Chapter 17: Dringlichkeit
Der Mann sagte ungefähr Folgendes (hier noch mit den Worten meines eigenen inneren Kritikers ausgeschmückt):
Wie
können Sie vorschlagen, dass wir auch nur einen Moment stillsitzen
sollten? Jetzt ist eine entscheidende Zeit für Taten. Wissen Sie denn
nicht, dass selbst in diesem Moment, wo wir hier bequem sitzen, U.S.
Agenten unschuldige Menschen entführen und sie verschicken, damit sie
gefoltert werden? Wissen Sie nicht, dass, selbst während wir hier reden,
riesige Massentierhaltungsbetriebe Tiere schlachten und ihr Abwasser in
die Flüsse pumpen? Gut und schön, dass Sie hier weiter darüber
schwafeln, dass wir unsere kulturellen Geschichten ändern sollten, aber
dort draußen hungern Kinder. Was werden Sie sagen, wenn eines von ihnen
Sie fragt, was Sie an diesem Samstag Nachmittag getan haben, als das
Paramilitär seine Familie tötete? Wie können Sie mit sich selbst leben,
wenn Sie nicht jeden Augenblick, den Sie nicht schlafen, der
Gerechtigkeit auf Erden widmen? Wir haben keine Zeit zu verschwenden.
Wir haben keine Zeit für Nachgiebigkeit. Wir haben keine Zeit
herumzusitzen und zu reden, keine Zeit Filme anzuschauen, keine Zeit zum
Spielen. Wenn auf der Wiese gegenüber Verbrecher junge Mädchen quälten
und vergewaltigten, dann würden wir nicht herumsitzen und über Dinge
reden, würden keine Workshops über die Wiedereroberung des Spielens
abhalten, und wir würden keine Freiwilligen aufstellen, die
“empathisches Zuhören” praktizieren. Wir würden losgehen und sie
aufhalten. Nun – das passiert genau jetzt, nur ein bisschen außerhalb
der Sichtweite. Und weil Sie es nicht direkt sehen, tun Sie so, als
passierte es nicht. Tut mir leid, aber ich fürchte, all dieses Gerede
ist nichts als widerliche Heuchelei. Ihr Lebensstil ist auf allen Linien
an der fortdauernden Plünderung des Planeten mitbeteiligt, und Sie
machen sich vor, dass Ihre Worte Sie irgendwie von Ihrer Schuld
freisprechen. Hören Sie auf uns etwas vorzumachen! Heben Sie ihren Arsch
und machen Sie etwas dagegen.
Ich
möchte dieser Sichtweise jene eines Stammesälteren der Dogon
gegenüberstellen, den meine Freundin Cynthia Jurs über die Dringlichkeit
befragte. Cynthia war in Mali, um an einem Earth Treasure Vase Ritual
für Frieden und ökologische Heilung teilzunehmen. Sie fragte ihn, wie
die Bedrohungen für unseren Planeten – Abholzung, Klimawandel etc. – und
die Bedrohungen durch Machtmissbrauch seinen Stamm und dessen
Lebensweise beeinflussten. “Empfinden Sie nicht ein dringliches
Bedürfnis etwas dagegen zu tun?” Der Mann kannte die Bedrohungen sehr
gut und wusste, dass die Welt aus dem Gleichgewicht geraten ist, aber er sagte: “Sie verstehen das nicht. So etwas wie Dringlichkeit haben wir hier nicht.”
Meine
Freunde, wer ist der Weisere, dieser “primitive” Dogon Stammesältere
oder der junge Mann in Florida? Ist das wieder so ein Fall, in dem es
der zivilisierte Mann mit seinen Uhren, Kalendern und seinem linearen,
auf Knappheit basierenden Denken besser weiß? Müssen wir die Dogon
belehren? Oder könnte es sein, dass der Schlüssel für unsere Rettung
nicht im Repertoire der Seinsweisen gefunden werden kann, die wir, die
Zivilisierten, bestens beherrschen? Könnte es sein, dass wir von den
Indigenen etwas Grundlegendes zu lernen haben? Ist es möglich, dass
unser einziger Weg aus diesem Schlamassel der ist, unsere eigene
indigene Seele wiederzuerlangen, wie es Martín Prechtel formuliert?
Es
ist wahr, wenn ein Kind im Nebenraum missbraucht würde, dann schriebe
ich diese Worte jetzt in diesem Moment nicht. Ich würde körperlich
handeln, und ich wüsste genau, was zu tun ist. Aber das auf unsere
gegenwärtigen makroskopischen Umstände zu übertragen wäre eine falsche
Analogie, weil wir auf einer globalen Ebene nicht wissen, was zu tun ist.
...Es
gibt eine Zeit zu handeln und eine Zeit zu warten, zuzuhören und zu
beobachten. Dann können Einsicht und Klarheit zunehmen. Aus der Einsicht
erwächst ein Handeln, das sinnvoll, fest und kräftig ist.
...Ich schriebe dieses Buch nicht, wenn auf das Artenschutzabkommen, das
Luftreinhaltungsgesetz und das Wasserschutzgesetz der frühen 1970er
Jahre hier und auf der ganzen Welt noch wirkungsvollere Gesetze gefolgt
wären. Ich schriebe nicht, wenn unsere Erkenntnis von Rassismus und
wachsender sozialer Ungerechtigkeit in den 1960ern zur Umgestaltung
unseres Wirtschaftssystems geführt hätte. Ich schriebe nicht, wenn 1980
die wissenschaftliche Erkenntnis über globale Erwärmung zu einer raschen
Trendumkehr beim Verbrauch fossiler Brennstoffe (und nicht zum
Gegenteil) geführt hätte. Die Zerstörung des Planeten und der Menschen
ist nicht zum Stillstand gekommen, ja sie hat sich nicht einmal
verlangsamt. Welche Strategien und Taktiken wir auch angewendet haben,
sie waren wirkungslos. Weder konnte der Feuerlöscher das Inferno
löschen, noch lenkte unser Rufen von den Dächern die Aufmerksamkeit der
Feuerwehr auf uns.
...“Du
kannst nicht einfach nur das tun, wonach Dir ist.” “Du kannst nicht
einfach nur das tun, was Dir gefällt.” “Du musst lernen, dich zu
beherrschen.” “Du bist nur daran interessiert, Deine eigenen Wünsche zu
befriedigen.” “Du kümmerst Dich um nichts anderes als um Dein eigenes
Vergnügen.” Können Sie die Wertung in diesen Ermahnungen hören? Sehen
Sie, wie sie die Mentalität der Herrschaft reproduzieren, nach der
unsere Zivilisation funktioniert? Das Gute kommt durch Unterwerfung.
Gesundheit kommt durch die Ausmerzung der Bakterien. Die Landwirtschaft
wird verbessert, indem die Schädlinge eliminiert werden. Die
Gesellschaft wird sicher gemacht, indem man den Krieg gegen das
Verbrechen gewinnt. Auf meinem Spaziergang gestern sprachen mich
Studenten an und fragten, ob ich mich dem “Kampf” gegen Kinderkrebs
anschließen möchte. Es gibt so viele Kämpfe, Kreuzzüge, Kampagnen, so
viele Aufrufe, den Feind mit Gewalt zu besiegen. Kein Wunder, dass wir
dieselbe Strategie auch gegen uns selbst anwenden. So kommt es, dass die
innerliche Verwüstung der westlichen Psyche sich genau mit der äußeren
Verwüstung deckt, die sie auf dem Planeten angerichtet hat. Wären Sie
nicht gerne Teil einer anderen Art von Revolution?
Chapter 18
Wie
ich ausführen werde, ist es keine triviale Angelegenheit, diese
Gewohnheiten des Sehens, Denkens und Tuns zu verändern. Erst einmal
müssen sie sichtbar gemacht werden. Dann müssen wir die Veränderung auf
eine Art und Weise angehen, die nicht selbst wieder zu diesen
Gewohnheiten gehört – und so viele unserer Vorstellungen über
Herangehensweisen an den Wandel beruhen auf der Weltsicht von
Unterwerfung, Urteil und Gewalt. Drittens müssen wir mit einer Umgebung
klarkommen, die unsere alten Gewohnheiten verstärkt, nicht nur durch
ökonomische und gesellschaftliche Instrumente, sondern durch ein
unablässiges Sperrfeuer subtiler Botschaften, wodurch genau die Dinge
als selbstverständlich erscheinen, die wir verändern wollen.
Die
Debatte über Schuldenabbau versus steuerliche Anreize geht vom
ökonomischen Wachstum als etwas unhinterfragbar Gutem aus. Die Frage der
Einwanderungsreform nimmt die soziale Konvention von Grenzen und
Ausweisen als gegeben. Die Statistiken über Armut in der Dritten Welt
unterstellen, dass Geld ein gutes Maß für Reichtum sei. Die Auswahl an
Nachrichten im Fernsehen suggeriert, dass diese die wichtigsten,
bedeutsamsten Dinge wären, die passieren. Überall in der Öffentlichkeit
gibt es Schilder mit Aufschriften wie “Notbremse. Missbrauch wird
bestraft.” Sie unterstellen, dass es die Strafen wären, die die soziale
Ordnung aufrechterhalten, so wie die allgegenwärtigen Sicherheitskameras
unterstellen, dass die Menschen überwacht werden müssten. Und vor allem
suggeriert uns die Normalität der gesellschaftlichen Routinen, dass
dieser Lebensstil normal sei.
Für
viele Leute ist der mächtigste der Verstärkungsmechanismen dieser
Gewohnheiten der Separation das Geld. Meist gereichen die Handlungen,
die von Liebe inspiriert sind, nicht unserem finanziellen Eigeninteresse
zum Vorteil; im Gegenteil, gerade das Geld scheint solche Handlungen
oft zu verhindern. Ist es vernünftig? Ist es zweckmäßig? Kann man es
sich leisten es zu tun? Für andere Menschen ist der
Verstärkungsmechanismus eine religiöse Lehre oder sozialer Druck oder
die Angst vor Familie und Freunden. “Es wird nichts nützen.” “Es ist
nicht sicher.” “Es ist sonderbar.”
...Die
Geldknappheit wiederum hat ihren Ursprung in der Knappheit von Liebe,
Intimität, und Verbundenheit. Das grundlegende Axiom der Ökonomie besagt
so viel wie: Menschen sind motiviert ihr rationales Eigeninteresse zu
maximieren. Dieses Axiom ist eine Manifestation von Abgetrenntheit und,
ich wage zu behaupten, von Einsamkeit. Jeder dort draußen ist ein
Nutzenmaximierer und auf sich selbst gestellt. Man ist allein. Warum
scheint das so richtig zu sein, zumindest für die Ökonomen? Woher kommt
die Wahrnehmung und Erfahrung des Alleinseins? Teilweise entsteht sie aus der Geldökonomie selbst, in der wir von standardisierten
Waren umgeben sind, die aus ihrer ursprünglichen Beziehungsmatrix
gerissen wurden, und in der Gemeinschaften von Menschen, die Dinge für
sich und füreinander tun, durch bezahlte professionelle Dienstleistungen
ersetzt werden. Wie ich in “Ökonomie der Verbundenheit” beschreibe,
wird Gemeinschaft aus Geschenken gewoben. Geschenke in verschiedenen
Formen schaffen Bande, weil ein Geschenk Dankbarkeit erzeugt: den
Wunsch, es zurück- oder weiterzugeben. Eine Geldtransaktion ist im
Gegenteil aus und vorbei, wenn einmal Waren und Geld die Besitzer
gewechselt haben. Die beiden Parteien gehen getrennter Wege.
Die
Knappheit von Liebe, Intimität und Verbundenheit ist auch unserer
Kosmologie zueigen, die das Universum als aus austauschbaren Bausteinen
zusammengesetzt betrachtet, die nur Dinge sind, ohne Empfindung, Sinn
oder Intelligenz. Sie ist auch ein Resultat des Patriarchats und seiner
dazugehörigen Besitzgier und Eifersucht. Wenn etwas in unserer
menschlichen Welt im Überfluss vorhanden ist, dann sollte es Liebe und
Intimität sexueller oder nicht-sexueller Natur sein. Es gibt so viele
von uns! Hier wie sonst nirgendwo ist die Künstlichkeit von Knappheit so
offensichtlich. Wir könnten im Paradies leben.
Manchmal
leite ich in einem Workshop eine Übung an, bei der zwei Menschen
einander lange Zeit fest in die Augen schauen. Nach dem Abflauen des
anfänglichen Unbehagens, wenn die Minuten verstreichen, erleben die
meisten Menschen eine unbeschreiblich süße Intimität, eine
Verbundenheit, die all die oberflächlichen Posen und Masken überwindet,
die die täglichen Interaktionen prägen. Diese Masken sind viel
filigraner als wir meinen würden – sie können nicht mehr als einer
halben Minute des einander wirklich Anschauens widerstehen; vielleicht
gilt es ja deswegen als unhöflich jemandem mehr als nur ein paar
Sekunden direkt in die Augen zu schauen. Das ist die ganze Intimität,
die wir uns normalerweise erlauben. Das ist der ganze Reichtum, den wir
im Moment gerade bewältigen können. Manchmal sage ich nach dieser Übung
zur Gruppe: “Können sie sich das vorstellen: Ein solches Glück ist immer
zu haben, es ist weniger als sechzig Sekunden entfernt, und doch leben
wir Jahre lang ohne es. Erlebten die Menschen es jeden Tag, würden sie
dann immer noch einkaufen wollen? Trinken? Spielen? Töten?”
Wie nahe ist diese schönere Welt, von deren Möglichkeit unsere Herzen wissen? Sie ist näher als nahe.
Welches
Bedürfnis jenseits der klassischen Überlebensbedürfnisse ist wichtiger
für einen Menschen als jenes berührt, gehalten, gekost, gesehen, gehört
und geliebt zu werden? Welche Dinge konsumieren wir zur vergeblichen
Kompensation der Nichterfüllung dieses Bedürfnisses? Wie viel Geld, wie
viel Macht, wie viel Kontrolle über andere Menschen braucht es, um das
Bedürfnis nach Verbundenheit zu stillen? Wie viel ist genug? Wie sich
aus der oben erwähnten Studie des Boston College schließen lässt, ist
keine Menge je genug. Erinnern Sie sich daran, wenn Sie das nächste Mal
denken, dass die Gier die Schuldige an Gaias Leiden sei.
Ich
könnte noch viele anderen Arten von Knappheit aufzählen, die in unserer
Gesellschaft so normal sind, dass sie uns gar nicht mehr auffallen.
Knappheit an Aufmerksamkeit. Knappheit am Spiel. Knappheit am Zuhören.
Knappheit an Dunkelheit und Stille. Knappheit an Schönheit. Ich lebe in
einem hundert Jahre alten Haus. Was für ein Unterschied zwischen den
normalen fabrikneuen Warenobjekten und Gebäuden, die uns umgeben, und
den alten Heizkörpern in meinem Haus, die die ganze Nacht lang rasseln
und zischen, mit ihren gewölbten Eisenteilen, ihren unregelmäßigen
Ventilen und Verbindungsstücken, die mit einem Hauch mehr Sorgfalt
gemacht wurden, als es notwendig gewesen wäre, die eine Lebensqualität
zu besitzen scheinen. Ich fahre an den Einkaufsmeilen und
Shoppingcenters vorbei, an den Parkplätzen und Autohändlern, an den
Bürogebäuden und Bauabschnitten, jedes Gebäude ein Beispiel für
Kosteneffizienz, und ich wundere mich: “Nach fünftausend Jahren
architektonischer Entwicklung ist es das hier, was wir erreicht
haben?” Hier sehen wir den materiellen Ausdruck der Ideologie des
Messbaren (von Quadratmetern, von Produktivität pro Arbeitskraft) auf
Kosten all dessen was Qualität hat: Heiligkeit, Intimität, Liebe,
Schönheit, und Spiel.
Wie
viel des Hässlichen braucht es, um das Fehlen des Schönen zu ersetzen?
Wie viele Abenteuerfilme braucht es, um das Fehlen von Abenteuer zu
kompensieren? Wie viele Filme mit Superhelden muss man sich anschauen,
um die verkümmerte Verwirklichung der eigenen Großartigkeit zu
kompensieren? Wie viel Pornographie, um das Bedürfnis nach Intimität zu
befriedigen? Wie viel Unterhaltung, um das fehlende Spiel zu ersetzen?
Es braucht unendlich viel davon. Das ist eine Frohbotschaft für das Wirtschaftswachstum aber eine Hiobsbotschaft für
den Planeten. Zum Glück erlauben unser Planet und unser zerfetztes
soziales Gewebe nicht, dass es noch viel länger so weitergeht. Wir haben
das
Zeitalter der künstlichen Knappheit fast hinter uns gebracht, wir
müssen es nur noch schaffen, die Gewohnheiten aufzugeben, die uns noch
an es binden.
Aus
der Knappheit, die uns durchdringt, entstehen die Gewohnheiten der
Knappheit. Aus der Zeitknappheit entsteht die Gewohnheit der Eile. Aus
der Geldknappheit entsteht die Gewohnheit der Gier. Aus der Knappheit an
Aufmerksamkeit entsteht die Gewohnheit anzugeben. Aus der Knappheit an
sinnvoller Arbeit entsteht die Gewohnheit der Faulheit. Aus der
Knappheit an bedingungsloser Akzeptanz entsteht die Gewohnheit der
Manipulation. Das sind nur einige Beispiele – es gibt so viele
verschiedene Reaktionen auf jedes dieser fehlenden Dinge, wie es Menschen gibt.
Chapter 19
All diese Sorten von Knappheit gehen auf eine gemeinsame
Wurzel zurück, eine Art existentielle Knappheit, für die ich keinen
Namen finde. Es ist ein Mangel an Sein, das Gefühl: “ich bin nicht
genug”, oder: “es gibt nicht genug Leben”. Als Folge unseres
Abgeschnittenseins von dem erweiterten Selbst, das mit dem Rest des
Universums inter-existiert, lässt er uns niemals zur Ruhe kommen. Er ist
eine Konsequenz unserer Entfremdung, unserer Preisgabe an ein totes,
sinnloses Universum aus Kräften und Massen, ein Universum, in dem wir
uns nie zu Hause fühlen können, ein Universum, in dem wie nie von einer
Intelligenz getragen werden, die größer als unsere eigene ist, nie Teil
eines sich entfaltenden Sinnes sein können. Sogar mehr noch als die
Knappheit von Zeit und Geld ist es dieses existentielle Unbehagen, das
den Willen zu konsumieren und zu kontrollieren antreibt.
Die erste daraus resultierende Gewohnheit, ist jene immer
etwas zu tun. Das Hier und Jetzt ist nie genug. Vielleicht möchten Sie
einwenden, dass die Menschen in der westlichen Welt unglaublich viel
Zeit mit Tätigkeiten verbringen, die ganz und gar nicht produktiv sind,
wenn sie fernsehen und Videospiele spielen, aber das sind
Ersatzhandlungen und nicht Nicht-Tun.
...
Die Lage der Erde ist zu fatal, um aus Gewohnheit darauf
zu reagieren, sprich wieder und wieder die gleichen Lösungen zu
probieren, die uns in unsere gegenwärtige höchste Not gebracht haben.
Woher kommt die Weisheit, auf völlig neue Art zu handeln? Sie kommt aus
dem Nirgendwo, aus der Leere; sie kommt aus der Untätigkeit. Wenn wir
das einsehen, erkennen wir, dass uns diese Möglichkeit die ganze Zeit
offenstand. Sie lag direkt vor uns; und gleichzeitig war sie in einem
anderen Universum – in einer anderen Geschichte von der Welt. Ein
chinesisches Sprichwort beschreibt das treffend: “So weit weg wie der
Horizont und direkt vor deiner Nase.” Man kann ihr bis in alle Ewigkeit
nachrennen, schneller und schneller laufen und nie ein Stück näher
kommen. Nur wenn man aufhört, erkennt man, dass man schon dort ist.
Genau das ist unsere kollektive Situation in diesem Moment. Alle
Lösungen für die globalen Krisen liegen direkt vor uns, aber sie sind
für unsere kollektive Wahrnehmung unsichtbar, so als existierten sie in
einem anderen Universum.
Wenn wir in einer Geschichte gefangen sind, können wir nur
die Dinge tun, die mit dieser Geschichte begreifbar sind. Oft ist uns
bewusst, dass wir in einer Falle stecken (die alte Geschichte endet),
aber wir haben keinen Zugriff auf irgendeine Alternative (wir sind noch
in keiner neuen Geschichte heimisch). Führungskräfte von sozialen oder
Umweltschutzorganisationen fühlen sich in ihrem Handlungsrahmen zwischen
Spendensammeln, Mitgliederkampagnen, Pressemitteilungen und
öffentlichen Diskussionspapieren gefangen. Ein neuer Skandal droht. Was
tun? Schon wieder einen Appell aussenden? Auf jeder Ebene sind unsere
Lösungen immer weniger wirksam, aber unsere Geschichte erlaubt keine
Alternative.
Das Gleiche könnte man über die Antworten der Währungsbehörden auf die
Finanzkrise sagen und allgemeiner über die Regierungen überall. An den
meisten Orten hat sich das politische System in zunehmend irrelevante
Debatten verstrickt, deren echte Lösungen nicht einmal zur Diskussion
stehen. In den U.S.A. mitten in den Streitereien über Truppenstärken,
Zeitpläne für den Rückzug und so weiter, wo ist hier der Ruf nach einem
Rückzug von allen Militärbasen weltweit und der gänzlichen Abrüstung des
stehenden Heeres? Das ist nicht Teil der Debatte.i
Gewiss, damit das Gegenstand der Debatte werden könnte, müssten
tiefsitzende Mythen über die Funktionsweise der Welt, über die Gründe
für Krieg und Terrorismus und die wahren Ziele der amerikanischen
Außenpolitik und so weiter bis hinunter zu unseren Vorstellungen von Gut
und Böse aufgegeben werden. Für jemanden, der diese Mythen nicht
hinterfragt hat, mutet ein Ruf nach der Auflösung des Heeres lachhaft
und naiv an.
Und genauso: Wo im Universum der politischen Debatte über
Landwirtschaft ist die Idee eines umfassenden Übergangs zur Permakultur,
einschließlich großer Gärten dort wo heute Rasenflächen sind, einer
Wiederbesiedlung der ländlichen Gebiete, der Kompostierung menschlicher
Exkremente, und der therapeutischen Vorteile einer Wiederanbindung an
den Boden? Man könnte dadurch Kohlenstoff wieder in den Boden
zurückbringen, die Eutrophierung der Wasserläufe beenden, die
Wasseradern wieder auffüllen, und die Desertifikation rückgängig machen.
Es entstünde sinnvolle Arbeit für die Millionen, die danach suchen, und
reduzierte drastisch den Verbrauch fossiler Brennstoffe – und man
produzierte mehr Nahrungsmittel auf weniger Landfläche, wodurch die
wilden Ökosysteme wiederhergestellt werden könnten.
Es braucht einiges Tun um diese Argumente zu belegen.
Viele Autoritäten stellen kategorisch fest: “Der einzige Weg sieben
Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu ernähren ist der massive
Einsatz fossiler Treibstoffe.” Diese Behauptung zu widerlegen erfordert
die Dekonstruktion ihrer Grundannahmen über Landwirtschaft und
Ernährung. Wie viele von ihnen berücksichtigen (um ein Beispiel von
vielen zu nehmen), dass eine Nutzpflanze wie der Brotnussbaum der Maya
in den Tropen den achtfachen kalorischen Ertrag von Mais pro Hektar
produzieren kann mit höherem Nährwert und besserer Lagerungsfähigkeit,
und außerdem in großen Mengen mit minimalem Arbeitseinsatz ohne
Pestizide angebaut und nur einmal gepflanzt werden muss,
trockenheitsresistent ist, Futter für Ziegen und Kühe bereitstellt und
als eine Oberholzpflanze zusammen mit Gemüse oder Aquakultur etc.
darunter gepflanzt werden kann? Dieser Baum wurde in ganz Zentralamerika
abgeholzt, um Platz für Maisfelder zu schaffen.ii
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