Zu Füssen des Meisters
Jiddu Krishnamurti schrieb 1910, im Alter von 14 Jahren diesen Text
unter dem Namen Alcyone, dem ihm C. W. Leadbeater gab
Alcyone: Zu Füssen des Meisters
Führe mich aus der Unwirklichkeit zur Wirklichkeit!
Führe mich aus der Finsternis zum Licht!
Führe mich vom Tode zur Unsterblichkeit!
Vorwort zu dem Büchlein
"Dies sind nicht meine Worte, sondern die des Meisters, der mich lehrte. Ohne Ihn hätte ich nichts tun können; nur mit Seiner Hilfe habe ich den Pfad betreten. Du möchtest auch auf diesem Pfade wandeln; deshalb werden diese Worte, die Er zu mir gesprochen hat, auch dir helfen, wenn du ihnen gehorchst. Es genügt nicht, von ihnen zu sagen, sie seien wahr und schön; sie müssen sehr genau befolgt werden, wenn sie dem Menschen helfen sollen. Der bloße Anblick einer Nahrung wird den Hungrigen nicht sättigen; er muß seine Hand ausstrecken und muß essen. Ebenso genügt es nicht, des Meisters Worte nur zu hören; du mußt selbst tun, was Er sagt, mußt jedes Wort beachten, jeden Wink befolgen. Wenn du einen Seiner Winke nicht annimmst, wenn dir ein Wort entgeht, ist es dir für immer verloren; denn Er spricht es nicht zum zweiten Male. Vier Grunderfordernisse sind die Leitsterne für den, der diesen Pfad beschreiten will:
UNTERSCHEIDUNGSKRAFT,
WUNSCHLOSIGKEIT,
CHARAKTERBILDUNG,
LIEBE.
Was der Meister über jede dieser Grundlagen zu mir gesagt hat, das will ich versuchen, dir hier mitzuteilen.
1. UNTERSCHEIDUNGSKRAFT
Die erste dieser Eigenschaften ist die Fähigkeit der rechten Unterscheidung. Die Erkenntnis, die den Menschen zum Betreten dieses Pfades hinleitet, wird für gewöhnlich aufgefaßt als Unterscheidung des Unwirklichen vom Wirklichen. Das ist sie auch, doch sie ist noch viel mehr. auch ist ,sie stetig zu betätigen, nicht nur beim Eintritt in den Pfad, sondern täglich bis zum letzten Schritte. Du betrittst den Pfad, weil du erfahren hast, daß du nur auf ihm jene Dinge finden wirst, die des Gewinnens wert sind.
Menschen, die das nicht wissen, arbeiten, um Reichtum und Macht zu gewinnen; aber diese Dinge sind doch höchstens nur für ein Leben und daher unwirklich. Es gibt weit größere Dinge, Dinge, die wirklich und dauernd sind; hast du sie erst einmal gesehen, so wirst du die anderen nicht mehr begehren.
Zwei Arten von Menschen nur gibt es auf der ganzen Welt: die Wissenden und die Nichtwissenden; auf dieses Wissen kommt es an. Welcher Religion und welcher Rasse ein Mensch angehören mag, ist nicht wichtig. Wirklich wichtig ist nur dieses Wissen - die Erkenntnis von Gottes Plan mit dem Menschen. Gott hat einen bestimmten Plan, und dieser Plan ist die Entwicklung. Sobald ein Mensch dies erkannt hat und es wirklich weiß, kann er nicht anders, als dafür zu wirken und sich eins mit ihm zu machen, weil er so erhaben und so schön ist. Und indem er sich auf Gottes Seite weiß, wird er das gute tun und wird dem Bösen widerstreben; er wird für die Entwicklung arbeiten, nicht für den Eigennutz.
Wenn er auf Gottes Seite steht, ist er einer der Unsrigen, gleichviel, ob er sich Hindu oder Buddhist, Christ oder Mohammedaner nennt, ob er ein Inder oder Engländer, Chinese oder Russe ist. Alle, die auf seiner Seite stehen, wissen, warum und wozu sie hier sind; und sie streben, den Zweck ihres Daseins zu erreichen. All die anderen Menschen wissen noch nicht, was sie tun sollen, sie handeln daher oftmals töricht. Sie erfinden ihre eigenen Wege, von denen sie denken, daß sie ihnen Freude machen werden; aber sie verstehen nicht, daß alle eins sind und daß deshalb nur das, was das Eine will, uns wirklich Freude machen kann. Sie streben nach dem Unwirklichen anstatt nach dem Wirklichen. Solange sie nicht zwischen diesen beiden unterscheiden können, stehen sie noch nicht auf Gottes Seite. Und so ist diese Fähigkeit richtiger Unterscheidung der erste Schritt auf dem Pfade.
Aber selbst wenn diese Wahl vollzogen ist, so mußt du dir vergegenwärtigen, daß es vom Wirklichen wie vom Unwirklichen verschiedene Arten gibt. So mußt du unterscheiden zwischen Recht und Unrecht, Wichtigem und Unwichtigem, Nützlichem und Unnützem, Wahrem und Falschem, Selbstsüchtigem und Selbstlosem.
Zwischen Recht und Unrecht zu wählen, sollte nicht schwer sein; denn die, die dem Meister folgen wollen, haben sich bereits entschlossen, das Recht um jeden Preis zu tun. Aber der Körper und der Mensch sind zwei; der Wille des Menschen ist nicht immer der des Körpers. Wenn dein Körper etwas begehrt, so halte ein und denke nach, ob du das wirklich willst. Denn du bist dein höheres Ich, bist Gottes, und du willst nur das, was Gott will. Aber du mußt tief in deinem Selbst nachgraben, um Gott in dir zu finden, du mußt Seiner Stimme lauschen, die ja deine Stimme ist. Verwechsle deinen Körper nicht mit deinem Selbst weder den physischen, noch den emotionellen, noch den mentalen. Jeder dieser Körper wird beanspruchen, das Selbst zu sein, um dadurch zu erlangen, was er wünscht, Du aber mußt sie alle kennenlernen und mußt wissen, daß du selbst ihr Meister bist.
Wenn eine Arbeit getan werden soll, möchte der physische Körper ausruhen, möchte ausgehen, essen oder trinken; und der Mensch, der noch nicht "weiß", sagt sich: "Ich möchte dies tun, und ich muß es tun." Aber der Wissende sagt: "Dies Wünschende ist nicht mein Ich, und daher muß es eine Weile warten." Oft, wenn sich die Gelegenheit bietet, jemandem zu helfen, fühlt der Körper. "Wieviel Mühe wird es für mich sein; laß irgend jemand anderen dies tun." Doch ein solcher Mensch antwortet seinem Körper. "Du sollst mich nicht hindern, Gutes zu tun."
Der Körper
ist dein Tier - dein Pferd, auf dem du reitest. Daher mußt du ihn auch gut behandeln und gewissenhaft für ihn sorgen. Du darfst ihn nicht überarbeiten, du mußt ihm reine Nahrung geben und ihn immer peinlich sauber halten, ihn selbst vor den kleinsten Schmutzflecken bewahren, denn ohne einen völlig reinen und gesunden Körper kannst du das so mühevolle Werk der Vorbereitung nicht vollbringen, kannst die unaufhörliche Anstrengung nicht ertragen. Immer aber mußt du es sein, der den Körper beherrscht, niemals er dich.
Der emotionelle Körper (Astralkörper)
hat stets seine eigenen Wünsche - hat deren unzählige. Er will, daß du ärgerlich wirst, daß du scharfe Worte sagst, eifersüchtig und geldgierig bist, daß du andere um ihren Besitz beneidest, daß du traurigen Stimmungen und Depressionen nachgibst. Alles dies wünscht dieser Körper und noch vieles mehr. nicht , weil er dir schaden möchte, sondern weil er starke Schwingungen liebt und sie auch beständig wechseln möchte. Aber du brauchst diese Reize nicht, und deshalb mußt du deine Wünsche unterscheiden von den Wünschen deines Körpers.
Dein mentaler Körper
möchte sich stolz absondern; er möchte hoch von sich selbst und gering von anderen Menschen denken. Sogar dann, wenn du dich von weltlichen Dingen abgewendet hast, sucht er noch immer für sich selbst zu sorgen; er will dich veranlassen, nach deinem eigenen Fortschritt zu streben, anstatt an des Meisters Werk zu denken und anderen zu helfen. Wenn du meditierst, versucht er deine Gedanken auf die vielerlei verschiedenen Dinge zu richten, die er wünscht, anstatt auf das Eine, das du wünschst. Du bist nicht dieser Verstand. du sollst ihn nur gebrauchen. So Ist auch hier Unterscheidungsgabe nötig. Du mußt unaufhörlich achtgeben, sonst wirst du straucheln.
Zwischen Recht und Unrecht kennt der Okkultismus kein Verhandeln und kein Mittelding.
Was es auch kosten mag, du mußt das tun, was recht ist; und was unrecht ist, darfst du nicht tun, was immer auch die Nichtwissenden denken oder sagen mögen. Du mußt die verborgenen Naturgesetze tief erforschen; und sobald du sie erkannt hast, mußt du mit Vernunft und mit gesundem Menschenverstand dein Leben danach einrichten.
Du mußt unterscheiden zwischen Wichtigem und Unwichtigem. Stehe wie ein Felsen fest da, wo es sich um Recht und Unrecht handelt. Gib den anderen nach in gleichgültigen Dingen; denn du mußt stets sanft und freundlich sein, verständig und nachgiebig. Du mußt den andern auch dieselbe Freiheit lassen, die du für dich selbst beanspruchst. Erkenne recht das, was zu tun sich lohnt; bedenke, daß die Dinge nicht nach ihrer Größe zu beurteilen sind. Ein Geringes, das unmittelbar dem Werke des Meisters dient, ist wertvoller als etwas Großes, das die Welt gut nennen mag. Du mußt nicht nur das Nützliche vom Unnützen unterscheiden, sondern auch das Nützliche von dem weniger Nützlichen. Arme zu speisen ist ein gutes, edles und nützliches Werk; aber ihre Seelen zu speisen ist noch edler und nützlicher, als die Körper zu ernähren. Jeder Reiche kann den Körper speisen, aber nur die Wissenden können die Seelen sättigen.
Wenn du das Wissen hast, so ist es deine Pflicht, anderen zu helfen, daß sie wissen.
Wie weise du auch sein magst, du hast auf diesem Pfade noch viel zu lernen - soviel, daß auch dazu Urteilskraft vonnöten ist; du mußt sorgfältig unterscheiden, was des Lernens wert ist. Wohl ist alles Wissen nützlich: eines Tages wirst du alles Wissen haben. Doch solange du nur einen Teil davon hast, sorge dafür, daß es der wertvollste ist. Gott ist die Weisheit sowohl wie die Liebe, und je mehr du Weisheit hast, um so mehr kannst du von ihm auch offenbaren. Lerne daher, aber lerne das zuerst, was dir am meisten dienen wird, um anderen zu halfen. Arbeite geduldig an deinem Forschen, nicht, damit die Menschen dich für weise halten, auch nicht, damit du die Glücksempfindung hast, dich selbst weise zu schätzen, sondern einzig darum, weil allein der Weise einsichtsvoll zu helfen weiß. Wieviel immer du helfen möchtest, wenn du unwissend bist, kannst du mehr schaden, als du Nutzen stiftest.
Du mußt unterscheiden zwischen Wahrheit und Unwahrheit.
Du mußt lernen, wahr zu sein, durch und durch, in Gedanken, wie in Worten und in Taten.
Zuerst in Gedanken;
und das ist nicht leicht. Denn in der Welt sind viele unwahre Gedanken, viel törichter Aberglauben; und wer Sklave dieser Dinge ist, kann keine Fortschritte machen.
Deshalb darfst du nicht einen Gedanken annehmen, weil andere ihn für wahr halten, auch nicht, weil man seit Jahrhunderten daran geglaubt hat, noch auch, weil er geschrieben steht in einem Buch, das man für heilig hält. Du mußt darüber selbst nachdenken; und du mußt selbst urteilen, ob er vernünftig ist.
*[!!!] Merke dir, wenn auch tausend Menschen übereinstimmen im Urteil über eine Sache, von der sie nichts wissen, so ist ihre Meinung wertlos.
Wer auf dem Pfade wandeln will, muß lernen, für sich selbst zu denken, denn der Aberglaube ist eines der größten Übel in der Welt, eine der Fesseln, von denen du dich befreien mußt.
Deine Gedanken über andere müssen wahr sein; du darfst nichts von ihnen denken, was du nicht bestimmt weißt. Setze nicht voraus, daß sie stets an dich denken. Wenn jemand etwas tut, was, wie du meinst, dir schaden wird, und wenn er etwas sagt, was du auf dich beziehst, dann glaube nicht sofort: "Er wollte mich beleidigen." Höchstwahrscheinlich hat er gar nicht an dich gedacht, denn jedermann hat seine eigenen Sorgen, und seine Gedanken drehen sich meist um ihn selbst. Wenn jemand dich ärgerlich anredet, dann denke nicht: "Er haßt mich, und er wlll mir wehe tun." Vielleicht hat jemand anderer oder etwas anderes ihm Ärger verursacht; und weil er dich gerade trifft, läßt er seinen Ärger nun an dir aus. Er handelt töricht, denn Zorn ist eine Torheit; aber du darfst doch nichts Falsches von ihm denken.
Wenn du Schüler eines Meisters wirst, so kannst du stets die Wahrheit deines Denkens an dem Seinen ermessen; denn der Schüler ist eins mit dem Meister. Er braucht nur seine Gedanken in die seines Meisters hineinzulegen, um zu sehen, ob sie übereinstimmen. Tun sie das nicht, so sind seine Gedanken irrig, und er wird sie sofort berichtigen; denn des Meisters Gedanken sind vollkommen, weil Er Allweisheit besitzt. Die freilich, die Er noch nicht angenommen hat, können dies noch nicht ausführen. Doch können sie sich damit helfen, daß sie sich oft fragen: "Was würde der Meister wohl darüber denken? Was würde Er unter diesen Umständen sagen oder tun?" Du darfst nie etwas tun, sagen oder denken, von dem du dir nicht vorstellen kannst, daß es der Meister tun, sagen oder denken könnte.
Auch in deiner Rede mußt du wahr sein, stets genau und ohne Übertreibung. Lege niemals einem anderen Beweggründe zur Last, denn nur sein Meister kennt seine Gedanken; und er mag aus Gründen handeln, an die du gar nicht gedacht hast. Wenn du etwas Ungünstiges hörst über jemand anderen, wiederhole es nicht; denn es könnte ja gar nicht wahr sein, und selbst wenn es wahr wäre, so ist es besser, darüber zu schweigen. Denke gut nach, ehe du sprichst, damit du nicht in Ungenauigkeit verfällst.
Sei wahr und klar im Handeln. Gib dich niemals anders, als du bist; denn alle Vorspiegelung trübt das reine Licht der Wahrheit, das durch dich hindurch leuchten soll, wie Sonnenlicht durch klares Glas.
Du mußt auch unterscheiden zwischen Selbstsucht und Selbstlosigkeit. Die Selbstsucht nimmt viele Gestalten an; und wenn du denkst, du hast sie in der einen Form getötet, dann erhebt sie sich in einer anderen stärker als vorher. Allmählich wirst du aber von dem Wunsche, anderen zu helfen, so beseelt sein, daß du weder Zeit noch Raum finden wirst für Gedanken an dich selbst.
Noch auf eine andere Art hast du zu unterscheiden. Lerne Gott in jedem Menschen und in jedem Dinge zu erkennen, gleichviel wie böse er oder es äußerlich erscheinen mag. Du kannst deinem Bruder helfen durch das, was ihr stets gemeinsam habt: das ist das göttliche Leben. Lerne dies in ihm erwecken, lerne dies in ihm zu finden; dann wirst du den Bruder vor Unrecht behüten.
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