfeldern für diese oder jene Idee - aber der uralte Wunsch der Menschen nach einem friedlichen und gesicherten Leben in einem Paradies sozialer Gerechtigkeit hat sich nicht erfüllt.

In unserer Welt der Rassen- und Klassengegensätze, in der Besitz als Freibrief zur Ausplünderung der Besitzlosen dient, in der eine rücksichtslose Ausschlachtung und Vergiftung der Umwelt das Überleben der nächsten Generation fraglich macht, In der Hunderttausende von toten und Krüppeln das Blutopfer des Fortschritts bilden, in der Gewalt bestimmt, was man unter Freiheit zu verstehen hat, in der aus Machtgier selbst vor Völkermord nicht zurückgeschreckt wird - in einer solchen Welt schreien die einen nach Ruhe und Ordnung, die anderen nach Revolution, einige steigen auf die Barrikaden, aber die meisten haben längst resigniert, wollen von "all dem" nichts mehr wissen und lassen sich willenlos treiben.


Als <3 werden wir aber weder blind reagieren, noch werden wir nur herum lamentieren, noch werden wir die Augen verschließen. Wir müssen vielmehr das Problem Gesellschaft wie jedes andere vorurteilslos untersuchen, es in seiner Widersprüchlichkeit erfassen, unsere eigenen Kräfte abschätzen und dann zielbewußt handeln.

Sehen wir uns zunächst einmal die gängigen Gesellschaftstheorien an! - Es gibt zwei sich widersprechende Ansichten darüber, wie die Welt zu verbessern sei: die eine lehrt, daß zuerst der gesellschaftliche Rahmen geändert werden müsse, damit sich der Mensch in Frieden und Wohlstand entwickeln könne; die andere fordert zuerst die Änderung des Menschen, aus der dann notwendig die Gesundung der Gesellschaft folge. Wenn wir das Problem schärfer fassen, sehen wir, daß es sich im Grunde um den Widerspruch Ich-Umwelt handelt, und daß der unterschiedliche Praxisansatz beider Anschauungen auf einer unterschiedlichen Interpretation dieses Widerspruchs beruht:


Die eine Seite setzt die Welt als primär vorhanden voraus, der Mensch wird in sie hinein geboren. Deshalb ist er durch sie bedingt und bestimmt, und eine Änderung seiner selbst ist nur mittels einer Änderung der äußeren Bedingungen durch die Praxis möglich. Hier bestimmt die Umwelt das Ich, das Sein, das Bewußtsein. Dies ist der Standpunkt des Materialismus.

Die andere Seite begreift die Welt als subjektive Gestaltung des Individuums. Grundlage alles Seienden ist hiernach der Geist, der entsprechend seinem Ordnungsvermögen die Welt konstruiert und nach außen projiziert. Die Welt ist nicht von Anfang an da, sondern sie ist Resultat eines subjektiven geistigen Prozesses; sie entsteht mit der Person, entwickelt sich mit ihr und geht mit ihr zugrunde. Deshalb bestimmt hier das Ich die Umwelt, das Bewußtsein, das Sein. Dies ist der Standpunkt des Idealismus.

Beide Anschauungen, Materialismus wie Idealismus, sind als Arbeitshypothesen für die Verbesserung der Gesellschaft unter bestimmten Bedingungen brauchbar, aber für sich genommen vermag keine das Daseinsproblem umfassend zu lösen. Ihre Schwäche und Gefahr liegt vor allem in der dogmatischen Fixierung auf jeweils nur eine Seite des Grundwiderspruchs Bewußtsein-Sein. So polarisiert, stehen sich Materialismus und Idealismus in Gesellschaftsfragen wie Todfeinde gegenüber, wodurch ihr ursprünglicher Ansatz, das Dasein für alle erträglicher und menschlicher zu gestalten, unerfüllt bleiben muß.

Der dogmatische Materialismus vergißt über dem Fetisch Gesellschaft das konkrete lebendige Individuum mit seinen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten. Die Gesellschaft entartet zum Selbstzweck, zum alles beherrschenden Dämon, dem der Mensch zu dienen hat. Kritik wird nur noch in einem Rahmen geduldet, der das System selbst nicht infragestellt. Eine Revision der Grundkategorien gilt als Verrat an der Allgemeinheit. So trägt der dogmatische Materialismus den Keim der geistigen Erstarrung und der gesellschaftlichen Stagnation in sich.

Die Einbeziehung der Dialektik in die moderne materialistische Weltanschauung stellt nun zweifellos einen erheblichen Fortschritt dar, der prinzipiell eine weitere positive Entwicklung des gesellschaftlichen Rahmens auf wissenschaftlicher Grundlage ermöglicht. Die politische Wirklichkeit lehrt aber, daß die inkonsequente Anwendung der Dialektik zu neuen gefährlichen Widersprüchen unter den Materialisten selbst führt. Wo nämlich die dialektische Kritik durch die materialistische Perspektive bereits vorbelastet ist, kann sie nicht bis zum Grundwiderspruch Bewußtsein-Sein vordringen. Halbe und tendenziöse Dialektik aber, die nur zur Stabilisierung weltanschaulicher Dogmen dient, befindet sich im Widerspruch zu sich selbst.

Die andere Anschauung, der Idealismus, propagiert für jeden Menschen alle geistigen Entfaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten; "Freiheit" ist das große Schlagwort. Dabei wird geflissentlich übersehen, daß die elementaren Bedürfnisse der Massen zunächst nicht im geistig-kulturellen Bereich liegen, sondern daß Freiheit zuallererst Freisein von Existenzangst bedeutet. Solange die breite Masse des Volkes seine Lebenskraft für die Beschaffung von Nahrung, Kleidung und Wohnraum aufbraucht, so lange wird die geistige Entwicklung das Privileg einer Minderheit sein.

Der Idealismus ist der beste Nährboden für die Entstehung elitärer Theorien, die in der Klassenstruktur der Gesellschaft mit ihren irrationalen Konsum- und Leistungszwängen ihren Niederschlag finden. Geistige Bildung, materieller Besitz und politische Macht werden mehr und mehr zum Vorrecht einer Elite, die sie zur Bevormundung, Ausplünderung und Niederhaltung der breiten Volksmassen mißbraucht. Ihre weltanschauliche Stütze finden solche Systeme durch die Glaubensreligionen, die die Sehnsucht nach einem sinnvollen und erfüllten Dasein auf ein "Jenseits" umlenken und das gesellschaftliche Elend als unerforschlichen Ratschluß eines letzten Geist-Schöpfers, einer göttlichen Autorität deuten.

Fassen wir noch einmal kurz zusammen: Das Problem Individuum - Gesellschaft läßt sich stufenweise schärfer fassen, zunächst im Widerspruch Ich-Umwelt, dann noch allgemeiner im Widerspruch Subjekt - Objekt, und schließlich im Grundwiderspruch Bewußtsein - Sein, gewöhnlich auch als Gegensatz von Geist und Materie bezeichnet. Der Materialismus lehrt, daß die Materie die Grundlage des Geistes sei; der Idealismus sieht den Geist als Schöpfer der Materie. Beide Ansichten neigen zum Dogmatismus und zeigen in ihrer gesellschaftspolitischen Anwendung keine ausreichende Perspektive zur umfassenden Selbstverwirklichung des Menschen.

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