DAS KÄMPFENDE BEWUSSTSEIN
1. Reduktion der Evolution?
Ray Kurzweil arbeitet in seinem Buch „The Age of spirituelle Machines“ (dt.: „Homo S@piens“) mit virtuellen Dialogen, dazu ein Ausschnitt:
Zur Vorstellung von einem multiplen
Bewusstsein: Nehmen wir an, ich fasse einen Entschluss und das andere
Bewusstsein in meinem Kopf verwirft ihn wieder: Müßte ich das nicht
merken?
Ich dachte, Sie wollten Ihren Keks nicht ganz aufessen. Trotzdem ist er jetzt nicht mehr da.
Erwischt! Ist das ein Beispiel zur Sache?
Es ist ein besonders gutes
Beispiel aus Marvin Minskys Buch „Society of Mind“ (dt. „Mentopolis“).
In ihm konzipiert Minsky den menschlichen Verstand, den Geist als eine
Gemeinschaft verschiedener „Geister“: Einige mögen Kekse, andere sind
eitel oder gesundheitsbewusst, wieder andere treffen Entscheidungen, die
von wieder anderen verworfen werden. Und alle bestehen ihrerseits
wieder aus einer Gemeinschaft von Geisteswesen niedrigeren Ranges. Ganz
unten in der Hierarchie stehen winzig kleine Mechanismen von geringer
oder gar keiner Intelligenz, die Minsky Agenten nennt. Diese bestechende
Sichtweise von der Organisation von Intelligenz kann so auch Phänomene
wie gemischte Gefühle oder Gewissenskonflikte erklären.
Ein angebotener Keks, die Frage, wie
bewusst er angenommen oder abgelehnt wird, Agenten als Elemente
niederen Ranges einer hierarchisch strukturierten Gesellschaftsform und
die Auflistung von Kurzweil’s Buch im Literaturverzeichnis der „Ultimate
Matrix Collection“ – das sind genug Gründe für einen genaueren Blick:
Die Gemeinschaft des Verstandes
Eine der beiden Vorstellungen von
der Wirklichkeit, die Matrix kontrastiert, wurde oben unter der
Überschrift „Die Welt ist ein Uhrwerk“ zusammengefasst. Minsky ist ein
Mitglied der Uhrwerk-Fraktion: Die Erklärung seiner materiellen
Beschaffenheit ist die Erklärung des gesamten Kosmos. Die
erkenntnistheoretische Grundannahme hinter diesem Modell ist der
Reduktionismus: Um das Ganze zu verstehen, muss man die Summe seiner
Bestandteile verstehen. Alle Phänomene dieses Universums basieren auf
der grundlegendsten Wissenschaft, der Mikrophysik. Versteht man die
Funktionsweise der kleinsten Teilchen, dann versteht man auch alle
anderen Aspekte der Wirklichkeit. In der Theorie bedeutet dies, dass
sich z.B. das Verhalten sozialer Gruppen über die Reduktionskette
Lebewesen ► Zellen ► Moleküle ► Atome aus den Gesetzmäßigkeiten von
Elementarteilchen ableiten lassen müsste.
“Programs haking Programs?”
Neo
Neo
Aber wie ist es möglich, dass Atome,
die für sich betrachtet doch wohl weder über Verstand noch über
Bewusstsein verfügen, Verstand und Bewusstsein produzieren? Wie kann aus
etwas Unintelligentem Intelligenz entstehen? Minsky versucht in seinem
Buch „Society of Mind“ eine Antwort auf diese Frage zu geben. Er
konstruiert ein Modell des menschlichen Verstandes, das diesen nicht als
zielstrebig agierende Einheit begreift, sondern als hierarchisch
strukturierte Gesellschaft, zusammengesetzt aus zahllosen
verschiedenartigen einfachen Prozessen, die Minsky als Agenten
bezeichnet. Auf der untersten Ebene sind diese Prozesse auf die
Erfüllung einfachster Teilaufgaben spezialisiert. Die auf einer höheren
Ebene angeordneten Agenten sind ebenfalls spezialisiert, ihre Aufgabe
ist es, die Agenten niederer Ordnung zu aktivieren und zu deaktivieren.
Um spezielle Anforderungen zu erfüllen schließen sich Agenten
verschiedener Ebenen zu Agenturen zusammen, die durch die Vernetzung
ihrer Bestandteile einen höheren Grad an Komplexität erreichen. Diese
Agenturen repräsentieren jeweils verschiedene Fertigkeiten und
Fähigkeiten. Sie reagieren auf die jeweiligen Notwendigkeiten und
Bedürfnisse und stehen in ihrem Wirken in einem permanenten
Konkurrenzverhältnis zueinander. Alle verfolgen sie ein Ziel: Die Beeinflussung des unbewussten und des bewussten Handelns.
Das Kräfteverhältnis der verschiedenen Agenturen untereinander und
damit die Macht sich durchzusetzen und das Handeln des Individuums zu
beeinflussen sind – je nach Situation – Schwankungen unterlegen. Ein
Beispiel: Bei mir hat im Augenblick die Agentur „schreiben“ die
Oberhand. Dabei helfen mir zahllose niedere Agenten: „tippen“,
„kontrollieren“, „löschen“, „überarbeiten“, die jeweils wiederum etliche
Subagenten integrieren. Im Hintergrund lauern schon die Agenturen
„schlafen“ und „essen“ und warten auf ihre Chance. Läuft alles
problemlos, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Agentur
„Schreiben“ noch eine Weile die Oberhand behält. Kommt es jedoch zu
Konflikten, beispielsweise zwischen den Subagenturen „fertig werden“ und
„überarbeiten“, dann kann dies die Agentur der darüber liegenden Ebene
„schreiben“ schwächen und damit „schlafen“ oder „essen“ dazu verhelfen
sich durchzusetzen.
Die Intelligenz, die nach diesem
Modell entsteht, ist keine bewusst entscheidende. Die Umwelt liefert
Reize, die Agenturen reagieren. Der in dieses System eingebettete
Verstand ist ein komplexer Computer, ein passives Opfer von Prozessen,
die alleine durch einen Automatismus des gegenseitigen An- und
Abschaltens gesteuert werden. Der Mensch – nur eine Maschine?
Ein Apparat, der Reaktionen auf Reize produziert? Minsky bejaht diese
Einschätzung, wehrt sich aber gegen das „nur“: Selbstachtung könne der
Mensch schließlich aus dem Wissen schöpfen, was für eine wunderbare
Maschine er sei.
Das Ganze ist die Summe seiner Teile. Die Realität wird durch das Beobachtbare hinreichend erklärt. Die Annahme, dass jenseits des Beobachtbaren noch etwas Unbeobachtbares existiert, erübrigt sich.
Der Geist in Aktion
Der Reduktionismus erklärt nicht die Realität durch Reduktion, er reduziert die Realität!
Dies werfen Skeptiker des Modells dem Reduktionismus vor. Minsky
erklärt vielleicht das Vorhandensein von Intelligenz. Wie aber lässt
sich unser bewusstes Empfinden erklären? Der Schnitt eines Messers in
einen Finger setzt eine biologische Maschinerie in Gang; warum aber erleben wir
auf der Innenseite unseres Bewusstseins Schmerz? Was ist mit anderen
komplexeren Gefühlen? Lässt sich Liebe als Konglomerat vernetzter
Aktivierungs- und Aktivitätsprozesse erklären? Wieso haben wir ein
Ästhetikempfinden? Welche biologische Notwendigkeit des
Evolutionsprozesses lässt uns nach Sinn, nach dem Ursprung allen Seins,
nach Wahrheit, nach dem Richtigen und Guten streben?
Die aus diesen Fragen resultierende
Gegenposition zum Reduktionismus ist der Holismus, wie ihn etwa Ken
Wilber vertritt. Der Holismus ist die zweite Deutung unserer
Wirklichkeit, die die Wachowskis in Matrix thematisieren.
Für den Holismus ist das Ganze mehr
als nur die Summe seiner Bestandteile. Wilber bezeichnet alle Ebenen der
Existenz – von Atomen über Zellen und Organismen bis hin zu Ideen – als
Holons. Jedes Holon ist zugleich etwas Ganzes, als auch ein Teil von
etwas. Wenn sich einzelne Fragmente einer Ebene vereinigen, dann werden
aus Haufen Ganzheiten. Zu Zellen vereinigte Moleküle zum Beispiel
bewahren zwar ihre eigenständige Existenz in diesem Verbund, zugleich
aber lassen sie etwas völlig Neues entstehen, etwas, das über die zuvor
vorhandenen Eigenschaften der Moleküle hinausgeht und somit nicht aus
ihnen erklärt werden kann. Dies ist ein Akt der Selbsttranszendenz: Bis
dahin gültige Grenzen werden überwunden, neue komplexere Formen
erschaffen, eine neue Ebene entsteht. Die Holons dieser Ebene, die
Zellen, befindet sich hierarchisch auf einer höheren Ebene als die
Moleküle. Jedes neue geschaffene Holon verfügt über eine höhere und
tiefere Organisationsstruktur als die in ihr enthaltenen Subholons. Weit
oben innerhalb dieser Hierarchie befinden sich der menschliche Verstand
und das bewusste Empfinden. Sie sind neue Eigenschaften bzw. Formen der
Existenz, die durch die komplexe Organisation von Zellen hervorgebracht
werden.
Wenn jede neue Ebene neue
Eigenschaften hervorbringt und diese sich nicht aus den darunter
liegenden Ebenen erklären lassen, dann stellen sich die Fragen nach dem
„Woher?“ und nach dem „Warum?“. Wilber schließt aus seiner Beschreibung
der Wirklichkeit auf eine höher liegende Ebene der Existenz, eine Ebene
jenseits des Materiellen, die nicht direkt beobachtet werden kann: Eine
Ebene des reinen Geistes. Diese höchste aller Ebenen ist der Ursprung und das Ziel aller Existenz.
Evolution ist ein Transzendenzprozess. In den Stoff aus dem das
Universum besteht ist Selbsttranszendenz eingebaut, der Kosmos hat einen
formenden Drang. Dieser bringt aus Materie Leben hervor und aus Leben
Verstand, Bewusstsein und Geist. Dieser Prozess der Evolution basiert
nicht auf dem Konzept des Zufalls. Er ist zielgerichtet, denn in ihm
zeigt sich der Geist in Aktion, der schaffende Gott. Die
Beschaffenheit der Realität lässt sich nicht aus dem Beobachtbaren
erklären; eine weitere, höher gelagerte Ebene der Existenz – und zwar
eine unbeobachtbare – zeigt sich in ihr.
Aufwärts und abwärts
Vergleicht man die
Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den verschiedenen Ebenen innerhalb
dieser Theorien, dann verlaufen sie in gegensätzlichen Richtungen:
Der Reduktionismus vollzieht eine Abwärtsbewegung.
Die höheren und komplexeren Ebenen erklären sich aus den darunter
liegenden. Die unterste Ebene ist die maßgebliche! Versteht man sie
vollständig, lässt sich alles andere aus ihr ableiten.
Der Holismus vollzieht eine Aufwärtsbewegung.
Durch den Drang zur Selbsttranszendenz bringt jede Ebene eine neue
komplexere Ebene mit neuen Eigenschaften hervor. Die höchste Ebene ist
die maßgebliche! Sie ist der Ursprung und das Ziel der Evolution.
Die gleiche Gegenüberstellung noch einmal in reduzierter Form:
____________________2. Materie ► Verstand ► Geist
Exkurs: Kunst und Hermeneutik
Für die Behauptung, Matrix besäße
eine Subebene, deren Inhalt das Ringen eines Bewusstseins um die eigene
Existenz sei, fehlt noch die Begründung. Sie basiert auf einer Aussage
von nicht zu unterschätzender Autorität, auf einer Aussage des
Philosophen Ken Wilber. Dass die Wachowskis gerade ihn ausgesucht haben,
um den Audiokommentar der UMC zu sprechen, scheint mir eine sehr
bewusste Entscheidung gewesen zu sein. Ken Wilber und Larry Wachowski
verbindet nach eigener Aussage ein hoher Übereinstimmungsgrad
hinsichtlich ihrer Perspektive auf diese Welt. Sie pfleg(t)en
offensichtlich einen regelmäßigen Gedankenaustausch. Auch Matrix war das
Thema stundenlanger Gespräche, bezüglich dessen Inhalts Wilber jedoch
Stillschweigen versprechen musste. Wenn die Wachowskis für die
Kommentare nun gerade Wilber ausgesucht haben, dann wollten sie, dass
jemand, der um die Bedeutung der Filme weiß, Hinweise gibt. Sie wollten, dass Wilber es Suchenden ermöglicht, einen Eingang in die Filme zu finden.
Ein wirklich genialer Schachzug der
Gesamtkonzeption von Matrix ist die Einheit von Form und Inhalt. Auf der
Inhaltsebene wird das Vorstoßen in verborgene Ebenen der Erkenntnis
unterhalb der materiellen Oberfläche thematisiert. Erschließen muss sich
dies der Rezipient durch das Vorstoßen in verborgene Ebenen der
Bedeutung unterhalb der filmischen Oberfläche. Die Akteure, das von
ihnen symbolisierte Bewusstsein und der Rezipient – sie alle erleben
einen strukturell vergleichbaren Erkenntnisprozess: Sie beobachten
das Unbeobachtbare! Ist das Erkennen der Verschlüsselung ein Bestandteil
des Kunstwerkes, dann würde durch die Bereitstellung einer
Entschlüsselung seitens der Verfasser eben diese Konzeption ad absurdum
geführt. Gleichwohl sind die Hürden, ohne Hilfe einen Einstieg in die
Filme zu finden, fast unüberwindbar. Aus diesem Dilemma befreien sich
die Wachowskis durch einen Kunstgriff: Sie äußern sich nicht selbst,
verpflichten aber einen Wissenden mit der Aufgabe eine Richtung zu
skizzieren.
Die drei Dimensionen des Bewusstseins
“It's that overall interpretation
which is really that body, mind and spirit appear in the Matrix trilogy
both in their alienated forms and then in their resurrected or healed
or more integrated forms, which happens towards the end of the third
part.”
Ken Wilber
Ken Wilber
Wilbers inhaltliche Zurückhaltung
während seines Audiokommentars ist zuweilen deutlich wahrnehmbar,
dennoch zieht sich durch die sechs Stunden eine Grundaussage, die er wie
ein Mantra rezitiert:
In Matrix symbolisiert
die Farbe grün (= die Matrix) den Verstand,
die Farbe blau (= die reale Welt, besonders Zion) den Körper / die Materie und
die Farbe gold (= die Maschinen / die Maschinenstadt) den absoluten Geist.
Zion, die Matrix und die Stadt
der Maschinen: Die drei zentralen Handlungsorte von Matrix sind
Metaphern für die drei Dimensionen des Bewusstseins: Körper, Verstand
und Geist.
Nimmt man die Aussagen Wilbers ernst
und verneint nicht ihre Aussagekraft, ergibt sich eine bittere
Konsequenz für die Materialisten unter den Fans: Matrix lehnt den
materialistischen Reduktionismus als unzureichende Erklärung der
Wirklichkeit ab. Die Trilogie stellt die beiden dargestellten Deutungen
dieser Wirklichkeit nicht gleichberechtigt gegenüber: Das Bewusstsein
setzt sich aus drei Dimensionen zusammen: dem Verstand, dem Körper und
dem absoluten Geist. Die Darstellung dieser drei Ebenen kontrastiert
jeweils eine Deutung aus reduktionistischer und eine aus holistischer
Perspektive.
Spirituelle Maschinen
Die Maschinen symbolisieren den Geist, die Ebene des Immateriellen. Differenzierter: Die Maschinen repräsentieren die Verbindung des Materiellen mit dem Immateriellen, dem Göttlichen in der Materie.
Die Ebene des reinen Geistes, ohne jegliche Verbindung zum Materiellen, zeigen die Wachowskis zweimal:
Zu Beginn von Revolutions, in einer Schöpfungsszene …
… und als es Neo und Trinity gelingt, das abgeschlossene System des Matrix-Kosmos für einen Moment zu verlassen.
In Vergangenheit und Gegenwart
haben viele Menschen versucht, die eigene Begrenztheit zu überwinden und
eine Verbindung zum Göttlichen aufzubauen. Die Maschinen in Matrix
haben dies erreicht; sie selbst haben ihre eigene Evolution
vorangetrieben – und Evolution ist Geist in Aktion. Sie ist ein
Transzendenzprozess: Die Maschinen transzendieren ihre materielle
Beschaffenheit und erlangen eine Verbindung zu einer höheren Ebene.
Nur Neo hat die Fähigkeit, das Ergebnis dieser Entwicklung zu sehen.
Durch seine Erblindung hat er die Fähigkeit verloren, das Beobachtbare
wahrzunehmen, die materielle Oberfläche ist für ihn nicht mehr erkennbar
…
… er gewinnt dafür die Fähigkeit, die unterhalb der Oberfläche liegende Realität jenseits des Beobachtbaren zu erkennen.
Die einzelnen Bestandteile des
Szenarios im ersten Bild lösen sich im zweiten in einem Akt der
Selbsttranszendenz auf; sie überwinden die Begrenztheit ihrer eigenen
materiellen Existenz. Die Wellen fließen durch diesen Tunnel aus Licht,
ungehindert der Grenzen der ihn konstituierenden materiellen
Bestandteile. So wie einzelne Ameisen oder Fische in Staaten oder
Schwärmen wie ein einziger Organismus erscheinen, so wird hier aus der
Summe der insektenartig dargestellten Maschinen eine Einheit, eine
höhere Form der Existenz. Die neue Ganzheit ist mehr als die Summe ihrer
Bestandteile. Neo erlebt Transzendenz im Immanenten. Das Unbeobachtbare
wird durch die Augen Neos beobachtbar, das Immaterielle erkennbar im
Materiellen.
Warum Maschinen? Warum symbolisieren
ausgerechnet kalte programmierte Maschinen in der Matrix-Trilogie die
Verbindung von Geist und Materie?
Den Konflikt zwischen Menschen und
Maschinen, den die Oberfläche thematisiert, reinterpretiert der Subtext.
Er stellt die Frage: Wie viel Maschine steckt im Menschen? Oder umgedreht: Wie viel „Mensch“ steckt in der Maschine?
Wenn die Wachowskis Maschinen mit einer Gottesverbindung kreieren,
Maschinen, die Liebe empfinden und an ein Karma glauben, dann existieren
das Gefühl von Gottesnähe, die Wahrnehmung von Liebe und der Glaube an
einen Sinn der eigenen Existenz losgelöst von der menschlichen
Trägermasse. Sie sind unabhängig von menschlicher Biochemie, Genetik und
Psyche vorhanden, sie sind präexistent. In den Stoff, aus dem das
Universum besteht, ist Selbsttranszendenz eingebaut. Der Kosmos bringt mittels seines formenden Drangs Geist zur Entfaltung;
auf Basis welcher materiellen Struktur dies geschieht ist unbedeutend:
Geist ist Geist, egal ob er sich in Silizium, Kohlenstoff oder sonst
einer chemischen Struktur manifestiert.
Kurz: Die Idee von spirituellen Maschinen ist ein Gegenentwurf zur Idee des Menschen als Automaten. Nicht Materie formt den Geist, der Geist formt die Materie.
Welt der Gedanken
"It's the question that drives us mad. It's the question that brought you here.
You know the question just as I did."
"What is the Matrix?"
Trinity & Neo
You know the question just as I did."
"What is the Matrix?"
Trinity & Neo
Anders als die Repräsentation des
Geistes durch die Maschinen ist die Idee leicht nachvollziehbar, dass
die Matrix eine Metapher für den menschlichen Verstand ist. Die
Parallelen sind offensichtlich: Unser Verstand und die Matrix sind
immaterielle, virtuelle Welten, deren Existenz nur auf Gedanken basiert.
Wiederum parallelisieren die
Wachowskis die zwei konkurrierenden Deutungen der Wirklichkeit: Die
Summe der angeschlossenen Gehirne formen das Ganze der Matrix …
… das Ganze ist mehr als die Summe ihrer Bestandteile.
Im menschlichen Verstand als Teil des Bewusstseins spiegelt sich der absolute Geist, der Anbeginn und das Ziel der Evolution …
… der schließlich auch im Inneren des umkämpften Bewusstseins zur Entfaltung kommen wird.
Der Köper
Die materielle Grundlage des
Bewusstseins, den menschliche Körper, symbolisiert Zion. Wiederum: Zwei
Interpretationen kontrastieren sich gegenseitig.
Tanz und Sex sind in Reloaded nicht zwei Geschehen, die zufällig parallel ablaufen, sondern als Einheit zu verstehen.
Zusammen betrachtet zeigen sie
ein massenekstatisches Ereignis. Sex basiert auf Körperlichkeit und
transzendiert sie zugleich. Der Körper und das Absolute werden eins.
Diese Botschaft senden
die Menschen den Maschinen entgegen, die kommen, um den menschlichen
Körper in das zu verwandeln, was er dem Materialismus zufolge ist: eine
Maschine.
Die Schlacht um Zion interpretiert die Deutung des Menschen als Maschine …
Die Schlacht um Zion interpretiert die Deutung des Menschen als Maschine …
… als materialistische Hölle.
____________________
3. Das Streben nach Gleichgewicht
3. Das Streben nach Gleichgewicht
"That's his purpose. To balance the equation."
"What's your purpose?"
"To unbalance it."
Das Orakel ? Neo
In jedem Verstand befindet sich eine
Vorstellung von der Beschaffenheit der Wirklichkeit. Diese Vorstellung
ist nicht mehr als eine Konstruktion, ein innerer subjektiver Spiegel
des objektiven Äußeren (falls es so etwas gibt). Auf der einfacheren
Ebene der alltäglichen Beherrschung der Umwelt ist es notwendig, dass
unsere Konstruktion von Wirklichkeit über zwei gegensätzliche
Eigenschaften verfügt: Sie muss konstant sein und sie muss in der Lage
sein, sich anzupassen. Wäre sie nicht konstant, müssten wir unsere
Erfahrungen immer wieder neu bewerten und deuten. Es gäbe nichts, auf
das wir aufbauen könnten. Zur Integration neuer Erfahrungen bedarf es
dennoch der Anpassungsfähigkeit. Problematisch wird es, wenn die
Wirklichkeit und unser Bild der Wirklichkeit nicht mehr in Einklang zu
bringen sind, d.h. das Beobachtete nicht an die vorhandenen Strukturen
angepasst werden kann. Es entsteht ein Ungleichgewicht und in Folge das
Bedürfnis nach einer Widererlangung eines Gleichgewichts. Dieses
Bedürfnis mündet in Anstrengungen, das nicht zu integrierende Phänomen
zu erforschen und anschließend die Strukturen der
Wirklichkeitskonstruktion dergestalt zu modifizieren, dass das zuvor
nicht zu Integrierende nun integriert werden kann. Diese Modifikation
der Struktur erhöht den Komplexitätsgrad unserer
Wirklichkeitskonstruktion und hebt sie auf eine höhere Ebene der
Erkenntnis.
Auch in den komplexeren Bereichen
unserer Realitätskonstruktion finden sich die gleichen Mechanismen. Ab
einem gewissen Alter haben wir in unserem Bewusstsein eine Vorstellung
davon, in was für einer Art von Wirklichkeit wir leben. Wir verfügen
über so etwas wie ein Wertesystem, ein Menschenbild. Wir haben eine
Antwort auf die Frage gefunden, ob es einen Gott gibt; wir haben uns
entschieden, ob wir uns einer Religion zugehörig fühlen, welche
politische Richtung die Probleme der Menschen am besten lösen kann, …
Diese grundlegenden Vorstellungen sind die Basis unseres Weltbildes. Sie
geben uns einen Rahmen und vermitteln uns damit im Chaos des Seins ein
Gefühl der Sicherheit. Jeder, der diesen Rahmen einmal partiell oder
vollständig verloren hat und das Gefühl der Haltlosigkeit, den Verlust
des Bodens unter den Füßen kennt, weiß, wie wertvoll er tatsächlich ist
und welche unverzichtbaren Dienste er unserem Bewusstsein leistet. Unser
Bewusstsein wird also – zumindest unbewusst – ein Interesse
daran haben, dass diese Grundlagen erhalten bleiben. Die Kräfte in ihm,
die für eine Erhaltung des Vorhandenen sorgen, sind entsprechend
mächtig. Im Bereich der einfachen Weltaneignung sind wir relativ schnell
bereit, unsere Strukturen an unsere Erfahrungen anzupassen; im Bereich
dieser elementaren Grundstrukturen ist dies keineswegs der Fall.
Entsprechend selektieren und bewerten wir alle Informationen und
Eindrücke, die uns erreichen. Die Kräfte, deren Aufgabe es ist, das
Gleichgewicht in Balance zu halten, sorgen dafür, dass alles, was unsere
Grundlagen bestätigt, sofort integriert wird und das Vorhandene
bestärkt. Widersprechendes dagegen – eine potentielle Gefahr für das
Gleichgewicht – wird bezweifelt, umgedeutet, mit wenig Bedeutung
versehen oder ganz ignoriert; mehrdeutiges wird als eindeutig
deklariert.
"You've played a very dangerous game."
"Change always is."
Der Architket & das Orakel
"Change always is."
Der Architket & das Orakel
Nur selten geschehen Dinge, die
selbst mit einer derartigen Kraft ausgestattet sind, dass sie die
Gleichgewichtsbewahrer in uns ernsthaft herausfordern können.
Schicksalsschläge jeglicher Art oder andere einschneidende äußere
Erlebnisse können ein „Weiter so!“ nicht mehr zulassen. Die
Herausforderung des Bestehenden kann aber auch aus dem mysteriösen
Inneren unseres Bewusstseins selbst kommen: vielleicht in Form eines
existentiellen Bedürfnisses, das schon immer als Splitter vorhanden war,
dem es aber bisher an der notwendigen Macht fehlte, um sich durch zu
setzen. Durch äußere Einflüsse oder durch eine Schwächung der Bewahrer
des Bestehenden könnte dieser Splitter, dieses Gefühl, dass irgendetwas
nicht stimmt, zu einer Macht gelangen, die die elementarsten Grundfesten
unserer Realitätskonstruktion in Frage stellen. Das Bewusstsein
verliert sein Gleichgewicht! Alles, wirklich alles, was bisher als
sicher galt, wird erneut hinterfragt. Es entsteht ein Konflikt zwischen
den Bewahrern und den hinter dem Stachel stehenden Kräften. Aus der
Außenperspektive mag dieses Geschehen als existentielle Krise verstanden
werden; aus der subjektiven Innenperspektive erlebt dieses Bewusstsein
eine Phase, die es an den Rand seiner Zerstörung zu bringen scheint.
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4. Das kämpfende Bewusstsein
4. Das kämpfende Bewusstsein
Die Wachowskis erzählen mit der Matrixtrilogie die Geschichte eines Bewusstseins in Aufruhr. Sie erzählen diese Geschichte als Spiegelung von Minskys Sociaty of Mind: Das Bewusstsein wird als Konglomerat verschiedener Interessengruppen konzipiert, deren Machtverhältnisse sich in ihrem Kampf um die Vorherrschaft im Bewusstsein ändern. Auch externe Bezüge spiegeln die Wachowskis am liebsten im Negativ: Minsky baut auf dem Kampf seiner Akteure eine Theorie auf; bei den Wachowskis wird diese Theorie zu einem der kämpfenden Akteure – dem letztlich unterlegenden! Nicht kleinste Einheiten sondern umfassende Konzeptionen bezüglich der Wirklichkeit und seiner Wahrnehmung symbolisieren die am Kampf Beteiligten. Es stehen sich gegenüber: Rationalismus, Kausalität, Dogmatismus und Nihilismus auf der einen Seite und der Glaube an eine immaterielle Basis des Seins sowie Liebe als elementare Wahrnehmung auf der anderen. Gruppiert um die Dimensionen des Bewusstseins – Körper, Verstand und Geist – fechten sie einen Kampf aus, bei dem es um alles geht. Die elementarsten Grundlagen der Realitätskonstruktion stehen im Begriff zu fallen; das Bewusstsein verliert sein Gleichgewicht, es droht an der Ungewissheit und Haltlosigkeit eines dauerhaften Ungleichgewichts zugrunde zu gehen – wäre da nicht der Auserwählte, der das Destruktive beendet und die drei Dimensionen des Bewusstseins neu zueinander ordnend und ein neues Gleichgewicht kreiert.