|| Das Überselbst || Analyse des intelektuellen Selbst
Durch ein Verfahren des Abschälens und Ablösens ist also die Analyse des Selbst bis zu dem Punkte der Erkenntnis vorgeschritten, wo das Ich als ein Einheit erkannt wurde, deren Kundgebungen eine geheimnisvolle Veränderlichkeit besitzen: eine Einheit, die leben, sich bewegen und ihr Wesen haben kann abseits vom physischen Körper, den Gemütsbewegungen und dem Intellekt - die letzteren immer vom Standpunkt des aller Inhalte und allen Ausdrucks baren Selbst aus gesehen. Wenn die Untersuchung auch ergeben hat, dass das gesuchte Selbst nicht in den Teilen des menschlichen Wesens wohnt, in denen wir es vermutet hatten, wenn es uns auch noch immer ausweicht, so wissen wir dennoch, dass es existiert; wir fühlen, dass unser Sein wirklich ist, viel wirklicher als irgend etwas anderes, dass im einzelnen beschrieben werden kann.
Wir müssen unser Denken nun über den Bereich der gewohnten Erfahrung hinausgehen lassen und anfangen, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass wir dieses Ich so, wie es wirklich ist, ohne irgendeine Vermengung mit Gedanken und Gefühlen und ohne Behinderung durch den fleischlichen Körper, untersuchen können. Wenige, wenn überhaupt irgend jemand, erwägen eine solche Möglichkeit jemals; und doch ist dies der Weg, auf dem wir die eigentliche Wahrheit über den Menschen finden können, wie auch die Befreiung von vielen Bürden, die unsere Seele infolge der Unkenntnis unserer wahren inneren Natur bedrücken.
Die Wirkung solcher analytischen Erwägungen, wenn sie bis zu diesem Punkt gebracht und nach genügender Zeit weitgehend verstanden werden, ist eine revolutionäres Erwachen im Geiste, ein Hervorgehen aus der Nacht in die frühe Morgendämmerung, Denn das Geheimnis des Selbst beginnt nun, sich in unbegrenzte Weiten auszudehnen. Die Möglichkeiten eines umfassenderen Lebens, die sich uns zu eröffnen scheinen, bringen ein Gefühl hervor, dass einem Schauer von Ehrfurcht und Erwartung verwandt ist. Denn gewöhnlich ist der Geist an den Körper gefesselt, und nur wenn er von dieser Gefangenschaft befreit wird, kann die Hoffnung auf ein höheres Leben aufgehen. S.115/116
Im vorhergehenden Kapitel wurde das Verständnis dafür erreicht, dass das Selbst auf einen einzigen, dauerhaften Grundgedanken zurückgeführt werden kann, der unauflöslich mit den nie endenden Gedankenreihen verknüpft zu sein scheint, die in ihrer Gesamtheit Intellekt genannt werden. Da man auf diese Weise in einen dauernde geistige Tätigkeit verwickelt ist, hat man normalerweise nie die Gelegenheit, den Ichgedanken abseits von dieser Bewegung zu beobachten. Man ist im eigentlichen Sinn der Sklave dieser andauernden mentalen Bewegung, dieses unaufhaltsamen Stromes äußerer Eindrücke und innerer Ideen.
Die Idee der Zeit ist unzertrennlich mit der Idee der Bewegung verbunden...
...und das so lange, wie man unfähig ist, die Aufmerksamkeit von diesen
Gedanken und Erinnerungen zu befreien, man auch in dem Gefühl des
Fließens der Zeit gefangen gehalten wird.
S.135/136
...Vielleicht wird er auch erkennen, dass das, was in sein Leben gekommen ist, nicht ein Ding, sondern Geist ist, keine lebendige Bewegung, sondern lebendige Stille. Worte kräuseln nur ihre Oberfläche und verhüllen die Wahrheit. Das Schweigen des Überselbst ist das Anwesendsein von etwas höchst Lebendigem, das tiefer ist als die tiefsinnigsten Worte.
S.358
...Schweigen wird uns besser dienen als die überzeugendsten Reden.
S.359
...Nichtsdestoweniger kennt er - da er ja die Einheit das Überselbst erfasst hat - hinfort kein anderes Ziel, kann er gar kein anderes Ziel haben als das Wohlergehen aller Wesen. In seinem Herzen werden keine Unterschiede sein; aber die Notwendigkeit, sein Ziel mit größter Sparsamkeit an Mitteln und einem Minimum an Mitteln von Anstrengungen zu erreichen, beschränkt seinen Dienst auf jene, die reif und bereit für seine Hilfe sind, die ihm nicht mit dem Widerstand höhnischer Verachtung oder niedrigen Undanks begegnen. Deshalb bewegt er sich schweigend und ruhig durch die Welt, sein geistiges Königtum unter der fleischlichen Hülle verbergend, die das Schicksal ihm gegeben hat, und seine Jünger in die allgemeine Aufmerksamkeit vorschiebend, wo immer eine öffentliche Aufgabe ausgeführt werden muss.
Solcherart ist diese Uralte Suche, der die Menschheit sich gegenübergestellt sieht, diese SEHNSUCHT des fragmentierten Selbst nach dem vollständigeren Überselbst.
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