Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Sonntag, 23. Juni 2019

Jiddu Krishnamurti || Vom Werden zum Sein || Gespräche (15.3) mit David Bohm || Lässt sich der geistige Konflikt beenden?

Eigenschaften, Isolation, Aufmerksamkeit, Erkenntnis, Intelligenz, Liebe,
Fürsorge, Illusion, Kummer, universal, Erbarmen

K: Erbarmen, Liebe und Intelligenz. Sie können ohne Intelligenz kein Erbarmen haben.
DB: Damit sagen wir, dass auch die Intelligenz universal ist!
K: Offensichtlich.


DB: Wir haben neulich festgestellt, dass die Liebe Intelligenz enthält.
K: Natürlich.
DB: Die auch Fürsorge ist. Mit der Liebe meinen wir jene Energie, die auch Intelligenz und Fürsorge in sich birgt, das alles …

K: ...Sie haben diese Eigenschaft, und ich bin in meinem Elend, meiner Angst und so weiter gefangen. Und Sie versuchen, mit jener Intelligenz diese Masse an Dunkelheit zu durchdringen. Wie wollen Sie das anstellen? Wird das funktionieren? Wenn nicht, sind wir Menschen verloren. Verstehen Sie, mein Herr? Deshalb haben wir Jesus, Buddha, Krishna erfunden – Bilder, die bedeutungslos geworden sind, die oberflächlich und sinnlos geworden sind. Was soll ich also tun? Das ist der andere Faktor. Aufmerksamkeit, Erkenntnis, Intelligenz und Liebe – Sie bringen mir all das, und ich bin unfähig, das zu empfangen. Ich sage: »Das klingt schön, ich spüre es, aber ich kann es nicht halten. Ich kann es nicht festhalten, weil ich in dem Augenblick, in dem ich diesen Raum verlasse, wieder verloren bin!«
DB: Das ist wirklich das Problem.
K: Ja, das ist das wirkliche Problem. Ist die Liebe etwas, das wie der Himmel ›draußen‹ ist – wie alles andere da draußen? Ist die Liebe etwas Äußeres, das Sie mir bringen, das Sie in mir erwecken, das Sie mir schenken wie eine Gabe? Oder ist diese Eigenschaft in meiner Dunkelheit, in meiner Illusion, in meinem Leiden vorhanden? Offensichtlich nicht, sie kann es nicht sein.
DB: Wo ist sie dann?
K: Das ist es ja gerade. Die Liebe gehört weder Ihnen noch mir. Sie ist nichts Persönliches, nicht etwas, das irgend jemandem gehört. Das ist die Liebe nicht.
DB: Das ist ein wichtiger Punkt. In ähnlicher Weise haben Sie von der Isolation gesprochen, die keinem Menschen angehört, obgleich wir dazu neigen, Isolation als persönliches Problem anzusehen.
K: Natürlich. Sie ist uns allen gemeinsam. Auch die Intelligenz ist nichts Persönliches.
DB: Aber sehen Sie, das widerspricht schon wieder unserer ganzen Art zu denken.
K: Ich weiß.


DB: Es ist erfunden worden, aber wir haben das von Kindheit an sowohl verbal als auch nicht-verbal, als Implikation, in uns aufgenommen. Deshalb durchdringt es alles, es ist der Grund unserer Gedanken, all unserer Wahrnehmung. Das also muss man in Frage stellen.
K: Wir haben es in Frage gestellt – dass Kummer nicht mein Kummer ist. Kummer ist etwas allgemein Menschliches und so weiter.
DB: Aber wie sollen die Menschen das verstehen? Denn jemand, der Kummer erfährt, empfindet diesen als seinen persönlichen Kummer.
K: Ich denke, das liegt zum Teil an unserer Erziehung, zum Teil an unserer Gesellschaft und ihren Traditionen.
DB: Aber das ist unserer ganzen Art zu denken innewohnend. Sehen Sie, da müssen wir hinausspringen.
K: Ja. Und das Hinausspringen wird zu einem Problem. Was soll ich also tun?

DB: Mir fällt gerade ein Beispiel aus der Physik ein. Wenn ein Wissenschaftler oder ein Chemiker ein Element wie Natrium studiert, sagt er nicht, dass es sein Natrium ist oder dass irgendein anderer Wissenschaftler sein Natrium studiert. Und natürlich vergleichen sie ihre Notizen und so weiter.
K: Genau. Natrium ist Natrium.
DB: Natrium ist universal Natrium. Deshalb müssen wir feststellen, dass die Liebe universal Liebe ist.
K: Ja, aber sehen Sie, mein Geist weigert sich, das zu erkennen, weil ich so schrecklich persönlich, so schrecklich mit ›mir und meinen Problemen‹ beschäftigt bin. Ich weigere mich, das loszulassen. Wenn Sie sagen, dass Natrium Natrium ist, ist das sehr einfach. Das kann ich verstehen. Aber wenn Sie sagen, dass Kummer uns allen gemeinsam ist, wird das schwierig.


K: Ich bin nicht sicher, dass sie nicht existiert. Erbarmen ist nicht: »Ich bin barmherzig.« Erbarmen ist da, ist etwas, das nicht ›mir‹ gehört.
https://www.jkrishnamurti.de/WzS13-5.673.0.html


DB: Es ist vernünftig, nach Sicherheit zu verlangen, aber wir packen das falsch an. Wie machen wir deutlich, dass die Liebe universal und nichts Persönliches ist? Wie vermitteln wir das einem Menschen, der ganz in der engen, eingefahrenen Spur seiner persönlichen Errungenschaften lebt? Es scheint da zuerst die Frage aufzutauchen, ob er überhaupt seine enge ›einzigartige‹ Persönlichkeit in Frage stellen will?
K: Manche Menschen stellen das in Frage. Sie erkennen die Logik dessen, worüber wir hier sprechen. Doch seltsamerweise haben Menschen, die in diesen Dingen sehr ernsthaft sind, die Ganzheit des Lebens durch Hungern, durch Selbstquälerei, durch alle möglichen Dinge zu erreichen versucht. Sie wissen das. Aber man kann die Ganzheit nicht durch Quälerei begreifen oder wahrnehmen. Was sollen wir also tun? Angenommen, ich habe einen Bruder, der sich weigert, all das zu sehen. Und da ich große Zuneigung für ihn hege, möchte ich, dass er das Gespaltensein überwindet. Und ich habe versucht, ihm das durch Worte und manchmal auch wortlos durch eine Geste oder durch einen Blick zu übermitteln. Aber das kommt dann immer noch alles von außen. Und vielleicht ist das der Grund, warum er sich widersetzt. Kann ich meinen Bruder darauf hinweisen, dass diese Flamme in ihm selbst entfacht werden kann? Das bedeutet, dass er mir zuhören muss. Aber mein Bruder weigert sich, mir zuzuhören.

DB: Es scheint so, als gäbe es einige Handlungen, die einfach nicht möglich sind. Wenn ein Mensch von einem bestimmten Gedanken wie dem des Gespaltenseins gefangen ist, kann er das nicht ändern, weil dahinter eine Menge anderer Gedanken stehen.
K: Natürlich.
DB: Gedanken, von denen er nichts weiß. Er ist nicht wirklich frei zu handeln, denn die gesamte Struktur des Denkens bindet ihn.
K: Wie helfe ich also – ich verwende das Wort mit großer Vorsicht – meinem Bruder? Was ist die Wurzel von all dem? Wir sprechen davon, dass er gewahr werden soll? Aber das sind alles Worte. Das lässt sich auf verschiedene Weise erklären – mit Ursache, Wirkung und all dem anderen. Nachdem ich das alles erklärt habe, sagt er: »Ich bin immer noch da, wo ich war.« Und meine Intelligenz, meine Zuneigung sagt: »Ich kann ihn nicht so gehen lassen.« Heißt das, dass ich ihn unter Druck setze? Ich verwende keine Art von Druck oder Lockmittel. Es liegt in meiner Verantwortung, dass ich einen Menschen einfach nicht so gehen lassen kann. Das ist nicht eine Verantwortung, die mit Pflicht und diesem ganzen schrecklichen Kram zu tun hat. Sondern es ist die Verantwortung, ihm all das zu sagen, die aus der Intelligenz kommt. In Indien gibt es eine Überlieferung, die besagt, dass jemand, den man den Maitreya Buddha nennt, ein Gelübde abgelegt hat, dass er nicht die höchste Befreiung erlangen wolle, ehe er nicht die anderen Menschen befreit habe.
DB: Alle ganz und gar?
K: Ja. Sie sehen, dass die Überlieferung nichts verändert hat. Wie kann man diese Reinheit einem anderen übertragen, wenn man diese Intelligenz, diese Barmherzigkeit, diese Liebe hat, die keinem Land, keiner Person gehört, die weder ein Ideal noch ein Erlöser ist? Indem man mit ihm lebt, mit ihm spricht? Sehen Sie, das alles kann mechanisch werden.
https://www.jkrishnamurti.de/WzS13-6.674.0.html

DB: Würden Sie sagen, dass diese Frage niemals wirklich beantwortet worden ist?
K: Ich denke, so ist es. Aber wir müssen sie beantworten, verstehen Sie? Sie ist nicht beantwortet worden, aber unsere Intelligenz sagt: »Beantworte sie!« – Nein, ich denke nicht, dass die Intelligenz das sagt. Die Intelligenz sagt: »Das sind die Tatsachen« – und vielleicht wird es einige geben, die das begreifen.

Die Karte ist ausgebreitet worden, und er hat das alles sehr genau gesehen: die Konflikte, das Elend, die Verwirrung, die Unsicherheit, das Werden. Das ist alles äußerst klar. Aber am Ende des Kapitels ist er wieder am Anfang. Oder vielleicht erhascht er einen kurzen Einblick, und dann wird das in seinem Verlangen, ihn einzufangen und festzuhalten, zu einer Erinnerung. Verstehen Sie? Und der ganze Alptraum fängt wieder an.
 
Während wir ihm die Karte zeigen, können wir ihn auch darauf hinweisen, dass es da etwas viel Tieferes gibt, nämlich die Liebe. Er will danach greifen, aber das Gewicht seines Körpers, des Gehirns, der Überlieferung, das alles zieht ihn zurück. So wird das zu einem fortgesetzten Kampf – und ich denke, dass das Ganze so verkehrt ist.

DB: Was ist verkehrt?

K: Die Art, wie wir leben.

DB: Erkennen Sie in der menschlichen Natur irgendeine Möglichkeit zu einem wirklichen Wandel?
K: Natürlich. Sonst wäre alles sinnlos. Wir wären sonst Maschinen, Affen. Sehen Sie, die Fähigkeit, eine radikale Veränderung herbeizuführen, wird einer äußeren Instanz zugesprochen, und deshalb halten wir danach Ausschau und verlieren uns dabei. Wenn wir nach niemandem Ausschau halten und ganz frei von Abhängigkeit sind, dann ist die Einsamkeit uns allen gemeinsam. Das ist keine Isolation. Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass Sie auf ganz natürliche Weise allein sind, wenn Sie all das sehen, die Dummheit und die Unwirklichkeit des Gespaltenseins und der Trennung. Jenes Gefühl des Alleinseins ist allgemein und nichts Persönliches.

K: Einsamkeit ist nicht dasselbe wie Alleinsein.

K: Wenn der Geist fähig ist, vom Besonderen zum Allgemeinen zu gehen und vom Allgemeinen zum …
DB: … zum Absoluten, zum Universalen. Aber viele Menschen würden sagen, dass das sehr abstrakt ist und nichts mit dem täglichen Leben zu tun hat.
K: Ich weiß, und doch ist es das Praktischste überhaupt und gar nichts Abstraktes.
DB: In der Tat ist es ja das Besondere, das die Abstraktion ist.
K: Das Besondere, Vereinzelte ist das Allergefährlichste.
DB: Es ist auch das Abstrakteste, denn zum Besonderen gelangt man nur durch die Abstraktion.
K: Natürlich, natürlich.

DB: Ich denke, das mag ein Teil des Problems sein. Die Menschen möchten etwas, das uns im täglichen Leben wirklich betrifft. Sie wollen sich nicht bloß im Reden verlieren, deshalb sagen sie: »Diese ganzen leeren Verallgemeinerungen interessieren uns nicht.« Es ist wahr, dass das, worüber wir sprechen, im täglichen Leben funktionieren muss. Doch enthält das tägliche Leben nicht die Lösung seiner Probleme.
K: Nein. Das tägliche Leben ist das Allgemeine und das Besondere.
DB: Die menschlichen Probleme, die im täglichen Leben entstehen, können auf dieser Ebene nicht gelöst werden.
K: Man muss sich vom Besonderen zum Allgemeinen bewegen, und vom Allgemeinen noch weiter in die Tiefe – und da ist dann vielleicht die Reinheit dessen, was man Erbarmen nennt, Liebe und Intelligenz. Aber das setzt voraus, dass man seinen Geist, sein Herz, sein ganzes Sein diesem Forschen hingibt. Wir haben nun lange miteinander gesprochen. Ich denke, dass wir etwas erreicht haben.
27. September 1980, Brockwood Park, Hampshire

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