In eigener Sache: Publikation von "Eine Handvoll Staub und Knochensplitter" https://substack.com/home/post/p-139130404
Der Text erörtert anhand George Orwells Klassiker “1984” philosophische Grundsatzthemen wie: das Böse, die Macht, Wahrheit und Vernunft.
„Wir machen dich zu einem von uns“.
1 Der Ursprung des Bösen https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter
Im Krieg gegen die Natur, im Krieg gegen das Selbst und im Krieg aller gegen alle, wie Steiner es nannte, beginnen wir, der Erschöpfung zu erliegen. Die Frage, die sich uns angesichts dessen stellt, ist: Wie erschaffen wir die schönere Welt, von der unser Herz sagt, dass sie möglich ist? Wie können wir im Angesicht einer monströsen Maschine ihr Gegenteil erschaffen, wenn doch der Kampf gegen sie nur noch mehr Kämpfe in die Welt bringt? Wir sind des Kämpfens müde. Nach fünftausend Jahren Kreuzzug im Namen des Guten ist alles um uns herum ruiniert, billig und hässlich; aufgeblähter Überfluss neben schreiendem Elend, aussterbende Sprachen, aussterbende Kulturen, sterbende Wälder, sterbende Meere, schrumpfende Insekten-, Fisch- und Amphibienbestände, radioaktiver Müll, PCB in allen lebenden Zellen, Betonkrusten, die sich über die weiche Erde ausbreiten. Kein normaler Mensch wünscht sich so eine Welt. Darum nennen wir das, was geschieht, anormal, unbegreiflich, abscheulich, und suchen nach der endgültigen Erklärung für alles, was verkehrt ist: das Böse.
2 Die Beschaffenheit der Macht https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter-fad
O`Brien liefert in den berühmten Ausführungen, die kurz darauf folgen, eine außerordentlich klare Darstellung des Bösen:
„Fortschritt in unserer Welt wird ein Fortschritt hin zu mehr Schmerzen sein…. Wir haben die Bande zwischen Menschen und Mensch, zwischen Kind und Eltern, zwischen Mann und Frau durchtrennt…. Es wird nur noch die Loyalität gegenüber der Partei geben und sonst keine. Es wird nur noch die Liebe gegenüber dem Großen Bruder geben. Es wird nur noch das Lachen des Triumphs über einen besiegten Feind geben und sonst keines. Es wird keine Kunst, keine Literatur, keine Wissenschaft geben. Es wird keinen Unterschied zwischen schön und hässlich geben. Es wird keine Neugier, keinen Lebensgenuss geben. Ich sehe, Sie beginnen zu begreifen, wie diese Welt aussehen wird. Aber schließlich werden Sie sie mehr als nur begreifen. Sie werden sie akzeptieren, willkommen heißen, ein Teil von ihr werden.“
3 Die revolutionäre Bruderschaft https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter-9f8
Unsere Gaben werden abgelehnt, unsere Träume lächerlich gemacht, unsere Arbeit wird als wertlos und albern und unser Leben als eine Aneinanderreihung naiver und nutzloser Fehltritte angesehen. Die Welt hält uns für unfähig, verrückt oder unverantwortlich, weil wir uns weigern, uns an ein Programm zu halten, von dem wir instinktiv wissen, dass es falsch ist.
Dahinter steckt folgende Logik: „Wenn du recht hast und der Rest der Welt unrecht, warum befindest du dich dann in einem so erbärmlichen Zustand?“ Der Erfolg gibt dem Sieger recht. Was geschieht, wenn du dich gegen das Programm auflehnest? Du bist arm, wirst vergessen, missachtet und beleidigt. Und wenn du mitmachst? Sieh dir einen erfolgreichen Menschen an, sein komfortables Haus, sein üppiges Bankkonto, sein Boot, sein Ferienhaus am Strand, sein gesellschaftliches Ansehen, seine Abschlüsse, seine sozialen Kontakte, seine Auszeichnungen. Wer hat recht und wer unrecht? Auf einer tiefen biologischen Ebene ist diese Logik ziemlich überzeugend. Orwell wusste, wovon er sprach. Er wusste, was Erniedrigung und Folter mit dem menschlichen Geist machen können und wie man einen unschuldigen Menschen dazu bringen kann, beschämt um Gnade zu winseln und sich selbst für schuldig zu halten. Dieselbe Wirkung hat die Ungerechtigkeit, die uns vonseiten des Systems widerfährt, dem anzugehören wir uns weigern. Zweifel kommt in uns auf: „Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Wer bin ich, zu glauben, dass ich recht habe, und dass sie, die gut frisierten, angesehenen, intelligenten, mächtigen und erfolgreichen Menschen sich irren?“
4 Die falsche Revolution https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter-106
Woran können wir also erkennen, welche Seite die Oberhand hat? Wenn eine Organisation von dir verlangt, dich vorübergehend versklaven zu lassen, um der Welt die Freiheit zu schenken; wenn sie von dir verlangt zu lügen, um eine Welt der Wahrheit zu erschaffen; wenn sie dich Krieg führen lässt, um Frieden zu schaffen, oder dir sagt, du müssest im Namen der Liebe hassen, dann weißt du, dass sie nicht zur wahren Bruderschaft gehört. Wenn du dich darauf einrichten musst, etwas zu tun, das du eigentlich nicht tun willst, dann bist du nicht in der Bruderschaft. Denn Sklaverei im Namen der Freiheit, Lüge im Namen der Wahrheit, Krieg im Namen des Friedens, Hass im Namen der Liebe – all das sind Merkmale, an denen du erkennst, dass hier die „Partei“ herrscht. Ja, es sind sogar ihre zentralen Wahlsprüche. In ihrer Essenz unterscheiden sie sich nicht von all den Rationalisierungen, die die Räder der weltverschlingenden Maschinerie schmieren. Man findet immer einen Grund, eine Rechtfertigung für die Trockenlegung dieses Feuchtgebietes, die Rodung jenes Waldes, oder dafür, dass diese Bombe abgeworfen werden muss. Wir handeln gegen unser Herz und verraten unsere Integrität, um das zu tun, was – so reden wir uns ein – praktisch und notwendig ist, und dann versuchen wir unser Tun mit dem Verstand zu rechtfertigen.
5 Doppeldenk und die Abschaffung der Wahrheit https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter-78d
Verloren in einer sich selbst verstärkenden Welt von Zahlen, Symbolen und Glaubenssätzen nehmen wir das Leid, das unsere Entscheidungen verursachen, nicht einmal wahr. So groß ist die Macht dieser falschen Realität, dass wir, selbst wenn wir das Leid schließlich doch sehen, das Böse einfach als gut darstellen – wenn die Aufrechterhaltung des Narrativs dies erfordert.
6 Liebe und Vernunft https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-handvoll-staub-und-knochensplitter-42c
Es reiche nicht aus, dem Großen Bruder zu gehorchen. Es reiche nicht aus, sich in jeder äußeren Erscheinungsform anzupassen. Man müsse den Großen Bruder lieben.
In diesem Essay habe ich dargelegt, warum die Überzeugung, dass man für das Allgemeinwohl handelt, einen noch lange nicht zum Mitglied der Bruderschaft macht. Diese Überzeugung spricht sogar gegen eine Mitgliedschaft. Nach diesem Kriterium wären auch Heinrich Himmler, Joe McCarthy und fast jeder Tyrann, der je gelebt hat, in der Bruderschaft gewesen, und ebenso wären es der Spitzel aus der Nachbarschaft, der Stasi-Informant und der stellvertretende Rektor deiner Schule. Du kannst jetzt gleich mal deinen CO2-Fußabdruck berechnen. Dann multiplizierst du ihn mit deinem Wahlverhalten und zählst die Gründe hinzu, warum dein Job die Welt zu einem besseren Ort macht — oder zumindest nicht allzu viel Schaden in ihr anrichtet. Deine Verstöße gegen das Allgemeinwohl relativierst du mit dem Gedanken, dass man ja schließlich irgendwie seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Als Ergebnis erhältst du deinen Punktestand, der dir sagt, in welchem Maße du ein guter Mensch bist. Mit solchen Rationalisierungen und mithilfe von Doppeldenk kann jede Handlung gerechtfertigt werden. Und da Doppeldenk seine eigenen Spuren verwischt, ist es schwer zu sagen, in welchem Maße jeder von uns es anwendet.
Wie können wir also sicherstellen, dass wir der Bruder- oder Schwesternschaft einer wahren Revolution angehören, in der nicht nur Rollen und Feinde ausgetauscht wurden? Der Roman 1984 beantwortet diese Frage mit seiner Kernaussage darüber, was Verrat bedeutet.
Die vielleicht schmerzhafteste Szene des Buches spielt sich nach Winstons Entlassung aus dem Liebesministerium ab, als Julia und Winston sich auf der Straße begegnen. Jeder hat den anderen unter Folter verraten. Orwell inszeniert diese Szene meisterhaft:
Eigentlich waren sie sich nur zufällig begegnet. Es war im Park, an einem scheußlichen, schneidend kalten Märztag, als die Erde wie aus Eisen wirkte, alles Gras abgestorben und es nirgends eine Knospe zu geben schien, außer ein paar Krokussen, die sich hochgekämpft hatten, um vom Wind zerpflückt zu werden.
Das verheißt nichts Gutes. Der Dialog ist nicht weniger trostlos:
„Ich habe dich verraten”, sagte sie karg.
„Ich habe dich verraten”, sagte er.
Sie blickte ihn erneut voller Abscheu an.
„Manchmal", sagte sie, „da drohen sie einem mit etwas - etwas, dem man sich nicht stellen kann, an das man nicht einmal denken kann. Und dann sagt man: "Macht das nicht mit mir, macht es mit jemand anders, macht es mit Soundso." Und dann kann man hinterher vielleicht so tun, als sei es nur ein Trick gewesen und man habe es nur gesagt, damit sie aufhören, man habe es nicht ernst gemeint. Aber das stimmt nicht. In dem Augenblick meint man es ernst. Man sieht keinen anderen Ausweg, um sich zu retten und ist durchaus bereit, sich auf diese Weise zu retten. Man will, dass es der andere durchmacht. Es ist einem scheißegal, wie die anderen leiden müssen. Man denkt bloß an sich selbst.”
„Man denkt bloß an sich selbst”, wiederholte Winston.
„Und danach empfindet man für die andere Person nicht mehr dasselbe.”
„Nein”, sagte er, „man empfindet nicht mehr dasselbe.”
"Macht es mit ihr, nicht mit mir", schrie Winston. Es wird also behauptet, dass wir im Angesicht der schrecklichsten Sache der Welt immer das verraten werden, was wir am meisten lieben, dass die Angst größer ist als die Liebe, dass wir nur hilflose, von unwiderstehlichen biologischen Kräften gesteuerte Marionetten sind.
Orwell ruft uns hier jedoch eine Entscheidung ins Bewusstsein, vor der wir immer stehen, wenn die Stimme des Herzens auf die Angst trifft: „Was ist mit mir? Was wird mit mir geschehen?"
Wenn die Angst tatsächlich mächtiger ist als die Liebe, dann wird die Welt aus „1984“ zur Gewissheit. Wenn uns unser persönlicher Komfort, unsere Sicherheit oder unser Überleben stets wichtiger sind als das zu tun, was wir tief in unserem Herzen als richtig empfinden, dann gibt es keine Hoffnung für unsere Welt.
Orwell beschreibt, was mit uns geschieht, wenn wir dem Programm der Partei erliegen, das uns „zu einem von ihnen“ machen soll:Sie werden Dinge erleben, von denen Sie sich in tausend Jahren nicht erholen könnten. Sie werden nie mehr normaler menschlicher Empfindungen fähig sein. Alles in Ihnen wird tot sein. Sie werden nie mehr Liebe, Freundschaft, Lebensfreude, Lachen, Neugier, Mut oder Integrität kennen. Sie werden hohl sein. Wir werden Sie ausquetschen und dann mit unserem Denken füllen.
Es ist tatsächlich so, wie Orwell es beschreibt: „Alles in Ihnen wird tot sein.“ Wenn man sein Herz verrät, verursacht das eine innere Trennung, eine Spaltung des Selbst; und das Böse, das erfunden wurde, um uns zu bedrohen, wird zur Realität.
„Sie werden nie mehr Liebe, Freundschaft, Lebensfreude, Lachen, Neugier, Mut oder Integrität kennen.“ Ein solcher Zustand ist für die Aufrechterhaltung der Macht unentbehrlich. Der Faschismus speist sich aus einer gespaltenen Bevölkerung, deren Mitglieder sich gegenseitig misstrauen und bereit sind, sich zu bespitzeln, zu verraten und vor allem: tatenlos zuzusehen, wenn eine Person oder Gruppe verfolgt wird, denn es geschieht ja schließlich nicht einem selbst. Ich werde Martin Niemöllers berühmtes Gedicht zu diesem Thema zitieren, auch wenn es fast zu einem Klischee geworden ist, weil es mehr als nur ein ethisches Prinzip illustriert:
Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.Als sie die Juden einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Jude.Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
Wenn Menschen tatenlos zusehen, wie ihre Mitmenschen von der Polizei in Lager abtransportiert werden, liegt das nicht nur an ihrer Angst oder Blindheit. Es liegt an der Abwesenheit von Empathie, Freundschaft und Mut – von eben all den Dingen, die dem Parteimitglied genommen wurden.
Jedes Mal, wenn wir einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen als Untermenschenkategorisieren, werden wir fähig, tatenlos zuzusehen, wenn diese zum Schweigen gebracht, verfolgt, unterdrückt oder abgeschlachtet werden. Die Liebe verwelkt und an ihrer Stelle sprießt eine falsche Liebe – die Liebe zu einer Idee, einer Symbolfigur, dem geliebten Führer, der Partei.
Orwell hat diesen Prozess zu einem einzigen verhängnisvollen Verrat verdichtet, doch im wahren Leben entwickelt sich dieser Prozess nach und nach. Jedes Mal, wenn wir unser Herz verraten, stirbt etwas in uns ein wenig mehr. Jedes Mal, wenn wir uns gegen die Liebe entscheiden, öffnen wir einer anderen Macht die Tür.
...Ein #wahrerFreund hätte am 8. Oktober gesagt: „Du hast die einmalige Gelegenheit, den Teufelskreis des Hasses zu durchbrechen. Wenn du deine Einsätze über Gaza fliegst, fülle die Bomber mit Fotos der Opfer und dem Wort ‚#Genug!’ Und dann lege der #Welt deinen Vorschlag für #Frieden und #Gerechtigkeit vor. Beginne mit internationalen #Friedenstruppen und #Wahrheits-und-#Versöhnungs-Kommissionen. Sieh dir ehrlich an, wie du zu den Bedingungen beigetragen hast, in denen der Terrorismus gegen dich gedeiht, und verändere sie! Denn wenn du deine Rache ungehindert walten lässt, wirst du diese Bedingungen hundertfach verstärken. Aber wenn du in diesem entscheidenden Augenblick einen Schritt in Richtung machst, während die ganze Welt auf dich blickt, wirst du den Lauf der #Geschichte ändern.“ weiterlesen https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/ein-freund-lasst-nicht-zu-dass-du
Eine hunderttausend Mal erzählte Geschichte https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/eine-hunderttausend-mal-erzahlte
Was ist die nächste Geschichte? https://charleseisensteindeutsch.substack.com/p/was-ist-die-nachste-geschichte
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Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich https://charleseisenstein.org/books/the-more-beautiful-world-our-hearts-know-is-possible/deu/einfuhrung/

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