Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti
Wir werden sehen wie wichtig es ist die radikale Revolution in den Köpfen der Menschen zu verursachen. Die Krise ist eine Krise des Bewusstseins. Ein Krise, die nicht mehr die alten Normen akzeptieren kann, die alten Muster, die uralten Traditionen. Wenn man in Betracht zieht, was die Welt jetzt ist, mit all dem Elend, den Konflikten, der zerstörerischen Brutalität, Aggressionen usw. Der Mensch ist immer noch wie er war. Er ist immer noch brutal, zerstörerisch, aggressiv, habgierig, wetteifernd. Er hat eine Gesellschaft darauf aufgebaut.

Dienstag, 28. Februar 2017

Jiddu Krishnamurti || Überzeugung || Kommentare zum Leben Text 23

Überzeugung
Wir waren hoch oben in den Bergen, und es herrschte große Trockenheit. Viele Monate hatte es nicht mehr geregnet, alle kleineren Bäche waren versiegt. Die Nadeln der Tannen färbten sich braun, einige waren schon ganz abgestorben, nur der Wind rauschte noch durch ihr dürres Gezweig. Das Bergland erstreckte sich Falte um Falte bis weit hinaus an den Horizont. Das meiste Wild war schon nach kühleren, fetteren Äsgründen abgewandert, nur Eichhörnchen und ein paar Eichelhäher waren zurückgeblieben. Wohl gab es noch andere, kleinere Vögel, aber sie schwiegen in der Hitze des Tages. Eine dürre Tanne war von der Sonne in vielen Sommern schneeweiß gebleicht, sie war noch im Tode wunderschön, schlank, voller Kraft und ohne allen Makel menschlichen Gefühls. Die Erde war hart, die Pfade waren steinig und staubig. 

Sie sagte, sie hätte schon verschiedenen religiösen Gesellschaften angehört, sei aber erst der letzten treu geblieben. Für diese habe sie fast überall in der Welt durch Vorträge und Werbung gearbeitet. Um ihrer Gemeinschaft besser dienen zu können, habe sie ihr Familienleben aufgegeben, ihre Häuslichkeit und vieles andere Wertvolle geopfert. Sie habe sich den Glauben, die Lehre und die Vorschriften ihrer Gemeinschaft zu eigen gemacht, sei den Anweisungen der führenden Männer gewissenhaft nachgekommen und habe sich vor allem mit Ausdauer in Meditation versucht. Bei den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft sowohl wie bei deren Leitern habe sie in hohem Ansehen gestanden. Jetzt, fuhr sie fort, nachdem sie gehört hätte, was ich über Glaubensrichtungen, religiöse Gemeinschaften, die Gefahr der Selbsttäuschung und ähnliche Dinge sage, habe sie sich von ihrer Gruppe und deren Bestrebungen zurückgezogen. Seitdem sei ihr das Heil der Menschheit gleichgültig geworden, ihre kleine Familie und deren Sorgen füllten sie nun vollkommen aus, und die Wirrnisse des Weltgeschehens interessierten sie nur noch am Rande. Bei aller äußeren Güte und Großzügigkeit neigte sie zu bitteren Gefühlen, denn sie meinte, ihr Leben sei doch im Grunde verpfuscht. Was habe sie mit all ihrer Begeisterung und ihrer ganzen Arbeit am Ende erreicht? Sei ihr Schicksal nicht tief zu beklagen? Warum sei sie jetzt auf einmal so stumpf und müde und befasse sich nur noch mit kleinlichen Dingen, obwohl sie doch noch im besten Alter stehe? 

Wie leicht zerstören wir die zarten Gefühlskräfte unseres Wesens! Das ewige Streben und Kämpfen, die immer neuen Ängste und Ausflüchte stumpfen Geist und Herz vorzeitig ab. Aber der gewitzte Verstand findet bald Ersatz für die verlorene Lebendigkeit des Gefühls. Unterhaltungen, Familie, Politik, Überzeugungen und Götter treten an den Platz der Einsicht und der Liebe.
Einsicht geht durch Wissen und Überzeugungen verloren, Liebe durch Sinnenreiz. 
Oder ließe sich etwa aus Überzeugungen Einsicht gewinnen? 
Gibt es ein Innewerden, solange wir uns hinter den Mauern eines unerschütterlichen Glaubens verschanzen? 
Was nutzen uns überhaupt Überzeugungen? 
Verdunkeln sie nicht den ohnedies überlasteten Verstand? 
Das Innewerden dessen, was ist, verlangt keine Überzeugung, sondern unmittelbare Wahrnehmung, ein Aufgeschlossensein, bei dem kein Wunsch und keine Sehnsucht im Spiele ist. Wünsche und Sehnsüchte stiften Verwirrung, und unsere Überzeugungen sind nur die Ausgeburten unserer Wünsche. Diese Wünsche streben auf geheimnisvollen Schleichwegen zum Ziel; solange wir ihrer Schliche nicht innewerden, stiftet jede Überzeugung noch mehr Spannung, Wirrnis und Widerstreit. Ein anderer Name für Überzeugung ist Glaube, und siehe da, auch er ist nur ein Zufluchtsort für unser unerfülltes Verlangen. 

Unsere Überzeugung drängt uns zum Handeln. Sie gibt uns jene besondere Kraft, die aus dem Ausschluss allen Zweifels erwächst, und da die meisten von uns Menschen Handelnde sind, wird Überzeugung zur Notwendigkeit. Wir fühlen, dass wir ohne Überzeugung nicht wirklich tätig werden können, da sie uns erst das Ziel vorstellt, für das es zu leben und zu arbeiten lohnt. Für die meisten hat das Leben nur die Bedeutung, die sie aus ihrer Überzeugung gewinnen, die Überzeugung ist also wichtiger als das Leben selbst. Wir meinen, das Leben müsse so gelebt werden, dass es in die Schablone der Überzeugung passt, denn irgendein Schema, eine Norm muss doch wohl sein, wenn gehandelt werden soll. Unser Handeln beruht also immer auf einer ursprünglichen Idee oder ist deren Ergebnis, darum ist auch die Idee als das Primäre wichtiger als das Handeln selbst. 

Ist aber der Verstand, so scharf und raffiniert er auch denken mag, wirklich imstande, jene totale Wirkung hervorzubringen, die eine grundstürzende Umwandlung unseres Wesens und damit der sozialen Ordnung zur Folge hätte? Kann die Idee, der Gedanke, überhaupt wirken? 
Gewiss, fruchtbare Ideen schaffen oft nachhaltige Bewegungen, sie liefern den Stoff zum Schaffen und Werken – aber dieses Werken ist etwas grundsätzlich anderes als Wirken. Rastloses Werken füllt unser Leben aus; wenn aus irgendeinem Grunde einmal damit Schluss gemacht werden muss, dann fühlen wir uns ganz verloren, das Leben ist inhaltsleer und sinnlos geworden. Wir alle wissen um die gefürchtete Leere, die hinter unserer Lebensart lauert, zum mindesten ahnen wir etwas davon, und darum stehen Idee und Arbeit unter uns Menschen so hoch im Kurs. Überzeugungen geben dem Leben den gewünschten Inhalt, und Arbeit wird uns zum unentbehrlichen Rauschgift. Ihr zuliebe nehmen wir jede Entbehrung und jeden Nachteil in Kauf, machen wir uns jede Illusion zu eigen. Alles Handeln aus ideologischer Überzeugung führt zu Unordnung und Zerfall. Obwohl es nur der Ordnung und dem Aufbau zu dienen scheint, hinterlässt es ein Meer von Zwietracht, Leid und Elend. Jede Art von Überzeugung, sei sie religiöser oder politischer Art, sondert nämlich die Menschen voneinander ab und verhindert, dass wir der Liebe innewerden, die uns mit dem Bruder Mensch verbindet. Ohne dieses Innewerden gibt es kein wahres Wirken.

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