Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Dienstag, 20. August 2019

Das vierte Kapitel das Yoga Sutra nach Patanjali || Kaivalya-Pada || über die Befreiung

Im vierten Kapitel des Yoga Sutra von Patanjali geht es schließlich um
die Befreiung - Kaivalya Pada.

Übernatürliche Kräfte (Siddhi), entstehen durch Geburt, Drogen, Mantra, Askese oder durch das Yoga (Samadhi). ||1||

Aus der physischen Vervollkommnung entsteht eine innere Verwandlung des Wesens. ||2||

Jedoch ist die äußere Ursache nicht ausreichend für die innere Verwandlung. Aber sie ist wie der Bauer, der den Bewässerungswall spaltet, damit Wasser auf das Reisfeld gelangt und der Reis wachsen kann. ||3||

Allein aus der Identifikation mit dem Wandelbaren entsteht das wandelbare Selbst (Chitta). ||4||

Die Erscheinungsformen unterscheiden sich, die wandelbare Natur (Chitta) ist das eine zugrunde liegende Prinzip der vielen Formen. ||5||

In den unterschiedlichen Erscheinungsformen ist der Eindruck, der durch die Versenkung (Dhyana) entsteht, frei von äußeren Bedingungen. ||6||

Für einen Yogi ist das Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) weder weiß noch schwarz. Für andere ist es von dreierlei Art. ||7||

Nach diesem Gesetz von Ursache und Wirkung reifen die Früchte, die den zugrunde liegenden Wünschen (Vasana) entsprechen. ||8||

Auch wenn Modalität, Ort und Zeit nicht mehr bestehen, besteht dennoch Kontinuität von Wunsch und Folge, denn Erinnerungen (Smriti) und Prägungen (Samskara) gehören zum gleichen Wesen. ||9||

Die Kontinuität aus Wunsch und Resultat sind ohne Anfang, wie der Wunsch zu leben ohne Ende ist. ||10||

Die Kontinuität von Wunsch und Resultat entspringt den unterstützenden Faktoren und äußeren Objekten. Verschwinden diese, verschwindet auch die Kontinuität aus Wunsch und Resultat. ||11||

Vergangenheit und Zukunft existieren für sich. Aus den Veränderungen ergeben sich die Aufgaben (Dharma). ||12||

Diese Aufgaben sind manifest oder subtil, physisch oder spirituell. ||13||

Die Einzigartigkeit der Veränderung macht die Essenz von allem aus. ||14||

Das Wandelbare des Menschen (Chitta) geht auf verschiedenen Wegen auf das gleiche Objekt zu. Die Wahrnehmung unterscheidet sich entsprechend. ||15||

Ein Objekt ist auch nicht abhängig vom Wandelbaren des Menschen (Chitta). Was würde geschehen, wenn es nicht gesehen wird? ||16||

Ob ein Objekt, Situation oder Person jedoch erkannt oder verkannt wird, hängt von der emotionalen Vorprägung und den Erwartungen des Wandelbaren des Menschen (Chitta) ab. ||17||

Immer können die Vorgänge (Vritti) im Wandelbaren des Menschen (Chitta) vom wahren Selbst beobachtet werden, weil dieses wahre Selbst (Purusha) nicht in Bewegung ist. ||18||

Da das Wandelbare des Menschen nicht aus sich selbst erkennend ist, ist es ein wahrnehmbares Objekt. ||19||

Denn gleichzeitig können nicht beide Funktionen - Gesehen werden und das Sehen erfüllt sein. ||20||

Das Wandelbare des Menschen (Chitta), das durch einen anderen wandelbaren Menschen (Chitta) gesehen wird, wäre so absurd wie die Wahrnehmung von der Wahrnehmung. Sie würde zur Verwirrung in der Erinnerung führen. ||21||

Das wahre Selbst ist im Gegensatz zur Eigenschaft des Wandelbaren des Menschen nicht unstet. Daher kann es vollkommenes Wissen und Selbsterkenntnis erreichen. ||22||

Der eigentliche Sinn des Wandelbaren des Menschen (Chitta) ist es, sowohl dem Betrachter (Drashtu) als auch dem betrachteten Objekt nahe zu sein. ||23||

Dieses Wandelbare des Menschen (Chitta) hat unzählige und mannigfaltige Wünsche (Vasana). Trotzdem ist sein Sinn ein anderer, nämlich die Verbindung von Umwelt und wahrem Selbst herzustellen. ||24||

Für den, der diese einzigartige Schau (Darshana) erlangt hat, verschwindet der Wunsch (Vritti) nach Selbstverwirklichung. ||25||

Dann wird Unterscheidungskraft (Viveka) vertieft und alles Wandelbare des Menschen (Chitta) weist den Weg zur Befreiung (Kaivalya). ||26||
Unterscheidungskraft, der Schlüssel zur Freiheit
Die Unterscheidungskraft (Viveka) ist der Schlüssel, der die Einheit aus Physis, Energie, Emotion und Gedanke (Citta) so verändert, dass diese direkt den Weg zur Befreiung (Kaivalya) weist.
Viveka und Avidyā - als Gegensätze 
Unterscheidungskraft (Viveka) ist das genaue Gegenteil von mangelnder Erkenntnisfähigkeit (Avidyā) und damit auch aller übrigen Bürden auf dem spirituellen Weg (Kleśa), die wir in Kapitel 2 des Yoga-Sutra bereits kennengelernt haben. Wir erkennen den Unterschied zwischen unserer wahren Natur (Drastu) und der Einheit aus Physis, Energie, Emotion und Gedanke (Citta) (Asmitā), wir realisieren, dass unser Glück und Leiden nicht von äußeren Umständen abhängt (Rāga, Dvesa) und verlieren unsere tief sitzenden Ängste (Abhiniveśa). Kaivalya ist also letztendlich die Befreiung von der mangelnden Erkenntnisfähigkeit (Avidyā) und den daraus resultierenden weiteren Bürden (Kleśa). Patañjali schildert jedoch nicht nur wovon wir uns befreien möchten, sondern gibt in den folgenden Sätzen auch ein lohnendes Ziel.

Diese Sichtweise wird durch Vorprägungen (Samskara) wieder abgebrochen, dann tauchen andere Eindrücke wieder auf. ||27||

Die Beseitigung dieser Vorprägungen erfolgt wie es schon für die spirituellen Bürden (Klesha) beschrieben wurde. ||28||

Bei wirklich tiefer Erkenntnis entsteht sogar fortwährende Wunschlosigkeit und Unterscheidungskraft (Viveka) folgt. Das wird Dharma-Megha-Samadhi genannt. ||29||
Samādhi ist der Zustand, in dem wir uns als befreite Menschen wiederfinden. Samādhi ist die ekstatische Erfahrung des Yoga, in dem die Wahrnehmung völlig ungetrübt ist. Wenn ich diesen Satz von Patañjai lese, dann erinnere ich mich schmunzelnd an ein Gespräch, das ich am Ende einer Yoga-Stunde mithörte:
A: Hey, Achmed, wozu der Scheiß?
B: Samaadhi, Alder!
A: Samaadhi?
B: Mega-Samaadhi!
A: ?
B: Geiles Mega-Samaadhi!!
A: Ey Geil, Alder!
Dharma-Megha Samādhi können wir in der Tat etwas flapsig als "geiles Mega-Samaadhi" übersetzen. Megha sind wörtlich die Regen bringenden Gewitterwolken. In Deutschland assoziieren wir Gewitterwolken vermutlich nicht mit etwas Positivem. Stellen wir uns jedoch vor, wir leben in einem trockenen Land, in dem es seit Monaten nicht mehr geregnet hat. Alles ist staubig und verdorrt. Selbst das Wasser zum Trinken ist knapp, unsere Zunge klebt am Gaumen. Nun ziehen langsam am Horizont dicke, schwere Gewitterwolken auf. Dharma bedeutet, sein Versprechen zu halten oder seine Pflicht zu erfüllen. Es sind also Gewitterwolken, die ihr Versprechen halten und schweren reichen Regen bringen. Wenn diese schweren Regentropfen auf das trockene Land und auf uns prasseln, kann man das vermutlich am ehesten mit den Worten "Mega-Geil" beschreiben.

Dann wird das Konzept (Vritti) der spirituellen Bürden (Klesha) und von Ursache und Wirkung (Karma) vollkommen abgelegt. ||30||

Patañjali beschreibt diesen befreiten Zustand des Kaivalya noch weiter. Denn diese Befreiung (Kaivalya) befreit auch von den Bürden (Kleśa) auf dem spirituellen Weg. Mangelnde Erkenntnisfähigkeit (Avidyā), Egoismus (Asmitā), Gier (Rāga), Ekel (Dvesa) oder Angst (Abhiniveśa) vermögen uns nicht mehr zu beeinflussen und zu Handlungen (Karma) zu treiben. Der Yogin sieht den Zustand, in dem wir uns normalerweise befinden, wie eine kleine weiße Maus in einem Versuchskäfig. Abwechselnd werden wir mit einem Elektroschock oder einem Stück leckerem Käse durch den Käfig gejagt. Kaivalya ist die Befreiung aus diesem Käfig.
Sind wir einmal aus unserem Käfig der gewöhnlichen Erfahrung befreit, betreten wir eine völlig neue Dimension. Alles was wir bisher studierten und lernten ist klein im Vergleich zu der ergreifenden Erfahrung des Samādhi.

Dann fallen sämtliche Schleier und Unreinheiten. Das Wissen, das erlangt werden kann, wird unbedeutend im Vergleich zur Unendlichkeit des Wissens. ||31||

Hierdurch erfüllt sich der Sinn der Veränderung und alle Wandlung (Krama) der Materie (Guna) findet ihr Ende. ||32||
Der Mensch als Maus  
Stellen wir uns erneut vor, wir sind kleine weiße Mäuse in einem Laufrad. Vor dem Laufrad hängt ein Stück Käse. Wir versuchen es zu erreichen, indem wir laufen und laufen. Wir werden immer schneller, doch anstatt dem Käse näher zu kommen, dreht sich das Laufrad immer schneller. Irgendwann sind wir erschöpft, doch wir sind unserem Wunsch kein Stück näher gekommen. Als Menschen stecken wir sehr oft in solch einem Laufrad. Wir glauben glücklich zu sein, wenn wir etwas Bestimmtes erreicht haben oder eine Aufgabe erledigt ist. Doch haben wir das Ersehnte erlangt, erwächst auch schon der nächste Wunsch. Die Veränderungen in der Welt halten uns ständig in Bewegung. Wir wollen etwas erreichen oder im umgekehrten Falle etwas vermeiden. Wirkliche innere Zufriedenheit und Glück finden wir auf diese Weise jedoch niemals. Kaivalya ist die Befreiung vom ständigen Wandel, Suchen und Vermeiden. Wir treten gewissermaßen einen Schritt neben das Laufrad und haben den Käse mühelos erreicht. 

Die Empfindung der bedingten Aufeinanderfolge der Augenblicke und Wandlungen nimmt ihr endgültiges Ende. Die Wandlung (Krama) wird so erfahrbar. ||33||
Durch Kaivalya verliert nicht nur alles was uns bisher wichtig erschien an Bedeutung, sondern sogar die Zeit selbst. Wir befinden uns jenseits des ständigen Verlangens nach Ergebnissen. Wir sind in dem Augenblick, in dem wir uns befinden, vollkommen glücklich. Wer das erreicht hat, der denkt weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Sie existieren nicht mehr. Er ist einfach nur im Hier, im Jetzt, im Moment und das bedeutet Glückseligkeit. Ein deutsches Sprichwort bringt das treffend auf den Punkt: "Dem Glücklichen schlägt keine Stunde".

Befreiung (Kaivalya) erfüllt das Ziel des wahren Selbst (Purusha), die Materie (Guna) wird überwunden. Dann zeigt sich die wahre Natur des Seins und die Kraft des absoluten Wissens. ||34||

Hier erinnert Patañjali an den Anfang seines Yoga Sūtrāni. Wenn auf diese Weise Befreiung von den Prägungen in der Einheit aus Physis, Energie, Emotion und Gedanke eingekehrt ist, kann die wahre Natur des eigenen Daseins erkannt werden.

Die vier Ur-Wünsche des Menschen (Purusārtha) sind dabei die Pflichterfüllung (Dharma), Reichtum (Artha), Sex (Kāma) und Selbstverwirklichung (Mok.sa). Die Grundeigenschaften der Materie (Guna) sind Unruhe (Rajas), Trübsinn (Tamas) und Reinheit (Sattva). Wer also Kaivalya erfahren hat, unterliegt nicht mehr den normalen Gesetzen. Er ist glücklich, ohne dass es dafür einen äußeren Anlass geben müsste – grundlos glücklich.

Die Wirklichkeit, die immer besteht, zu suchen und in ihr zu verweilen, ist die einzige Errungenschaft. Alle anderen Errungenschaften (Siddhis) sind von der Art, wie sie in Träumen erlangt werden. Wer das Absolute erkannt hat, ist alles….ohne Anfang, Mitte, Ende; ohne Geburt und ohne Tod. Hier endet alle Furcht. Es ist unmöglich, Samadhi zu beschreiben, weil es den Geist übersteigt. Es kann nur erfahren werden.

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