KRISE
Spaniens Tageszeitungen verlieren das Vertrauen ihrer LeserInnen -
auch weil sie den Sparkurs aus Brüssel verteidigen...
Textquelle:
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=fl&dig=2014%2F05%2F19%2Fa0084&cHash=a5faacf54ed870ee542ba2f2af289eef
Spaniens
traditionelle Medien stecken in der Krise. Die großen Zeitungen des
Landes büßen Jahr für Jahr Leser ein. Über 12.000 Medienschaffenden
verloren seit 2005 ihren Job. Gleichzeitig entstehen neue Medien. Die
meisten von ihnen im Internet. So manche der über 300 neue Medien stoßen
auf großen Zuspruch beim Publikum.
"Die generelle
Krise der Printmedien erklärt dies nur teilweise", sagt der
Medienwissenschaftler der Madrider Universität Complutense, Rafa Díaz.
"Die traditionellen Publikationen haben in den letzten Jahren stark an
Glaubwürdigkeit verloren. Allen voran El País", fügt er hinzu.
Die größte Zeitung des Landes, die in den 1970er Jahren entstand, als
sich Spanien auf dem Weg von der Diktatur zur Demokratie machte, war
Referenz für ein breites Spektrum von Mitte-links bis links. In den
letzten Jahren sei, so Díaz, ein Wechsel in der Blattlinie zu
verzeichnen. El País entwickle sich hin zu einem
wirtschaftsliberalen Blatt. In Zeiten der Krise verteidigt die Zeitung
immer wieder die Sparrezepte aus Brüssel. Teile der Leserschaft suche
enttäuscht nach neuen Medien.
Auch Gonzalo Boye, Anwalt aus Madrid und Herausgeber des Satiremagazins Mongolia, beobachtet diese Entwicklung und hat eine Erklärung parat: "Prisa, das Verlagshaus von El País,
schuldet 3,5 Milliarden Euro unter anderem den Großbanken Santander und
Caixa und hat Aktien an den deutsch-amerikanischen Investor Nicolas
Berggruen verkauft. Seither sitzen Bankenvertreter in den Gremien, die
mit über die Linie der Medienholding und damit von El País entscheiden", sagt Boye.
Seine vor zwei Jahren entstandene Mongolia
ist eines der wenigen neuen Medien auf Papier. Neben dem "Humor für gut
informierte Leser", enthält das Blatt mit monatlich 40.000 Exemplare
"Reality News". Dort wird immer wieder die Verflechtung von Finanzwelt
und Medien untersucht. "Als 2011 ein Vorstandsmitglied der Bank
Santander vom Obersten Gericht das Recht entzogen wurde, weiter im
Bankgeschäft tätig zu sein, war dies El País eine Meldung mit
sechs Zeilen wert. Würde so etwas bei der größten deutschen Bank
passieren, wäre dies in Deutschland überall auf der Seite eins", ist
sich Boye sicher.
Neue Onlinemedien
"Alle
großen Tageszeitungen, sind in den Händen der Banken und der Politik",
verweist Boye auf den Wechsel der Chefredaktionen bei den drei
wichtigsten Tageszeitungen in den vergangenen Monaten. Nicht nur El País ersetzte den Chef durch einen Journalisten, der politisch der konservativen Regierung nahesteht. Bei El Mundo
musste Gründer Pedro J. Ramírez gehen. Der Druck von Regierung und
Geldgebern war unerträglich geworden, nachdem das Blatt Korruptionsfälle
aus dem Umfeld der regierenden Partido Popular und dem Königshaus
veröffentlichte. Und bei der in Barcelona erscheinenden La Vanguardia
wurde vermutlich auf Druck von König Juan Carlos der einstige
Pressesprecher des Innenministeriums zum Chefredakteur. Sein Vorgänger
hatte mit Sympathie über die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens
berichten lassen. "Ein Richtungswechsel in der Berichterstattung ist nur
dann möglich, wenn gleichzeitig langgediente, bekannte Journalisten
entlassen und durch prekäre, junge KollegInnen ersetzt werden", sagt
Boye.
Genau das ist geschehen. Diese Entlassenen - alleine bei El País
über 300 - stellen ein Teil der Gründer neuer Medien. Hinzu kommen
junge Hochschulabgänger, die ihr Glück im eigenen Projekt suchen. Bei
der Internetzeitung eldiario.es stammt ein Großteil der
26-köpfigen Belegschaft um Chefredakteur und Blogger Ignacio Escolar aus
der 2012 geschlossenen einzigen linken Tageszeitung Spaniens, El Público. "Wir haben mittlerweile zwei bis drei Millionen Besucher pro Monat", erklärt Escolar zufrieden. Damit liegt eldiario.es mit der spanischen Huffington Post, die zum Hause El País gehört, gleichauf. eldiario.es
schreibt im zweiten Jahr bereits schwarze Zahlen. 70 Prozent der
Einnahmen stammen aus Werbung, 30 Prozent von bezahlenden Premiumlesern,
die für 5 Euro im Monat bereits abends lesen, was am nächsten Morgen
kostenlos online steht.
"Wir erleben eine
Repolitisierung der Gesellschaft", erklärt Escolar. In Zeiten der
Sozialkürzungen und zunehmendem Proteste steige das Interesse an einem
anderen, mehr der sozialen Nachricht verpflichteten Journalismus. eldiaro.es
berichtet über Zwangsräumungen, Sparpolitik, Polizeirepression,
Einschränkungen der Bürgerrechte, Korruption, Flüchtlingsbewegungen an
der Südgrenze, und hat dabei immer wieder exklusive Nachrichten.
Der Unternehmenssprecher der El País,
Pedro Zuazua, will über die Gründe für den Erfolg der neuen Medien
nicht spekulieren. "Diese Frage müssen diese selbst beantworten", sagt
er. Doch den Transfer an Lesern kann auch er nicht wegreden, auch wenn
er einen Einfluss der Investoren auf El País bestreitet. "Wer
hier einen aktivistischen, militanten, sektiererischen Journalismus
sucht, wird diesen nicht finden. […] Unsere Information entstehen im
Interesse und zum Nutzen der Leser, und nicht im Dienste der einen oder
anderen Ideologie", zitiert er den neuen Chefredakteur Antonio Caño. Nur
42,9 Prozent der Redaktion unterstützte bei einer nichtverbindlichen
Abstimmung die Ernennung des Konservativen und die Leser laufen
weiterhin scharenweise davon.