Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Sonntag, 23. Oktober 2022

Paul Brunton Aufsatz: Die fortschreitenden Stadien der Suche (Das Wirken der Gnade)

notebooks/2 || Überblick über die beteiligten Praktiken
9.2 Das Wirken der Gnade 67

"Am Tag der Übergabe des Lebens werde ich mit dem Wunsch nach Dir sterben; ich werde meinen Geist aufgeben, der sich danach sehnt, von Deiner Straße in den Staub zu gelangen."
~Humamud Din (persischer Mystiker aus dem vierzehnten Jahrhundert)

In diesen poetischen Zeilen kommt zum Ausdruck, wie weit der Mystiker bereit sein muss zu gehen, um Gnade zu erlangen.

Nur wenn sich ein Mann so tief in seine Seele verliebt, wie er es jemals in eine Frau getan hat, hat er überhaupt eine Chance, sie zu finden. Die unaufhörliche Sehnsucht nach dem höheren Selbst im Geiste religiöser Hingabe ist einer der unverzichtbaren Aspekte der vierfachen integralen Suche. Der Ton der Sehnsucht nach dieser Verwirklichung muss durch all seine Gebete und Anbetung, Konzentration und Meditation klingen. Manchmal kann die Sehnsucht nach Gott ihn sogar physisch mit plötzlicher dynamischer Kraft treffen, seinen ganzen Körper erschüttern und sein ganzes Nervensystem aufrütteln. Eine rein formale Praxis der Meditation ist völlig unzureichend, wenn auch nicht völlig nutzlos. Denn ohne die Sehnsucht ist das Aufkommen der Gnade unwahrscheinlich, und ohne Gnade kann es niemals eine Verwirklichung des Überselbst geben.

Schon die Tatsache, dass ein Mensch bewusst mit der Suche begonnen hat, ist selbst eine Manifestation der Gnade, denn er hat nur deshalb begonnen, das Überselbst zu suchen, weil das eigene Wirken des Überselbst begonnen hat, ihm durch das Gefühl der unerträglichen Trennung von ihm deutlich zu machen, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Der Aspirant sollte daher Mut fassen und Hoffnung empfinden. Er ist nicht wirklich allein unterwegs. Gerade die Liebe, die in ihm für das Überselbst erwacht ist, ist ein Spiegelbild der Liebe, die ihm entgegengebracht wird.

So sind die Suche, auf die er sich eingelassen hat, die Studien, die er betreibt, und die Meditationen, die er praktiziert, von Anfang an vom Überselbst inspiriert und werden von ihm bis zum Ende unterstützt. Das Überselbst ist bereits am Werk, noch bevor er beginnt, es zu suchen. In der Tat hat er die Suche in unbewusstem Gehorsam gegenüber der göttlichen Eingebung aufgenommen. Und diese Eingebung ist die erste Bewegung der Gnade. Selbst wenn er glaubt, dass er diese Dinge aus eigenem Antrieb tut, ist es in Wirklichkeit die Gnade, die hinter den Kulissen das Herz öffnet und den Verstand erleuchtet.

Die Initiative des Menschen drängt auf das Ziel zu, während die göttliche Gnade ihn dorthin zieht. Beide Kräfte müssen zusammenwirken, wenn der Prozess vollendet und mit Erfolg gekrönt werden soll. Doch das, was ihm das Ziel ursprünglich schmackhaft gemacht hat, was ihn im Glauben daran bestärkt hat und so seine Bemühungen auslöste, war selbst die Gnade. In diesem Sinne werden die Worte des Paulus verständlicher: "Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch den Glauben, und das nicht aus euch".

Die Gnade Gottes nimmt keine Rücksicht auf Personen oder Orte. Sie kommt zu dem Herzen, das sich am meisten danach sehnt, sei es im Leib eines Königs oder eines einfachen Mannes, eines tatkräftigen Mannes oder eines Einsiedlers. John Bunyan, der arme Kesselflicker, der im Gefängnis von Bedford eingesperrt war, sah ein Licht, das vielen Königen verwehrt blieb, und versuchte, es in seinem Buch Pilgrim's Progress niederzuschreiben. Jacob Boehme, der an seiner Schusterbank in Seideburg arbeitete, wurde dreimal erleuchtet und erfuhr Geheimnisse, von denen er behauptete, sie seien den Universitäten seiner Zeit unbekannt gewesen.

Wenn ein Mensch diesen vierfachen Weg gewissenhaft beschritten hat, wenn er sich in mystischer Meditation und metaphysischer Reflexion, in Läuterung des Charakters und selbstlosem Dienen geübt hat und dennoch weit vom Ziel entfernt zu sein scheint, was soll er dann tun? Dann muss er die Ermahnung Jesu befolgen: "Bittet und ihr werdet empfangen, klopft an und es wird euch aufgetan werden." Er muss buchstäblich aus der tiefen Angst seines Herzens heraus um Gnade bitten. Wir sind alle arm. Derjenige, der dies erkennt und zum Bettler wird, der Gott um Gnade anfleht, ist wirklich einsichtig.

Er muss zuerst darum beten, von der schweren Fessel der Sinne, der Begierden und der Gedanken befreit zu werden. Als nächstes muss er um die bewusste Gegenwart des Überselbst beten. Er sollte in der Einsamkeit seines eigenen Herzens still und tief beten. Er sollte mit konzentrierter Emotion und festgehaltenem Geist beten. Seine Sehnsucht nach einer solchen Befreiung und einer solchen Gegenwart muss unzweifelhaft aufrichtig und unzweifelhaft stark sein. Er sollte seine Stunde der Meditation mit solch edlen Gebeten beginnen und beenden - und wenn er möchte, sogar ausfüllen -. Er muss dies Tag für Tag, Woche für Woche tun. Denn das Überselbst ist nicht nur ein Konzept, sondern eine lebendige Wirklichkeit, die Kraft hinter all seinen anderen und geringeren Kräften.

Kein Anwärter, der aufrichtig und sensibel ist, wird völlig ohne Hilfe sein. Sie kann während einer Versuchung auftauchen, wenn die niedere Natur unerwartet von einer mächtigen Idee gebändigt wird, die stark gegen sie arbeitet. Er kann in einem Buch genau das finden, worauf er gewartet hat und was ihm zu diesem Zeitpunkt definitiv auf seinem Weg helfen wird. Die besondere Hilfe, die er in einem bestimmten Stadium braucht, wird sich von selbst einstellen. Sie kann die Form einer Veränderung der äußeren Umstände oder einer Begegnung mit einem weiter entwickelten Menschen annehmen, eines gedruckten Buches oder eines geschriebenen Briefes, einer plötzlichen unerwarteten emotionalen Inspiration oder einer erhellenden intellektuellen Intuition. Es ist auch nicht notwendig, bis zu dem am weitesten entfernten Punkt zu reisen, bevor man die Früchte ernten kann. Schon lange vorher wird er den Geschmack des Friedens, der Hoffnung, der Erkenntnis und der göttlichen Transzendenz genießen können.

In dem Augenblick, in dem ein Mensch in einer schwierigen Situation bereitwillig seinen gewohnten Standpunkt aufgibt und diesen höheren Standpunkt einnimmt, empfängt er Gnade. Mit diesem Empfang wird ein Wunder vollbracht und das Böse des niederen Standpunktes wird für immer aus seinem Charakter vertrieben. Die Situation selbst hat ihn auf die Probe gestellt und ihm seine Chance gegeben.

Die Tatsache der Gnade hebt die Notwendigkeit der moralischen Entscheidung und der persönlichen Anstrengung nicht auf. Es wäre ein großer Fehler, die menschliche Anstrengung als nutzlos für die Suche abzustempeln und die Unfähigkeit des Menschen, sein eigenes Heil zu erreichen, als vollständig zu verkünden. Denn wenn es wahr ist, dass allein die göttliche Gnade die Suche zu einem erfolgreichen Ende bringen kann, so ist es ebenso wahr, dass die menschliche Anstrengung der Herabkunft der Gnade vorausgehen und sie somit herbeirufen muss. Um die Gnade herabzurufen, bedarf es erstens einer völligen und umfassenden Demut, eines tiefen Ernstes und absoluter Aufrichtigkeit, zweitens einer Selbsthingabe an das Überselbst, einer Hingabe des irdischen Seins an die spirituelle Essenz, und drittens einer täglichen Übung der Hingabe. Die Praktiken werden schließlich zu Erfahrungen führen, die Bestrebungen werden schließlich Hilfe bringen. Das geheimnisvolle Eindringen der Gnade kann den Lauf der Dinge verändern. Sie führt neue Möglichkeiten ein, einen anderen Schicksalsstrom.

Unser Bedürfnis nach Erlösung, nach Überwindung der inhärent sündigen und unwissenden Natur des Egos, das vom wahren Bewusstsein isoliert ist, ist größer, als wir je begreifen werden. Denn unser Leben, das so weitgehend egoistisch ist, ist unwissend und sündhaft - ein Wandern von einem Fehler zum anderen, von einer Sünde zur nächsten. Diese Erlösung erfolgt durch die rettende Kraft des Überselbst, und wir müssen ihre Gnade suchen, indem wir uns ihr mit der kindlichen Demut nähern, von der Jesus sprach. Kein Mensch ist so niedergeschlagen, so sündig, so schwach oder so geschlagen, dass er nicht einen neuen Anfang machen könnte. Er sollte eine kindliche Haltung einnehmen, sich in die Hände seines höheren Selbst begeben und es um Führung und Gnade anflehen. Er sollte dies mindestens täglich, wenn nicht sogar öfters wiederholen. Dann soll er geduldig warten und sorgfältig auf die intuitive Antwort im Laufe der folgenden Wochen oder Monate achten. Er braucht sich nicht um seine Fehler zu kümmern. Er soll sich so, wie er ist, dem Gott oder der Seele, die er sucht, anbieten. Er ist weder gleichgültig noch fern.

Die Vergebung der Sünden ist eine Tatsache. Diejenigen, die dies leugnen, leugnen ihre eigene Erfahrung. Können sie das Licht des Mondes von diesem trennen? Wie können sie dann die Vergebung von der Liebe trennen? Sehen sie nicht, dass eine Mutter ihrem Kind hundertmal vergibt, obwohl sie es zurechtweist und züchtigt?

Wenn die Vergeltung der Sünden ein kosmisches Gesetz ist, so ist es auch die Vergebung der Sünden. Wir müssen beides zusammen nehmen, wenn wir das Geheimnis richtig verstehen wollen.

#LG Wir Menschen sind fehlbare Wesen, die dazu neigen, Fehler zu begehen. Wenn wir nicht reumütig werden und mit unserer Vergangenheit brechen, ist es besser, dass wir den natürlichen Folgen unseres Fehlverhaltens überlassen bleiben, als dass uns vorzeitig vergeben wird.

Der Wert der Reue besteht darin, dass sie der erste Schritt ist, um uns von einer bedauerlichen Vergangenheit zu befreien, und der Wert der Besserung darin, dass sie der letzte Schritt ist, um dies zu tun. Es muss ein zerknirschtes Bewusstsein dafür geben, dass ein Leben im Ego ein Leben in Unwissenheit und Sünde ist. Diese Sünde ist nicht das Brechen von gesellschaftlichen Konventionen. Es muss ein reumütiges Verständnis dafür geben, dass wir in Sünde geboren werden, weil wir im Ego geboren sind und daher Erlösung und Rettung brauchen. Es ist sinnlos, um Vergebung zu bitten, ohne vorher gründlich zu bereuen. Es muss auch eine Öffnung des Geistes für die Wahrheit über die eigene Sündhaftigkeit geben, neben der Reue auch ein Verständnis für die Lektion, die hinter dieser besonderen Erfahrung und ihrem Ergebnis steht.

Wenn der heilige Paulus in seinem Hebräerbrief von dem Christus spricht, der sich anbot, die Sünden vieler zu tragen, kann er mystisch so interpretiert werden, dass er das Christus-Selbst, das Überselbst, meint, das sich anbietet, das Karma vieler Ich-Inkarnationen zu tragen.

Diese Haupteigenschaft wird in der religiös-mystischen Literatur der Welt gepriesen. "Verzweifle nicht an Allahs Barmherzigkeit", sagt der Koran. "Was sind meine Sünden im Vergleich zu Deiner Barmherzigkeit? Sie sind wie ein Spinngewebe im Wind", schrieb ein früher russischer Mystiker, Dmitri von Rostow. "Diejenigen, die sich mir hingeben, auch wenn sie von sündiger Natur sind, werden den höchsten Pfad verstehen", sagt die Bhagavad Gita.

♥ Ja, es gibt Vergebung, weil es die Liebe Gottes gibt. Jesus hat sich nicht geirrt, als er diese Lehre verkündete, aber sie gilt nicht für alle Menschen gleichermaßen. Tiefe Reue und aufrichtige Besserung sind die Voraussetzungen, um sie zu erlangen. Es war eine der besonderen Aufgaben Jesu, bekannt zu machen, dass das Erbarmen (oder die Liebe, wie das ursprüngliche Wort übersetzt wurde) ein primäres Attribut Gottes ist, und dass Gnade, Vergebung und Erlösung folglich primäre Merkmale der aktiven Beziehung Gottes zum Menschen sind. Als Jesus dem reuigen Dieb versprach, dass ihm vergeben werden würde, hat er den Dieb nicht getäuscht oder sich selbst etwas vorgemacht. Er hat die Wahrheit gesagt.

Wie könnte das Göttliche, das so ist, wie es ist, seiner eigenen Natur widersprechen, wenn das Erbarmen keinen Platz in seinen Eigenschaften hätte? Die Verbindung zwischen der Güte, die jeder Mystiker in seiner Gegenwart empfindet, und dem Mitgefühl, das Jesus dieser Gegenwart zuschrieb, ist organisch und untrennbar.

♥ Die Entdeckung, dass die Vergebung der Sünden eine heilige Tatsache ist, sollte uns mit unaussprechlicher Freude erfüllen. Denn es ist die Entdeckung, dass es im Herzen des Universums eine barmherzige Liebe gibt.

Wir können Sünden durch persönliche Anstrengung unterdrücken, aber wir können sie allein durch die Gnade des Überselbst auslöschen und überwinden. Wenn wir nur darum bitten, dass die äußeren Folgen unserer Sünde vergeben werden, werden sie es sicher nicht tun. Wenn wir uns aber auch bemühen, unseren Charakter von dem inneren Übel zu reinigen, das die Sünde verursacht hat, kann uns die Vergebung durchaus zuteil werden.

Die beste Hoffnung des Aspiranten liegt in der Reue. Aber wenn er dies nicht erkennt, wenn er mit ungebeugtem Kopf und ungebildetem Herzen bleibt, wird der Weg nach vorn ebenfalls steinig und schmerzhaft bleiben. Das Eingeständnis, dass er fehlbar und schwach ist, wird ihm durch die Strafen der Natur abgerungen werden, wenn er es nicht durch die Wahrnehmungen des Gewissens nachgibt. Der erste Wert der Reue besteht darin, dass sie einen Bruch mit einer überholten Vergangenheit herbeiführt. Der zweite Wert besteht darin, dass sie den Weg für einen Neuanfang öffnet. Die Fehler der Vergangenheit können nicht ausgelöscht werden, aber zukünftige Fehler können vermieden werden. Der Mensch, der er war, muss ihn mit Bedauern erfüllen; der Mensch, der er sein will, mit Hoffnung. Er muss sich seiner eigenen Sündhaftigkeit bewusst werden. Das unbeholfene Werk seiner geistigen Jugend wird ihn entsetzen, wenn er über seine Fehler nachdenkt. Sein Denken muss diesen Fehlern misstrauen und sich von ihnen befreien. Zu bestimmten Zeiten wird er sich gedrängt fühlen, sich selbst Vorwürfe zu machen wegen der Fehler, die er in der Vergangenheit begangen hat, wegen des Unrechts, das er begangen hat, und wegen der Sünden, die er begangen hat. Diesem Drang sollte man gehorchen. Seine Einstellung muss sich so ändern, dass er nicht nur bereit, sondern sogar begierig ist, das Unrecht, das er begangen hat, ungeschehen zu machen und den Schaden, den er verursacht hat, wiedergutzumachen.

Wir erreichen das Wirkliche nicht allein durch unsere eigenen Anstrengungen, und es kommt auch nicht allein aus eigenem Antrieb zu uns. Die Anstrengung, die aus dem Selbst kommt, und die Gnade, die von jenseits des Selbst kommt, sind zwei Dinge, die für den Erfolg dieser Suche wesentlich sind. Das erste können wir alle aufbringen, aber das zweite kann nur das Überselbst geben. Dem Menschen wurde einmal von einem Wissenden gesagt: "Der Geist weht, wo er will." Daher ist es weder widersprüchlich noch antithetisch zu sagen, dass menschliche Anstrengung und menschliche Abhängigkeit von der göttlichen Gnade beide notwendig sind. Denn zwischen ihnen besteht eine Art Wechselwirkung. Dieses wechselseitige Wirken der Gnade ist eine schöne Tatsache. Die unbewusste Einladung durch das Überselbst erzeugt die bewusste Anrufung als automatische Antwort darauf. Wenn sich das Ego zu seiner heiligen Quelle hingezogen fühlt, gibt es eine entsprechende Anziehung von Seiten des Überselbst zum Ego selbst. Zweifeln Sie nie daran, dass das Göttliche diese Anziehung des menschlichen Selbst zu ihm immer erwidert. Weder die vergangene Geschichte noch der gegenwärtige Charakter des letzteren können diese gesegnete, Hoffnung bringende Tatsache ändern. Die Gnade ist der endgültige, glorreiche und authentische Beweis dafür, dass nicht nur der Mensch Gott sucht, sondern auch Gott, der immer auf den Menschen wartet.

Die Gnade ist ein himmlisches, übermenschliches Geschenk. Diejenigen, die sie nie erfahren haben und deshalb unvorsichtigerweise ihre Existenz leugnen, sind zu bedauern. Diejenigen, die sich über die Möglichkeit hinwegsetzen und die Notwendigkeit einer helfenden Gnade leugnen, können nur Opfer eines gusseisernen intellektuellen Systems geworden sein, das ihr nicht konsequent Raum geben konnte.

Es war eine flammende Erfahrung der Gnade, die Saulus, den erbitterten Gegner, in Paulus, den glühenden Apostel, verwandelte.

Das ist das Paradoxon, dass ein Mensch zwar versuchen muss, sich selbst zu überwinden, wenn er das Überselbst erreichen will, dass ihm dieses Unterfangen aber nur durch die eigene Kraft des Überselbst gelingen kann - das heißt durch die Gnade, "die das Stroh der Wünsche verbrennt", wie es die Mahopanishad poetisch ausdrückt. Es ist sicher, dass eine solche Errungenschaft jenseits seiner gewöhnlichen Kraft liegt.

Alles, was das Ego tun kann, ist, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, aus denen die Erleuchtung im Allgemeinen erwächst, aber es kann diese Erleuchtung nicht selbst schaffen. Durch Selbstreinigung, durch ständiges Streben, durch regelmäßige Meditation, durch tiefgründiges Studium und durch eine altruistische Haltung im praktischen Leben tut es, was erforderlich ist. Aber all dies ist wie ein Klopfen an der Tür des Überselbst. Nur die Gnade des Überselbst kann sie am Ende öffnen.

Der Wille hat seinen Anteil an diesem Prozess, aber er ist nicht der einzige Teil. Früher oder später wird er entdecken, dass er in seiner alleinigen Abhängigkeit nicht weiter vorankommen kann und dass er Hilfe von etwas suchen muss, das über ihn hinausgeht. Er muss tatsächlich die Gnade anrufen, damit sie auf ihn einwirkt. Die Notwendigkeit, in diesem gewaltigen Kampf Hilfe von außerhalb seines gewöhnlichen Ichs und von jenseits seiner gewöhnlichen Ressourcen zu erhalten, wird dringend. Es ist in der Tat ein Bedürfnis nach Gnade. Glücklicherweise steht ihm diese Gnade zur Verfügung, auch wenn sie vielleicht nicht zu seinen Bedingungen kommt.

In einem bestimmten Stadium muss er lernen, mehr "loszulassen" und dem Überselbst zu erlauben, ihn zu besitzen, anstatt sich anzustrengen, etwas zu besitzen, von dem er glaubt, dass es sich ihm noch entzieht. Jeder Aspirant, der diese Stufe durchlaufen hat, wird sich daran erinnern, wie er einen Sprung nach vorn gemacht hat, als er diese Entdeckung machte.

Auf einer anderen Stufe tritt das Überselbst, dessen Gnade der anfängliche Anstoß zu all seinen Bemühungen war, sozusagen vor und beginnt, seine Gegenwart und sein Wirken offener zu offenbaren. Der Aspirant wird sich dessen mit Ehrfurcht, Verehrung und Dankbarkeit bewusst. Er muss lernen, aufmerksam auf diese inneren Eingebungen der göttlichen Gnade zu achten. Sie sind wie Sonnenstrahlen, die die Erde befruchten.

Mit dem Herabkommen der Gnade werden alle Ängste und hässlichen Erinnerungen aus der Vergangenheit des Suchenden und die Frustrationen der Gegenwart auf wundersame Weise von der unsichtbaren und heilenden Hand des Überselbst weggeschwemmt. Er weiß, dass ein neues Element in sein Bewusstseinsfeld eingetreten ist, und er wird von diesem Moment an unmissverständlich eine gesegnete Belebung des inneren Lebens spüren. Wenn seine eigene persönliche Anstrengung nachlässt, beginnt eine weitere Anstrengung in seinem Namen durch eine höhere Macht. Ohne sein eigenes Zutun beginnt die Gnade für ihn zu tun, was er nicht selbst tun konnte, und unter ihrem wohltätigen Wirken wird er feststellen, dass sein höherer Wille gestärkt, seine moralische Einstellung verbessert und sein geistiges Streben gesteigert wird.

Das Bewusstsein, unter der Kontrolle eines höheren Einflusses zu stehen, wird für ihn unübersehbar werden. Die Überzeugung, dass sie für ihn moralische Siege erringt, die er mit seinem gewöhnlichen Selbst nicht hätte erreichen können, wird sich in ihm festsetzen. Eine Reihe bemerkenswerter Erfahrungen wird die Tatsache bestätigen, dass eine wohltätige Macht in seine Persönlichkeit eingedrungen ist und sie veredelt, erhebt, inspiriert und leitet. Eine jubelnde Freiheit ergreift von ihm Besitz. Sie verdrängt alle emotionalen Ängste und persönlichen Belastungen.

Die Gnade wird empfangen, nicht erlangt. Der Mensch muss bereit sein, ihren Zustrom ungehindert durch sein Herz fließen zu lassen; er darf ihr Wirken nicht behindern und ihre Herrschaft nicht durch eine Unterbrechung seiner eigenen Selbsthingabe behindern. Er kann die Gnade nur besitzen, wenn er sich von ihr besitzen lässt.

Die Philosophie bejaht das Vorhandensein der Gnade, damit das, was die angestrengteste Selbsttätigkeit nicht erreichen kann, uns als göttliche Gabe in die Hände gelegt werden kann.

Wie am Anfang, so am Ende dieses Weges, ist die Enthüllung des Überselbst kein Akt des menschlichen Willens. Nur der göttliche Wille - das heißt, nur seine eigene Gnade - kann den letzten alles offenbarenden Akt herbeiführen, dessen anhaltendes Bewusstsein den Aspiranten zu einem Adepten macht.

Auf der Suche nach dem Überselbst muss der ernsthafte Aspirant es mit aufrichtiger Liebe suchen. In der Tat muss seine ganze Suche von diesem Gefühl durchdrungen sein. Kann er das Göttliche rein und uneigennützig um seiner selbst willen lieben? Das ist die Frage, die er sich stellen muss. Wenn diese hingebungsvolle Liebe mehr sein soll als ein schaumiges Gefühl, dann muss sie den Willen beeinflussen und erlösen. Sie muss den Sinn für die moralische Pflicht und den Gehorsam ihr gegenüber schärfen. Aufgrund dieser Hingabe an etwas, das über seine egoistischen Interessen hinausgeht, kann er nicht mehr seinen egoistischen Vorteil auf Kosten anderer suchen. Sein Ziel wird es sein, die Seele nicht nur zu lieben, sondern sie zu verstehen, ihre Stimme nicht nur in der Meditation zu hören, sondern ihren Eingebungen im Handeln zu folgen.

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