Eigenschaften, Isolation, Aufmerksamkeit, Erkenntnis, Intelligenz, Liebe,
Fürsorge, Illusion, Kummer, universal, Erbarmen
DB: Wir haben neulich festgestellt, dass die Liebe Intelligenz enthält.
Fürsorge, Illusion, Kummer, universal, Erbarmen
K: Erbarmen, Liebe und Intelligenz. Sie können ohne Intelligenz kein Erbarmen haben.
DB: Damit sagen wir, dass auch die Intelligenz universal ist!
K: Offensichtlich.
K: Natürlich.
DB: Die auch Fürsorge ist. Mit der Liebe meinen wir jene Energie, die auch Intelligenz und Fürsorge in sich birgt, das alles …
DB: Das ist wirklich das Problem.
K: Ja, das ist das
wirkliche Problem. Ist die Liebe etwas, das wie der Himmel ›draußen‹ ist
– wie alles andere da draußen? Ist die Liebe etwas Äußeres, das Sie mir
bringen, das Sie in mir erwecken, das Sie mir schenken wie eine Gabe?
Oder ist diese Eigenschaft in meiner Dunkelheit, in meiner Illusion, in
meinem Leiden vorhanden? Offensichtlich nicht, sie kann es nicht sein.
DB: Wo ist sie dann?
K: Das ist es ja
gerade. Die Liebe gehört weder Ihnen noch mir. Sie ist nichts
Persönliches, nicht etwas, das irgend jemandem gehört. Das ist die Liebe
nicht.
DB: Das ist ein
wichtiger Punkt. In ähnlicher Weise haben Sie von der Isolation
gesprochen, die keinem Menschen angehört, obgleich wir dazu neigen,
Isolation als persönliches Problem anzusehen.
K: Natürlich. Sie ist uns allen gemeinsam. Auch die Intelligenz ist nichts Persönliches.
DB: Aber sehen Sie, das widerspricht schon wieder unserer ganzen Art zu denken.
K: Ich weiß.
DB: Es ist erfunden
worden, aber wir haben das von Kindheit an sowohl verbal als auch
nicht-verbal, als Implikation, in uns aufgenommen. Deshalb durchdringt
es alles, es ist der Grund unserer Gedanken, all unserer Wahrnehmung.
Das also muss man in Frage stellen.
K: Wir haben es in Frage gestellt – dass Kummer nicht mein Kummer ist. Kummer ist etwas allgemein Menschliches und so weiter.
DB: Aber wie sollen die Menschen das verstehen? Denn jemand, der Kummer erfährt, empfindet diesen als seinen persönlichen Kummer.
K: Ich denke, das liegt zum Teil an unserer Erziehung, zum Teil an unserer Gesellschaft und ihren Traditionen.
DB: Aber das ist unserer ganzen Art zu denken innewohnend. Sehen Sie, da müssen wir hinausspringen.
K: Ja. Und das Hinausspringen wird zu einem Problem. Was soll ich also tun?
DB: Mir fällt gerade
ein Beispiel aus der Physik ein. Wenn ein Wissenschaftler oder ein
Chemiker ein Element wie Natrium studiert, sagt er nicht, dass es sein
Natrium ist oder dass irgendein anderer Wissenschaftler sein Natrium
studiert. Und natürlich vergleichen sie ihre Notizen und so weiter.
K: Genau. Natrium ist Natrium.
DB: Natrium ist universal Natrium. Deshalb müssen wir feststellen, dass die Liebe universal Liebe ist.
K: Ja, aber sehen Sie,
mein Geist weigert sich, das zu erkennen, weil ich so schrecklich
persönlich, so schrecklich mit ›mir und meinen Problemen‹ beschäftigt
bin. Ich weigere mich, das loszulassen. Wenn Sie sagen, dass Natrium
Natrium ist, ist das sehr einfach. Das kann ich verstehen. Aber wenn Sie
sagen, dass Kummer uns allen gemeinsam ist, wird das schwierig.
K: Ich bin nicht sicher, dass sie nicht
existiert. Erbarmen ist nicht: »Ich bin barmherzig.« Erbarmen ist da,
ist etwas, das nicht ›mir‹ gehört.
https://www.jkrishnamurti.de/WzS13-5.673.0.html
Die Karte ist ausgebreitet worden, und er hat das alles sehr genau gesehen: die Konflikte, das Elend, die Verwirrung, die Unsicherheit, das Werden. Das ist alles äußerst klar. Aber am Ende des Kapitels ist er wieder am Anfang. Oder vielleicht erhascht er einen kurzen Einblick, und dann wird das in seinem Verlangen, ihn einzufangen und festzuhalten, zu einer Erinnerung. Verstehen Sie? Und der ganze Alptraum fängt wieder an.
DB: Es ist vernünftig,
nach Sicherheit zu verlangen, aber wir packen das falsch an. Wie machen
wir deutlich, dass die Liebe universal und nichts Persönliches ist? Wie
vermitteln wir das einem Menschen, der ganz in der engen, eingefahrenen
Spur seiner persönlichen Errungenschaften lebt? Es scheint da zuerst
die Frage aufzutauchen, ob er überhaupt seine enge ›einzigartige‹
Persönlichkeit in Frage stellen will?
K: Manche Menschen
stellen das in Frage. Sie erkennen die Logik dessen, worüber wir hier
sprechen. Doch seltsamerweise haben Menschen, die in diesen Dingen sehr
ernsthaft sind, die Ganzheit des Lebens durch Hungern, durch
Selbstquälerei, durch alle möglichen Dinge zu erreichen versucht. Sie
wissen das. Aber man kann die Ganzheit nicht durch Quälerei begreifen
oder wahrnehmen. Was sollen wir also tun? Angenommen, ich habe einen
Bruder, der sich weigert, all das zu sehen. Und da ich große Zuneigung
für ihn hege, möchte ich, dass er das Gespaltensein überwindet. Und ich
habe versucht, ihm das durch Worte und manchmal auch wortlos durch eine
Geste oder durch einen Blick zu übermitteln. Aber das kommt dann immer
noch alles von außen. Und vielleicht ist das der Grund, warum er sich
widersetzt. Kann ich meinen Bruder darauf hinweisen, dass diese Flamme
in ihm selbst entfacht werden kann? Das bedeutet, dass er mir zuhören
muss. Aber mein Bruder weigert sich, mir zuzuhören.
DB: Es scheint so, als
gäbe es einige Handlungen, die einfach nicht möglich sind. Wenn ein
Mensch von einem bestimmten Gedanken wie dem des Gespaltenseins gefangen
ist, kann er das nicht ändern, weil dahinter eine Menge anderer
Gedanken stehen.
K: Natürlich.
DB: Gedanken, von denen er nichts weiß. Er ist nicht wirklich frei zu handeln, denn die gesamte Struktur des Denkens bindet ihn.
K: Wie helfe ich also –
ich verwende das Wort mit großer Vorsicht – meinem Bruder? Was ist die
Wurzel von all dem? Wir sprechen davon, dass er gewahr werden soll? Aber
das sind alles Worte. Das lässt sich auf verschiedene Weise erklären –
mit Ursache, Wirkung und all dem anderen. Nachdem ich das alles erklärt
habe, sagt er: »Ich bin immer noch da, wo ich war.« Und meine
Intelligenz, meine Zuneigung sagt: »Ich kann ihn nicht so gehen lassen.«
Heißt das, dass ich ihn unter Druck setze? Ich verwende keine Art von
Druck oder Lockmittel. Es liegt in meiner Verantwortung, dass ich einen
Menschen einfach nicht so gehen lassen kann. Das ist nicht eine
Verantwortung, die mit Pflicht und diesem ganzen schrecklichen Kram zu
tun hat. Sondern es ist die Verantwortung, ihm all das zu sagen, die aus
der Intelligenz kommt. In Indien gibt es eine Überlieferung, die
besagt, dass jemand, den man den Maitreya Buddha nennt, ein Gelübde
abgelegt hat, dass er nicht die höchste Befreiung erlangen wolle, ehe er
nicht die anderen Menschen befreit habe.
DB: Alle ganz und gar?
K: Ja. Sie sehen, dass
die Überlieferung nichts verändert hat. Wie kann man diese Reinheit
einem anderen übertragen, wenn man diese Intelligenz, diese
Barmherzigkeit, diese Liebe hat, die keinem Land, keiner Person gehört,
die weder ein Ideal noch ein Erlöser ist? Indem man mit ihm lebt, mit
ihm spricht? Sehen Sie, das alles kann mechanisch werden.
https://www.jkrishnamurti.de/WzS13-6.674.0.html
DB: Würden Sie sagen, dass diese Frage niemals wirklich beantwortet worden ist?
K: Ich denke, so ist
es. Aber wir müssen sie beantworten, verstehen Sie? Sie ist nicht
beantwortet worden, aber unsere Intelligenz sagt: »Beantworte sie!« –
Nein, ich denke nicht, dass die Intelligenz das sagt. Die Intelligenz
sagt: »Das sind die Tatsachen« – und vielleicht wird es einige geben,
die das begreifen.
Die Karte ist ausgebreitet worden, und er hat das alles sehr genau gesehen: die Konflikte, das Elend, die Verwirrung, die Unsicherheit, das Werden. Das ist alles äußerst klar. Aber am Ende des Kapitels ist er wieder am Anfang. Oder vielleicht erhascht er einen kurzen Einblick, und dann wird das in seinem Verlangen, ihn einzufangen und festzuhalten, zu einer Erinnerung. Verstehen Sie? Und der ganze Alptraum fängt wieder an.
Während wir ihm die Karte zeigen, können wir ihn
auch darauf hinweisen, dass es da etwas viel Tieferes gibt, nämlich die
Liebe. Er will danach greifen, aber das Gewicht seines Körpers, des
Gehirns, der Überlieferung, das alles zieht ihn zurück. So wird das zu
einem fortgesetzten Kampf – und ich denke, dass das Ganze so verkehrt
ist.
DB: Was ist verkehrt?
K: Die Art, wie wir leben.
DB: Erkennen Sie in der menschlichen Natur irgendeine Möglichkeit zu einem wirklichen Wandel?
K: Natürlich. Sonst
wäre alles sinnlos. Wir wären sonst Maschinen, Affen. Sehen Sie, die
Fähigkeit, eine radikale Veränderung herbeizuführen, wird einer äußeren
Instanz zugesprochen, und deshalb halten wir danach Ausschau und
verlieren uns dabei. Wenn wir nach niemandem Ausschau halten und ganz
frei von Abhängigkeit sind, dann ist die Einsamkeit uns allen gemeinsam.
Das ist keine Isolation. Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass Sie
auf ganz natürliche Weise allein sind, wenn Sie all das sehen, die
Dummheit und die Unwirklichkeit des Gespaltenseins und der Trennung.
Jenes Gefühl des Alleinseins ist allgemein und nichts Persönliches.
K: Einsamkeit ist nicht dasselbe wie Alleinsein.
K: Wenn der Geist fähig ist, vom Besonderen zum Allgemeinen zu gehen und vom Allgemeinen zum …
DB: … zum Absoluten,
zum Universalen. Aber viele Menschen würden sagen, dass das sehr
abstrakt ist und nichts mit dem täglichen Leben zu tun hat.
K: Ich weiß, und doch ist es das Praktischste überhaupt und gar nichts Abstraktes.
DB: In der Tat ist es ja das Besondere, das die Abstraktion ist.
K: Das Besondere, Vereinzelte ist das Allergefährlichste.
DB: Es ist auch das Abstrakteste, denn zum Besonderen gelangt man nur durch die Abstraktion.
K: Natürlich, natürlich.
DB: Ich denke, das mag
ein Teil des Problems sein. Die Menschen möchten etwas, das uns im
täglichen Leben wirklich betrifft. Sie wollen sich nicht bloß im Reden
verlieren, deshalb sagen sie: »Diese ganzen leeren Verallgemeinerungen
interessieren uns nicht.« Es ist wahr, dass das, worüber wir sprechen,
im täglichen Leben funktionieren muss. Doch enthält das tägliche Leben
nicht die Lösung seiner Probleme.
K: Nein. Das tägliche Leben ist das Allgemeine und das Besondere.
DB: Die menschlichen Probleme, die im täglichen Leben entstehen, können auf dieser Ebene nicht gelöst werden.
K: Man muss sich vom
Besonderen zum Allgemeinen bewegen, und vom Allgemeinen noch weiter in
die Tiefe – und da ist dann vielleicht die Reinheit dessen, was man
Erbarmen nennt, Liebe und Intelligenz. Aber das setzt voraus, dass man
seinen Geist, sein Herz, sein ganzes Sein diesem Forschen hingibt. Wir
haben nun lange miteinander gesprochen. Ich denke, dass wir etwas
erreicht haben.
27. September 1980, Brockwood Park, Hampshire
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