Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Sonntag, 28. Juli 2019

U. G. Krishnamurti || Der Mut, allein zu stehen, Teil II Der Hunger muß sich selbst verzehren

27.07.2019
...es ist die Angst davor, daß das, was Sie kennen, aufhören wird
...Wenn man auf dieser Welt nichts mehr begehrt, gibt es auch kein Denken mehr. Das will nicht heißen, daß es dann keine Gedanken mehr gäbe.

F: Als ich zwei Jahre alt war, träumte mir, daß ich keine Luft bekäme. Das ist wohl eine Ausrede...
U.G. Das ist etwas, was Sie nicht durch eigene Willens- oder Kraftanstrengung tun oder veranlassen können. Wenn es also so weit ist, dann wird es möglicherweise nicht das sein, was Sie eigentlich wollten. Sie werden niemals um das Ende dessen ersuchen, als das Sie sich kennen und erfahren. Aber manchmal, sehen Sie, geschieht es doch. Es ist also die Angst davor, daß es mit dem zu Ende gehen wird, was Sie als sich selbst kennen und erleben, die es nicht zuließ, daß endgültig Schluß ist mit dem Ganzen. Wenn Sie viel Glück gehabt hätten und es wirklich geschehen wäre, dann hätte alles in seinen natürlichen Rhythmus fallen können, und der ist unstet und zusammenhangslos.

Das Denken funktioniert auf diese Weise Es besitzt keine Kontinuität. Die einzige Möglichkeit, wie das Denken seine Kontinuität aufrechterhalten kann, besteht darin, daß es ständig danach verlangt, immer und immer wieder dasselbe zu erfahren. Es ist also nur das Wissen vorhanden, das Sie über sich selbst und die Welt besitzen. Die Sie umgebende Welt unterscheidet sich nicht sehr von der, die Sie in Ihrem Innern für sich selbst geschaffen haben. Wovor Sie sich fürchten (nicht Sie, sondern die Denktätigkeit) ist, daß diese Kontinuität an ihr Ende gelangen könnte.

...Es ist das Denken, das daran interessiert ist, sich selbst aufrechtzuerhalten und ohne jede Unterbrechung weiterzumachen und das daher andauernd nach diesen Erfahrungen verlangt. Nur so kann es sich seines Fortbestehens versichern. Der Körper arbeitet auf ganz andere Weise, und er ist an den Aktivitäten des Denkens nicht interessiert. Das einzige Denken, das für diesen Körper unabdingbar ist, ist jenes, welches er zum Überleben des lebendigen Organismus benötigt.

...Es gibt nichts, was Sie tun könnten, um Ihr Ziel mittels eigenen Bemühens und durch Willenskraft zu erreichen. Aus diesem Grund lege ich solchen Wert auf die Feststellung, daß so etwas, wenn es denn geschieht, gar nichts Geheimnisvolles ist. Das Denken findet zu seinem natürlichen Rhythmus eines unzusammenhängenden, diskontinuierlichen Funktionierens. Das ist alles.

Dann befindet sich das Denken in Harmonie mit den sensorischen Wahrnehmungen und den Sinnesaktivitäten. Es gibt keinen Konflikt, es gibt dort keinen Kampf, es gibt keinen Schmerz. Es gibt nur eine harmonische Beziehung zwischen Denken und Körper. Wann immer ein Gedanke gebraucht wird, wird er dann zur Verfügung stehen, wenn es zu handeln gilt. Dieser Körper ist nur an einer solchen Handlung interessiert, die zum Überleben des lebendigen Organismus unbedingt notwendig ist.

Der Körper interessiert sich nicht für irgendwelche Ideen bezüglich Ihrer religiösen oder materiellen Ziele. Sie interessieren ihn überhaupt nicht. Zwischen dem Denken und dem Körper findet andauernd ein immerwährender Kampf statt.

Am Denken ist nichts Geheimnisvolles; es ist das, was die Kultur, und damit natürlich die Gesellschaft, vorgegeben hat. Es gibt keinen Unterschied zwischen Kultur und Gesellschaft. Die Gesellschaft ist an ihrem Weiterbestehen, an Permanenz interessiert. Sie ist am Status quo interessiert. Sie hält den Status quo immerzu aufrecht. Daher ist das Denken dem Staate dienlich. Die Gesellschaft sagt: „Wenn Sie nicht so und so handeln, wenn Sie nicht auf eine bestimmte Weise denken, dann werden Sie asozial, weil all Ihre Handlungen gedankenlos und impulsiv sein werden.“ Sie ist daran interessiert, jeden einzelnen Ihrer Gedanken genau in die Richtung zu kanalisieren, die den Status quo erhält. Darum besteht im Grunde ein essentieller und fundamentaler Konflikt zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen. Die Kultur wurde nur deshalb übernommen und akzeptiert, weil sie ein Mittel zum Überleben ist.

Die Kultur verfügt über ihre eigene Dynamik, die mit dem Überleben des Körpers in keinerlei Zusammenhang steht. Solange Sie noch von dieser Kultur Gebrauch machen, sind Sie kein Individuum. Sie können erst dann zu einem Individuum werden, wenn Sie total mit dieser Art von Weisheit brechen.

So etwas wie Ihr Bewußtsein oder mein Bewußtsein gibt es nicht. Vielleicht gibt es etwas wie einen ‘Weltgeist’, ein Bewußtsein, in dem alles kumulative Wissen und die daraus entstandenen Erfahrungen, die von einer Generation an die andere weitergegeben werden, angehäuft sind. Wir müssen dieses Bewußtsein gebrauchen, um in dieser Welt vernünftig und intelligent funktionieren zu können. Wenn wir das nicht tun, werden wir wahrscheinlich in einer Anstalt landen. Die Gesellschaft ist lediglich daran interessiert, jeden Einzelnen in ihre Struktur einzupassen und so ihren Fortbestand sicherzustellen.


Sie gehen davon aus, daß Sie nach spirituellen Erkenntnissen hungerten, und Sie strengen sich an, Ihre Ziele zu erreichen. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich auf diesem Markt sehr viele Menschen tummeln – all diese Heiligen, die alle möglichen schäbigen Güter verkaufen. Was immer auch die Gründe dafür sein mögen, warum sie das tun, soll hier nicht unser Anliegen sein; sie tun es jedenfalls. Sie sagen, es sei zum Wohle der Menschheit, oder sie täten es aus Mitgefühl und dergleichen mehr. Das ist sowieso alles Blödsinn. Ich will damit ausdrücken, daß Sie sich mit ein paar Brotkrumen abspeisen lassen, die sie Ihnen hinwerfen. Und eines Tages, so versprechen sie, werden sie Ihnen einen ganzen Brotlaib liefern. Das ist ein hohles Versprechen. Sie können diese Güter gar nicht liefern. Sie haben sie ganz einfach nicht. Sie können den Laib nur in kleine Stücke schneiden und unter den Menschen verteilen. Jesus hat nicht bewirkt, daß sich ein Brotlaib nach dem andern materialisierte, sondern er hat das Brot genommen, das gerade da war, hat es in kleine Stückchen aufgeteilt und an alle verteilt, die zugegen waren. Sie möchten das natürlich gerne einem Wunder zuschreiben.


Was ich sage, ist, daß sich der Hunger selbst verzehren muß. Sehen Sie, ich sage jeden Tag das gleiche, nur in etwas anderen Worten, um diese Dinge auf verschiedene Weise darzustellen. Das ist alles, was ich tun kann. Mein Wortschatz ist sehr, sehr beschränkt; also muß ich dieselben Worte immer wieder gebrauchen und stets aufs Neue das gleiche betonen, nämlich, daß der Hunger sich selbst verzehren muß.   

Es nützt nichts, wenn Sie sich mit allerlei Junk food vollstopfen. Es bringt nichts, darauf zu warten, daß jemand kommen wird, um Ihren Hunger zu stillen. Es ist völlig zwecklos, den Hunger zu stillen. Der Hunger muß sich selbst verzehren – muß sich, im wörtlichen Sinne, selbst verbrennen.

Ich muß eines immer wieder betonen: es kommt nicht darauf an, was Sie tun oder was Sie nicht tun, damit es geschehen kann. Und warum es dem einen geschieht und dem anderen nicht – auf diese Frage gibt es keine Antwort. Ich versichere Ihnen, daß es nicht demjenigen Menschen zustoßen wird, der sich darauf vorbereitet oder der sich geläutert hat, um bereit zu sein, es zu empfangen. Es ist umgekehrt. Es trifft einfach. Aber es trifft zufällig. So ist die Wirkungsweise der Natur. Der Blitz schlägt irgendwo ein. Er interessiert sich nicht dafür, ob er einen Baum trifft, der in Blüte steht, der Früchte trägt oder den Menschen nützlich ist, indem er ihnen Schatten spendet. Er schlägt einfach zufällig irgendwo ein. Und genauso geschieht es mit einem bestimmten Individuum, und dieses Geschehnis ist akausal. Es gibt keine Ursache dafür.


In der Natur geschehen viele Dinge, die keiner bestimmten Ursache zugeordnet werden können. Ihr Interesse, das Leben oder die Biographie jener Menschen studieren zu wollen, von denen Sie annehmen, sie seien erleuchtet oder Gottesmänner, liegt also nur in der Hoffnung begründet, dadurch einen Hinweis zu finden, wie die es wohl geschafft haben mögen. Dann wollen Sie deren Techniken anwenden, damit Ihnen das gleiche geschehen möge. Allein darin liegt Ihr Interesse. Diese Menschen geben Ihnen irgendwelche Techniken, Systeme, Methoden, die überhaupt nicht funktionieren. Sie erwecken die Hoffnung, daß es auch Ihnen eines Tages, wie durch ein Wunder, passieren wird. Aber das wird nie geschehen.

Sie glauben also, daß die Lage hoffnungslos sei, aber sie ist nicht hoffnungslos. Die Hoffnung ist hier. Die Hoffnung ist nicht dort. Sie warten darauf, daß morgen etwas passieren wird. Morgen wird NICHTS passieren.

Wenn etwas geschehen muß, dann muß es jetzt geschehen. Aber es gibt praktisch so gut wie keine Möglichkeit, daß das jetzt geschieht, weil das Instrument, welches Sie verwenden, die Vergangenheit ist. Ohne daß die Vergangenheit an ihr Ende gelangt, kann es keine Gegenwart geben. Und dieser gegenwärtige Augenblick ist etwas, das von Ihnen weder eingefangen noch erlebt werden kann. Selbst wenn man für einen Augenblick annähme, die Vergangenheit sei beendet, so haben Sie doch keine Möglichkeit zu erfahren, daß sie zu Ende gegangen ist. Dann wird es für Sie keine Zukunft mehr geben. Vielleicht werden Sie morgen der Chef Ihrer Firma sein, oder der Schullehrer wird zum Direktor seiner Anstalt aufrücken und der Professor zum Dekan – diese Möglichkeiten bestehen, aber dafür werden Sie kämpfen müssen, und das erfordert Zeit. Sie wenden die gleiche Technik auf alles an, was Sie realisieren wollen, und so weist der Verstand auch Ihren spirituellen Zielen einen Platz in der Zukunft zu. Mit dieser Technik sind gewaltige Ergebnisse erzielt worden; warum also, so fragen Sie sich, sollte dieses Mittel nicht auch das geeignete sein, um Ihre spirituellen Ziele zu erreichen? Sie haben es versucht, Sie haben alles mögliche unternommen – aber selbst für diejenigen unter Ihnen, die voll glühenden des Verlangens sind, es zu finden – es ist unmöglich.

In Indien hat es jeder versucht, und – Sie werden es nicht glauben – nicht einem ist es geglückt. Und wenn einmal etwas in dieser Art geschehen ist, dann ist es jenen Menschen geschehen, die ihre Suche ganz und gar aufgeben hatten. Das ist die absolute Vorbedingung. Die ganze Bewegung muß sich verlangsamen und zum Stillstand kommen. Aber alles, was Sie tun, um sie anzuhalten, verschafft ihr nur neuen Antrieb. Das ist wirklich die Crux des Problems.

Sie können nicht alles andere haben, und die Erleuchtung noch dazu. Wenn es kommt, dann tilgt es alles aus. Sie wollen alles haben, und den Himmel obendrein. Sie haben keine Chance! Das ist etwas, was sich nicht durch Ihre Bemühungen oder die Gnade von irgend jemandem bewerkstelligen ließe, nicht einmal mit Hilfe eines Gottes, der auf Erden wandelt und behauptet, er sei extra um Ihret- und der Menschheit willen aus irgendeinem Himmel herabgestiegen – das ist ganz einfach dummes Gerede. Niemand kann Ihnen helfen. Helfen, um was zu erreichen? Sehen Sie, das ist die eigentliche Frage.

Solange Sie in dieser Wunschvorstellung leben, werden Ihnen solche Menschen, ihre Versprechungen und Techniken, als sehr attraktiv erscheinen. Das gehört dazu. Es gibt nichts, was Sie tun müßten. Sie tun sowieso schon so vieles. Können Sie sein, ohne etwas zu tun? Das können Sie nicht. Unglücklicherweise tun Sie etwas, und dieses Tun muß aufhören. Um dieses Tun zu Ende zu bringen, tun Sie etwas anderes. Hier liegt wirklich die Crux des Problems. In dieser Situation befinden Sie sich. Das ist alles, was ich sagen kann. Ich weise auf die Absurdität dessen hin, was Sie tun.


F: Wollen Sie damit sagen, daß wir bereits das sind, was wir sein sollen?   
U.G.: Diese Tatsache wollen Sie nicht akzeptieren, stattdessen möchten Sie wissen, was Sie sind. Darin liegt das Problem. Sie haben keine Möglichkeit, das jemals herauszufinden. Was da ist, kann man nicht wissen. Es hängt immer davon ab, was Sie sein wollen. Was Sie hier vor sich haben ist das Gegenteil von dem, was Sie gerne wären, was Sie sein wollen und was Sie sein sollen. Was sehen Sie hier? Sie wollen glücklich sein, also sind Sie unglücklich. Der Wunsch glücklich zu sein, schafft das Unglücklichsein. Was Sie hier sehen, ist das Gegenteil Ihres Ziels, Ihres Wunsches, glücklich zu sein. Das Streben nach ständigem Genuß schafft den Schmerz. Wollen und Denken gehen also immer Hand in Hand. Sie sind nicht getrennt. Alles, was man haben will, schafft Schmerzen, denn dann beginnt man zu denken. Wollen und Denken. Wenn man auf dieser Welt nichts mehr begehrt, gibt es auch kein Denken mehr. Das will nicht heißen, daß es dann keine Gedanken mehr gäbe.

...Aber wie ich schon sagte, ist die Fähigkeit, mit diesen Problemen fertig zu werden im Körper selbst vorhanden; dazu muß er auch imstande sein, denn er kann sie einfach nicht ertragen. Die Sensibilität der Sinnesorgane wird von all dem zerstört, was Sie tun, um sich von den Dingen zu befreien, von denen Sie frei sein wollen. Das zerstört die Sensibilität des Nervensystems.

Die Gesellschaft ist am Status quo interessiert, sie will sich nicht verändern. Die einzige Möglichkeit, wie sie den Status quo oder die Kontinuität aufrechterhalten kann, liegt darin, daß sie verlangt, jedermann müsse sich in ihre Struktur einordnen. Dabei ist jedes Individuum, in physischer Hinsicht, einzigartig. Die Natur schafft immerzu Einzigartiges. Sie ist nicht an einem perfekten Menschen interessiert; sie ist auch nicht an einem religiösen Menschen interessiert.

Alles, was von der Aufspaltung Ihres Bewußtseins herrührt, ist destruktiv, ist Gewalt, und zwar deshalb, weil es nicht diesen lebendigen Körper, nicht das Leben, zu schützen sucht, sondern die Kontinuität des Denkens. Dadurch kann es den Status quo Ihrer Kultur, oder wie Sie es auch nennen wollen, der Gesellschaft, aufrechterhalten. Die Probleme sind neurologischer Art. Wenn Sie dem Körper eine Chance geben, wird er mit all diesen Problemen fertig werden. Wenn Sie aber versuchen, sie auf einer psychologischen oder ethischen Ebene lösen zu wollen, wird Ihnen das nicht gelingen.

....weiter geht´s 29.07.2019
Ihr Wunsch, etwas zu verstehen, dient also nur dem Zweck, einen Wandel herbeizuführen, gleichzeitig wollen Sie den Wandel aber nicht. Das ließ im Menschen die neurotische Situation entstehen, daß er zwei Dinge will – er will den Wandel, und er will ihn nicht. Dieser Konflikt ist andauernd in ihm vorhanden.

F: Vielleicht müssen wir diesen Konflikt sehen.   
U.G.: Das Sehen selbst ist ein entzweiender Vorgang. Es gibt zweierlei. Sie wissen, die Inder sind Meister in diesem Spiel – der Seher und das Gesehene, der Beobachter und das Beobachtete. In dieser Art von Spiel sind sie große Experten. Aber was gibt es denn zu sehen? Wer ist es denn, der sieht? Sind dort zweierlei Dinge? Was tun Sie, wenn Sie sehen? Sie sind wieder beim selben Gedanken angelangt.

Es ist absurd, sich selbst die Frage zu stellen „Wer bin ich?“ Das wurde zur fundamentalen Lehre von Ramana Maharshi. „Wer bin ich?“ Warum stellen Sie diese Frage? Sie besagt doch, daß es da ein anderes Ich gäbe, das Sie kennenlernen wollen. Diese Frage ergibt für mich keinerlei Sinn. Allein die Tatsache, daß Sie sie stellen, impliziert, daß es da zwei Dinge gibt. Das ‘Ich’, das Sie kennen, und dann gibt es noch ein anderes ‘Ich’, dessen Natur Ihnen wirklich unbekannt ist und das Sie gerne kennenlernen wollen. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich mache. Zunächst einmal – wissen Sie denn etwas über sich selbst? Was wissen Sie? Sagen Sie es mir.

F: Was weiß er?   
U.G.: Was ihm gesagt wurde: wo er lebt, seinen Namen, wieviel Geld er jeden Monat verdient, seine Telefonnummer, wie viele Erlebnisse er im Verlauf seiner dreißig Lebensjahre angesammelt hat, er kennt die Menschen, denen er begegnet ist und all die Bücher, die er gelesen hat. Das ist alles, was er Ihnen erzählen kann. Er kann mechanisch alle Information und Erfahrungen, die er angesammelt hat, wiederholen. Und das ist auch schon alles. Warum sind Sie damit unzufrieden, warum suchen Sie nach etwas anderem? Können Sie mir außer den von Ihnen gesammelten Informationen, dem, was Sie wissen, noch etwas anderes über sich sagen?

F: Was ich dort gefunden habe, ist nicht die Antwort. Sonst würde die Frage doch nicht fortbestehen.
U.G.: Was haben Sie dort gefunden?
F: Nur Wissen.   
U.G.: Also ist diese Frage, diese idiotische Frage, dem Wissen entsprungen, über das Sie schon verfügen. Es ist das Wissen, das bereits vorhanden ist, welches diese Frage gestellt hat: „Wer bin ich?“ Sie wollen also wissen und verleihen so dem Wissen, das Sie schon haben, neue Impulse. Sie fügen immer neues Wissen hinzu. Falls es irgend etwas zu wissen gäbe, dann sollte alles, was Sie wissen, zu einem Ende kommen. Also fügen Sie durch diese Bestrebung, oder der Forderung danach, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, immer neues Wissen hinzu.   Sehen Sie denn nicht die Absurdität der Frage „Wer bin ich?“ Es kommt nicht darauf an, wer diese Frage vorgeschlagen hat, wer sie an Sie gerichtet hat oder wer sie befürwortet. Es gibt nichts zu wissen. Sie wissen nur, was da ist. Wenn da nichts mehr ist, braucht man es nicht zu wissen, und es gibt keine Möglichkeit, irgend etwas darüber zu wissen.

Also sollte die Frage damit aufhören. Denn die Frage selbst – hören Sie gut zu – die Frage selbst ist aus der Antwort hervorgegangen. Ansonsten gibt es keinen Platz für irgendeine Frage jedweder Art. Alle Fragen entstammen den Antworten, die Sie schon kennen. Es ist also idiotisch, überhaupt eine Frage zu stellen, auf die man schon eine Antwort hat. Weil es keine Frage ohne eine Antwort geben kann, impliziert die Antwort, daß dieses ‘Ich’ etwas beinhalten würde, das Sie nicht wissen, aber gerne wissen möchten – etwas anderes als das ‘Ich’, das schon vorhanden ist; es besagt, daß es da ein anderes ‘Ich’ gäbe.

F: Auf einer bestimmten Ebene schon. Man könnte auch sagen, eine Frage stellen, bedeutet, die Antwort schon zu kennen.   
U.G.:  Das ist richtig. Es gibt überhaupt keine Frage. Ohne Wissen kann es keine Frage geben. Alle Fragen sind aus den Antworten heraus entstanden, die Sie schon kennen. Das ist der Grund dafür, warum eine solche Frage, ob sie nun von Ihnen oder von jemand anderem gestellt wird, keine Antwort erfordert. Die Antwort auf eine jede Frage ist auch das Ende der Frage. Das Ende der Frage bedeutet das Ende der Antwort, die Sie schon haben. Nicht nur Ihre Antwort, sondern auch die Antworten, die sich seit Jahrhunderten angesammelt haben, muß es nicht geben. Das Verlangen nach einer Antwort auf diese Frage, egal auf welcher Ebene (es gibt nur eine Ebene, es gibt keine anderen Ebenen) impliziert, daß der Fragesteller nicht will, daß das Wissen ein Ende nimmt.

...
Die Fragen, die Sie stellen, sind leichtfertige Fragen, denn sie entstammen diesem Wissen. Wenn es überhaupt eine Antwort auf eine Frage gibt, heißt das nicht, daß es notwendigerweise Ihre Antwort wäre. Alle Antworten sind die Antworten, die über die Jahrhunderte hinweg angehäuft wurden. Es gibt eine Gesamtheit des angesammelten Wissens. Es gibt angehäuftes Wissen und angesammelte Erfahrungen. Sie benützen sie dazu, um mit sich und anderen zu kommunizieren. Also gibt es so etwas wie mein oder dein Bewußtsein nicht. Sondern es gibt ein Bewußtsein, das aus der Gesamtheit aller Gedanken und den Erfahrungen all dessen besteht, was bis dato existiert hat.


Alles, wofür Sie sich interessieren, ist, wie Sie frei von Verzweiflung werden können. Nur weil Sie denken, werden Sie nicht von ihr stranguliert und umgebracht. Die Verzweiflung sollte diese Bestrebung in Ihnen zerstören, die bemüht ist, sie loswerden zu wollen. Sie geben der Verzweiflung keine Chance, in Aktion zu treten. Sie sind daran interessiert, eine Lösung zu finden, einen Ausweg aus dieser Sackgasse. Nur darum geht es. Dem geben Sie einen Namen und nennen es ‘Verzweiflung’. Sie sind nicht verzweifelt. Sie benehmen sich nicht wie ein Mensch, der verzweifelt ist. Sie reden nur über Verzweiflung, Sie reden über das Vakuum, Sie reden über Leere. Falls es die Leere gibt, ist das die Aktion des Lebens.

Als nächstes werden Sie mich fragen: „Was ist das Leben?“ Wenn ich versuche, Leben zu definieren, sind wir verloren. Dann steht eine Definition gegen das Leben. Ich verstehe unter Leben das, was es Ihrem gesamten Wesen möglich macht, es zu erwidern; nicht darauf zu reagieren, sondern zu respondieren, empfänglich für die Stimuli zu sein, und sie zu erwidern. Wenn es kein Leben gibt, werden Sie zu einer Leiche. Eine Leiche reagiert immer noch, aber auf andere Weise. Deshalb nennen Sie dies hier Leben. In anderen Worten ist Leben nichts anderes als der Puls, der Taktschlag und der Lebensatem. Auch das ist eine Definition. Da gibt es einen Puls, da ist ein Atem, da ist das Pochen des Lebens. Überall pocht es, jede Zelle Ihres Körpers pocht. Nur das ist Leben. Aber wir sprechen nicht wirklich über dieses Leben, denn niemand kann etwas darüber sagen, außer er gibt Definierungen ab. Sie können es die Lebenskraft oder sonst etwas nennen; nur bringt Lebendigsein auch all die anderen Probleme mit sich, die dieses sogenannte Leben schafft.

Es stellt sich die Frage nach dem ‘Wie’. Wie soll man leben? Das ist das eigentliche Problem. Das Problem aller Probleme besteht darin, wie man leben sollte. Und seit Jahrhunderten wurden wir der Gehirnwäsche unterzogen zu glauben, „So-und-so müssen Sie leben!“ Wenn das nicht zufriedenstellend ist, erfinden Sie einen anderen Weg und nennen ihn „Wie-man-leben-soll“. Und so geht das immer und immer weiter. All das ist Unsinn, denn es hat Ihnen keinen Frieden gebracht. In Ihrem Innern findet ein ständiger Kampf statt, ein Krieg ist im Gange. Solange in Ihrem Innern Krieg herrscht, wird es keine friedvolle Welt geben. Selbst wenn man für einen Augenblick annähme, daß der Krieg beendet ist und Sie mit sich selbst im Frieden sind, wird das dennoch nichts ändern, denn ein Mensch, der mit sich selbst in Frieden lebt, stellt für seinen Nachbarn eine Bedrohung dar. Also besteht die Gefahr, daß der Sie liquidieren wird.


...Wenn das Problem der Verzweiflung einmal gelöst ist, sind damit auch alle anderen Probleme gelöst, denn sie sind nur Variationen ein und desselben. Also wollen Sie das Problem gar nicht lösen. Ihr eigentliches Interesse gilt den Lösungsmöglichkeiten. Deshalb muß ich das Ganze immerzu wiederholen. (Mein Vokabular ist begrenzt, daher muß ich dieselben Worte verwenden. Sie können Ihren Wortschatz ja vergrößern und neue Redewendungen finden, aber auch das ist ein sinnloses Unterfangen).

Das Instrument, das Sie verwenden, das Denken nämlich, kann niemals die Tatsache akzeptieren, daß diese Probleme hier und jetzt gelöst werden können; der Grund hierfür ist, daß es eine bestimmte Zeit gedauert hat, bis Sie zu dem wurden, was Sie sind. Sie leben in einer Welt, die aus Ihren Erfahrungen besteht, und es hat so und so viele Jahre gedauert, bis Sie zu dem wurden, was Sie jetzt sind. Das Denken ist das einzige Instrument, über das Sie verfügen. Sie haben keine andere Möglichkeit, mit diesen Problemen umzugehen. Es ist diesem Mechanismus nicht vermittelbar, daß die Möglichkeit besteht, die Lösung hier und jetzt zu finden. Sein Interesse ist ständig darauf gerichtet, das immer weiter hinauszuschieben. Es gibt immer noch ein morgen. Immer ist Zeit.

Die Lösung, so es sie denn gibt, muß im Hier und Jetzt liegen. Wenn Sie hungrig sind, muß der Hunger gestillt werden. Wenn der Hunger nicht gestillt wird, so wird er Sie verzehren. Da dies für Sie eine furchterregende Situation ist, lassen Sie sich mit den Brosamen abspeisen (denn das sind diese Lösungen, die die Leute Ihnen hinwerfen). Sie warten darauf, daß Ihnen jemand einen ganzen Brotlaib gibt, oder auf einen Wundertuer, damit er die Brotlaibe vermehren möge.

Aber das wird nicht geschehen. Sie haben gar keinen richtigen Hunger. Sie wollen dieses Problem gar nicht lösen, denn dann säßen Sie ja ohne ein Problem da. Was Ihnen Kraft und Energie verleiht, sind eben diese Versuche, die Probleme zu lösen. Wenn Sie Ihr Ziel einmal erreicht haben, ist das, was Sie vorfinden werden – Frustration.

Sie wollen gar nicht ohne Probleme sein. Sie selbst sind das Problem. Wenn Sie keine Probleme haben, dann schaffen Sie sich welche. Das Ende des Problems ist auch Ihr Ende. Also werden diese Probleme bis an Ihr Ende weiterbestehen. Sie gehen, und damit geht auch das Problem. Siebzig, achtzig, neunzig, hundert Jahre lang – es kommt darauf an, wie lange Sie leben werden – besteht Hoffnung. Das ist keine pessimistische Situation, sondern eine realistische. Ich biete Ihnen keine Lösungen. Um Himmels Willen, schauen Sie sich Ihr Problem doch an, wenn Sie können. Sie können sich nicht getrennt von dem Problem sehen. Das Problem wird von seinem Gegenteil erschaffen.

Zunächst einmal, warum sind Sie denn unglücklich? Warum verspüren Sie in sich diese Gefühllosigkeit? Wegen des Zieles, das Sie sich gesetzt haben. Es bringt sein genaues Gegenteil hervor. Sie sehen das selbst, ohne daß ich es Ihnen sagen müsste. Sie denken immerzu: „Ich sollte so sein, ich sollte das sein, ich müßte jenes sein, und ich bin es nicht.“ Es ist dieses Denken, das immer sein Gegenteil bewirkt. Wenn das eine verschwunden ist, ist auch das andere weg. Dieser Mensch kann kein Karrieremacher sein. Dieser Mensch kann kein sensibler Mensch sein – nicht sensibel im Rahmen Ihrer kulturellen Mores.

Dies ist eine andere Art von Sensibilität. Solange Sie jenen Idealen nachstreben, die Gesellschaft oder Kultur für Sie festgelegt haben, werden Sie in deren Gegenteil verharren. Sie hoffen, daß Sie eines Tages, durch irgendein Wunder oder mit Hilfe von jemandem, eines Gottes, eines Gurus, imstande sein werden, das Problem zu lösen – SIE HABEN KEINE CHANCE! (ruft U.G. dramatisch).

Ich kann den Hunger in Ihnen nicht hervorrufen. Wie könnte ich den Hunger in Ihnen erzeugen? Wenn Sie Hunger haben, werden Sie sich umsehen und Sie werden finden, daß all das, was Ihnen angeboten wird, Sie nicht zufriedenstellen kann. Es sei denn, Sie lassen sich mit Brosamen abspeisen. Das ist es, was die Gurus tun, sie werfen Ihnen Brosamen hin, wie einem Hund. Die Menschen sind wie Tiere, nicht anders. Wenn wir die Tatsache akzeptieren, daß wir nicht anders sind als diese, dann haben wir eine bessere Chance, uns wie menschliche Wesen zu verhalten

F: Wann werden sie sich wie Menschen verhalten?  
U.G.: Wenn der Mensch es aufgibt, das Ziel der Vollkommenheit anzustreben.

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