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http://www.arte.tv/guide/de/048909-000/versenktes-gift
Unter den Weltmeeren tickt eine Zeitbombe: Die Armeen der Weltmächte versenkten zwischen 1917 und 1970 systematisch über eine Million Tonnen Chemiewaffen aus den beiden Weltkriegen in den Ozeanen, in Seen und im Erdboden. Die Dokumentation untersucht das Risiko einer chemischen Verseuchung mit bisher kaum abschätzbaren gesundheitlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen.
Zwischen 1917 und 1970 versenkten die Armeen der Weltmächte systematisch hochgiftige Sprengladungen in den Ozeanen, in Seen und im Erdboden. Damit entstand ein fast unzerstörbares Arsenal. Jahrzehntelang wurde dieses "Militärgeheimnis" streng unter Verschluss gehalten.
Der Dokumentarfilm spürt die weltweiten Deponien auf und geht dem Risiko einer chemischen Verseuchung mit bisher kaum abschätzbaren gesundheitlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen nach. Im Laufe der Zeit treten diese tödlichen Gifte ins Wasser aus, bedrohen Fischer, Badende, Meerestiere und das gesamte Ökosystem. In Italien, Deutschland und Japan gibt es Bestrebungen, die gefährlichen Lagerstätten aufzuspüren und unschädlich zu machen. Doch die Schwierigkeiten reichen von fehlender Archivierung über Staatsgeheimnisse und Finanzaufwand bis hin zur Blockadehaltung der Fischer und zur allgemeinen Angst vor dem Ausbleiben von Touristen. Wie groß sind die Gefahren tatsächlich? Wie kann es gelingen, die tödliche Altlast loszuwerden?
Zeitstrahl
22. April 1915 Bei
der 2. Flandernschlacht starten die Deutschen als erste Armee der Welt
einen großangelegten Chemiewaffenangriff mit Chlorgas.
1917 Senfgas wird zum gefürchtetsten chemischen Kampfmittel.
2. Dezember 1943 Die größte Chemiekatastrophe der europäischen Geschichte: 105 Luftwaffenbomber versenken im italienischen Hafen Bari 27 amerikanische Schiffe, darunter die „John Harvey“, die eine geheime Fracht mit 2000 Senfgasbomben geladen hatte. Um den Deutschen keinen Anlass zur Propaganda zu bieten, verschweigen die Alliierten den Vorfall. So werden hunderte italienische Zivilisten nicht behandelt und sind der Giftgaswolke hilflos ausgesetzt.
17. Juli – 2. August 1945 Bei der Potsdamer Konferenz beschließen die Alliierten, die verbleibenden Chemiewaffenvorräte ins Meer zu schütten – eine Lösung, die damals am einfachsten und sichersten schien. Man verteilt die chemischen Substanzen im japanischen Meer, im indischen Ozean, in der Nord- und Ostsee, im Nordatlantik, vor der französischen Côte d’Azur und vor den Küsten der USA und Kanada.
1970 Einstellung der Verklappung von Chemiewaffen im Meer.
1972 Der amerikanische Kongress verbietet mit einem Gesetz die Versenkung von Chemiewaffen im Meer.
13. Januar 1993 130 Staaten unterzeichnen in Paris die Chemiewaffenkonvention, welche die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz von Chemiewaffen verbietet und die sofortige Vernichtung aller verbleibenden Vorräte vorschreibt. Sie tritt am 29. April 1997 in Kraft.
2005 Bei den Bauarbeiten zur Nord-Stream-Pipeline stößt man auf Chemiewaffenreste in der Ostsee.
11. Oktober 2013 Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen erhält den Friedensnobelpreis. Unter der Aufsicht der 1997 gegründeten OPCW vernichtet man insgesamt 80 % der deklarierten Chemikalien (rund 60 000 Tonnen) und knapp 60 % der 8 Milliarden Tonnen Munition.
12. Dezember 2013 Die UNO bestätigt den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Die Syrien-Resolution sieht vor, bis zum 30. Juni 2014 alle syrischen Chemiewaffen zu vernichten.
2017 Das Staatsgeheimnis zur Versenkung von Chemiewaffen in Großbritannien und den USA wird aufgehoben.
1917 Senfgas wird zum gefürchtetsten chemischen Kampfmittel.
2. Dezember 1943 Die größte Chemiekatastrophe der europäischen Geschichte: 105 Luftwaffenbomber versenken im italienischen Hafen Bari 27 amerikanische Schiffe, darunter die „John Harvey“, die eine geheime Fracht mit 2000 Senfgasbomben geladen hatte. Um den Deutschen keinen Anlass zur Propaganda zu bieten, verschweigen die Alliierten den Vorfall. So werden hunderte italienische Zivilisten nicht behandelt und sind der Giftgaswolke hilflos ausgesetzt.
17. Juli – 2. August 1945 Bei der Potsdamer Konferenz beschließen die Alliierten, die verbleibenden Chemiewaffenvorräte ins Meer zu schütten – eine Lösung, die damals am einfachsten und sichersten schien. Man verteilt die chemischen Substanzen im japanischen Meer, im indischen Ozean, in der Nord- und Ostsee, im Nordatlantik, vor der französischen Côte d’Azur und vor den Küsten der USA und Kanada.
1970 Einstellung der Verklappung von Chemiewaffen im Meer.
1972 Der amerikanische Kongress verbietet mit einem Gesetz die Versenkung von Chemiewaffen im Meer.
13. Januar 1993 130 Staaten unterzeichnen in Paris die Chemiewaffenkonvention, welche die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz von Chemiewaffen verbietet und die sofortige Vernichtung aller verbleibenden Vorräte vorschreibt. Sie tritt am 29. April 1997 in Kraft.
2005 Bei den Bauarbeiten zur Nord-Stream-Pipeline stößt man auf Chemiewaffenreste in der Ostsee.
11. Oktober 2013 Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen erhält den Friedensnobelpreis. Unter der Aufsicht der 1997 gegründeten OPCW vernichtet man insgesamt 80 % der deklarierten Chemikalien (rund 60 000 Tonnen) und knapp 60 % der 8 Milliarden Tonnen Munition.
12. Dezember 2013 Die UNO bestätigt den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Die Syrien-Resolution sieht vor, bis zum 30. Juni 2014 alle syrischen Chemiewaffen zu vernichten.
2017 Das Staatsgeheimnis zur Versenkung von Chemiewaffen in Großbritannien und den USA wird aufgehoben.
Kleines ABC der Chemiewaffen
Chemiewaffen enthalten viele
hochgiftige Stoffe. Die meisten von ihnen sind als Gase oder Aerosole in
Bomben vorhanden oder werden von Spezialflugzeugen als Pulver
abgeworfen.
Die häufigsten Chemikalien:
Arsen oder Arsenwasserstoff
Dieses farblose Giftgas ist schwerer als Luft und wurde von der deutschen Armee zusammen mit anderen Gasen in chemischen Bomben während des Ersten Weltkriegs eingesetzt. Seine Sprühpartikel sind so winzig, dass sie die Gasmasken durchdrangen und bei den Soldaten Husten, Niesen und Erbrechen hervorriefen. Wenn sie die Maske abnahmen, atmeten sie dann die anderen giftigen Gase ein, die bei der Explosion der Bombe freigeworden waren. Bei ihrer Zersetzung auf dem Meeresgrund geben diese Chemiewaffen hochgiftiges anorganisches Arsen frei.
Chlorgas
Chlorgas wurde 1915 beim weltweit ersten Chemiewaffenangriff eingesetzt. Es wirkt stark reizend auf Augen- und Nasenschleimhäute, Lungen und Atemwege. In hoher Konzentration führt es zum Tod durch Ersticken.
Senfgas
Senfgas greift alle Körperteile an und ruft vor allem im Auge starke Verätzungen hervor, die bis zur Erblindung führen können. Bis zu zehn Tage nach Einatmen des Gases kommt es zu Husten, Entzündungen und Blutungen sowie zu Lungenschäden mit Atemnot, Lungenödemen und Todesfolge. Auf dem Meeresgrund zersetzt sich Senfgas in die relativ ungefährlichen Stoffe Schwefel, Kohlenstoff und Wasserstoff.
Sarin
Sarin wurde 1939 von drei deutschen Wissenschaftlern entdeckt, die eigentlich nach neuen Pestiziden forschten. Das farb- und geruchlose und leichtflüchtige Gas ist schon in geringen Dosen hochgiftig für Mensch und Tier.
Tabun
Dieses Nervengas wurde 1936 zufällig von dem deutschen Chemiker Gerhard Schrader entdeckt. Es ist schnellwirkend, farb- und geruchlos und greift das Nervensystem und die Atemwege an.
Die häufigsten Chemikalien:
Arsen oder Arsenwasserstoff
Dieses farblose Giftgas ist schwerer als Luft und wurde von der deutschen Armee zusammen mit anderen Gasen in chemischen Bomben während des Ersten Weltkriegs eingesetzt. Seine Sprühpartikel sind so winzig, dass sie die Gasmasken durchdrangen und bei den Soldaten Husten, Niesen und Erbrechen hervorriefen. Wenn sie die Maske abnahmen, atmeten sie dann die anderen giftigen Gase ein, die bei der Explosion der Bombe freigeworden waren. Bei ihrer Zersetzung auf dem Meeresgrund geben diese Chemiewaffen hochgiftiges anorganisches Arsen frei.
Chlorgas
Chlorgas wurde 1915 beim weltweit ersten Chemiewaffenangriff eingesetzt. Es wirkt stark reizend auf Augen- und Nasenschleimhäute, Lungen und Atemwege. In hoher Konzentration führt es zum Tod durch Ersticken.
Senfgas
Senfgas greift alle Körperteile an und ruft vor allem im Auge starke Verätzungen hervor, die bis zur Erblindung führen können. Bis zu zehn Tage nach Einatmen des Gases kommt es zu Husten, Entzündungen und Blutungen sowie zu Lungenschäden mit Atemnot, Lungenödemen und Todesfolge. Auf dem Meeresgrund zersetzt sich Senfgas in die relativ ungefährlichen Stoffe Schwefel, Kohlenstoff und Wasserstoff.
Sarin
Sarin wurde 1939 von drei deutschen Wissenschaftlern entdeckt, die eigentlich nach neuen Pestiziden forschten. Das farb- und geruchlose und leichtflüchtige Gas ist schon in geringen Dosen hochgiftig für Mensch und Tier.
Tabun
Dieses Nervengas wurde 1936 zufällig von dem deutschen Chemiker Gerhard Schrader entdeckt. Es ist schnellwirkend, farb- und geruchlos und greift das Nervensystem und die Atemwege an.
Interview mit Nicolas Koutsikas
Nicolas Koutsikas: Ich wusste schon seit etwa zehn Jahren, dass in der Ostsee Chemiewaffen lagern. Tatsächlich begonnen hat meine Arbeit aber 2009 mit der Lektüre von Poisons d’État. Darin schildert die italienische Journalistin Gianluca Di Feo, wie unter Mussolini im großen Stil Chemiewaffen entwickelt und getestet wurden, um in dem chemischen Wettrüsten des Zweiten Weltkriegs mithalten zu können. Als der Krieg vorbei war, wussten die Alliierten nicht, was sie mit dem ganzen Arsenal tun sollten – und warfen es einfach ins Meer, vor allem in die Adria und ins Mittelmeer. Wir haben unsere Recherchen aber auch auf andere Länder ausgeweitet, darunter die USA, Deutschland und Japan.
Sind Sie bei Ihren Recherchen auf Widerstand gestoßen?
Frankreich war das einzige Land, das nicht kooperieren wollte. Es ist auch der einzige der betroffenen Staaten, der in dem Dokumentarfilm nicht erwähnt wird. Ein auffälliges Schweigen! Niemand wollte mir helfen oder meine Fragen beantworten. Die Ärzte wollten mir beispielsweise keine Auskünfte darüber geben, wie Chemiewaffen auf den menschlichen Körper wirken. Dabei gibt es vor der Küste von Saint-Tropez eine Lagerstätte in einem Meeresgraben. Aber hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und den Senfgaseinsätzen kann keiner mehr sagen, was Frankreich mit seinen Chemiewaffen gemacht hat. Es gibt keine einzige Spur.
Welche Folgen können diese Chemiewaffenlager haben? Welche Lösungen gibt es?
Die Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen sind schwer einzuschätzen, denn die militärische Geheimhaltungspflicht und der Kalte Krieg haben die Recherchen lange unmöglich gemacht. Unabhängige Forscher haben zum Beispiel festgestellt, dass sich das Erbgut von Fischen in der Adria und der Ostsee verändert hat. Noch wird dieses Thema von der EU ignoriert. Als erstes müsste man diese Lagerstätten genau lokalisieren, auch die auf dem Land und in den Seen; dann die Gefahren für Fischerei und Tourismus einschätzen und jene Gebiete dekontaminieren, in denen korrodierte Bomben noch Gift freisetzen.