ab S.32
Ich bin nicht komisch, seltsam, abgedreht oder verrückt, meine Wirklichkeit ist nur eine andere als deine.
~Lewis Carroll
"Gibt es hier irgendwelche Löwen oder Tieger, fragte Alice ängstlich.
"Das ist nur der Schwarze König, der schnarcht", sagte Tweedledee.
"Komm und sieh ihn dir an!" riefen die Brüder und jeder nahm Alice bei der Hand und sie führten sie dorthin, wo der König schlief.
"Bietet er nicht einen reizenden Anblicke?", fragte Tweedledum.
"Er träumt jetzt", sagte Tweedledee, "und wovon, glaubst du träumt er?"
Alice sagte: "Das kann niemand erraten."
"Nun, von dir!", rief Tweedledee und klatschte triumphierend in die Hände. "Und wenn er aufhört, von dir zu träumen, was glaubst du, wo du sein wirst?"
"Wo ich jetzt bin natürlich", sagte Alice.
"Du doch nicht!", erwiderte Tweedledee verächtlich. "Du wirst nirgends sein. Du bist nämlich nur ein Bestandteil seines Traums!"
"Aber der Schwarze König träumt nicht mich", protestierte eine immer bestürztere Alice. "Ich träume ihn. Ich träume all das hier! Ich mache ein Nickerchen untern am Fluss während meine Schwester ein schrecklich langweiliges Buch ohne Bilder und Dialoge liest...."
"Nicht doch, nicht doch", unterbrach sie Tweedledum.
"Das war vielleicht jenes Mal", korrigierte Tweedledee.
"Umgekehrt ist das hier vielleicht dieses Mal", sagte Tweedledum.
"Dieses Mal bist du ein Bauer im Traum des Schwarzen Königs", sagte Tweedledee.
"Wenn dieser König da aufwachen sollte", fügte Tweedledum hinzu, "wirst du ausgehen -- piff! - genau wie eine Kerze!"
"Das würde ich nicht!, rief Alice, den Tränen nahe. "Wenn ich aufwachen sollte, werdet ihr alle verschwinden!"
"Aber dieses Mal schläfst du nicht", sagte Tweedledee.
"Diese Mal bist du durch den Spiegel hindurch getreten", erklärte Tweedledum, "die Frage ist, ob du abwärts in deinen eigenen Traum getreten bist?"
"Oder aufwärts", sagte Tweedledee, "in den Traum von dir?"
"Das ist ein Rätsel, würde ich sagen", sagte Tweedledum.
"Wenn ich nur ein Bestandteil seines Traums bin, was sind dann Sie, möchte ich wissen?, protestierte Alice. "Dito", sagte Tweedledum.
"Dito, dito!", schrie Tweedledee.
Er rief es so laut, dass Alice nicht anders konnte als zu sagen: "Pst! Sie wecken ihn noch auf, fürchte ich, wenn Sie so viel Lärm machen!"
"Es hat doch keinen Sinn, dass du davon sprichst, ihn wach zu machen", sagte Tweedledum, "wenn du nur ein Bestandteil seines Traums bist. Du weißt sehr gut, dass du nicht wirklich bist."
"Ich bin wirklich!", rief Alice und find an zu weinen.
"Durch Weinen wirst du dich kein bisschen wirklicher machen", bemerkte Tweedledee, "da gibt es nichts zu weinen."
"Wenn ich nicht wirklich wäre", sagte Alice - halb lachend unter Tränen, so lächerlich schien das alles - "dann könnte ich gar nicht weinen."
"Ich hoffe, du nimmst nicht an, dies seien wirkliche Tränen", unterbrach Tweedledum in einem sehr verächtlichen Ton.
"Ich weiß, dass sie Unsinn reden", dachte Alice, "und es ist töricht, deshalb zu weinen."
"Also", sagte Tweedledum in einem Ton, den Alice viel zu laut fand, "sollen wir dem schlafenden König einen Tritt geben?"
"Ja, los!" schrie Tweedledee. "Wollen wir mal sehen, wer verschwindet"!
"Nein, bitte nicht!" sagte Alice, die sich plötzlich gar nicht mehr so sicher war, wer träumte und wer geträumt wurde und die das Risiko nicht unbedingt eingehen wollte. Wer will denn schon - piff - ausgehen wie eine Kerze?
"Wenn ich nur ein Bestandteil im Traum des Schwarzen Königs wäre", versuchte Alice mühsam zu schlussfolgern, "dann würde ich weder denken, dass ich es bin, noch würde ich denken, dass ich es nicht bin. Allerdings denke ich, dass ich es nicht bin, also bin ich es ganz bestimmt nicht!"
Sie war sich der Logik nicht absolut sicher, aber sie hoffte, die Tweedles damit austricksen zu können, was ihr auch gelang, doch ihre Verwirrung war nur von kurzer Dauer.
"Keineswegs, nicht im Geringsten", sagte Tweedledum.
"Verdrehte Logik zählt nicht", rief Tweedledee.
"Die Frage ist", erklärte Tweedledum, "wer träumt wen?"
"Träumst du den Schwarzen König?", fragte sein Bruder.
"Oder träumt der Schwarze König dich?"
"Wir können uns nicht gegenseitig träumen!", sagte Tweedledee.
"Nein", stimmte sein Bruder zu, "das würde funktionieren nicht."
"Warum müsst ihr immer in Reimen sprechen?", fragte eine fast schluchzende Alice, "ich bin vielleicht blind, aber nichts ergibt Sinn!"
"Warum glaubst du das nur", sangen die Brüder im Chor,
"verneinen müssen wir das stur.
Auch wenn der Eindruck täuschen mag
bestimmen Recht und Ordnung unseren Tag.
So durcheinander das Spiel auch läuft,
Regeln sind Regeln, sie gehören befolgt!"
Ein Bauer kann nie wie ein König springen,
und schwarz muss wie weiß auf seiner Seite beginnen
Jede Figur kann dies und nicht das
das Brett hat Grenzen, was glaubst du denn was
sonst hier los wär´im Spiel und im Leben zugleich:
das Chaos regierte im Erdenreich!"
Der König ist mächtig, zugleich auch schwach,
genauso der Bauer, so ist das beim Schach.
Niemand kann springen und tun wie er will
sie gelten für alle, die Regeln des Spiels."
Ohne Ordnung und Regeln, wo wären wir da?
Es gäbe uns nicht, das ist ja wohl klar.
Du denkst hier im Traum sei alles erlaubt
doch auch hier gibt es Regeln, wer hätte das geglaubt.
"Wow", sagte Alice, "sag bloß."
Und genau in diesem Moment beschloss Alice, sich nicht länger den Geschehnissen auszuliefern, groß zu werden und klein zu schrumpfen und hin und her geworfen zu werden wie ein Fähnchen im Wind. Von jetzt an, beschloss sie, würde sie die Herrscherin der Traumwelt sein, in der sie sich befand, koste es was es wolle!
"Danke, danke", sagte Alice, "nun ist mir klar,
was ich immer schon sehen wollte, ist tatsächlich wahr.
Ich bin nur gefangen in der Illusion dieses Traums
nichts ist wie es scheint in den vier Ecken dieses Raums.
Also zog sie ein Schwert von dem Baum mit dem Nest
Und trennte gekonnt Tweedledees Kopf vom Rest.
Und da alles aus Spass, Jux und Dollerrei
schlug sie auch Tweedledum kurzerhand entzwei.
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